Pedro Jose Alzamora sitzt mit seinen Freunden und seiner Frau bei einer caña (kleines Bier) am eigentlich verlassenen Fußballplatz Virgen de Lluc in Pont d'Inca. Neben ihnen stehen Getränkekühltaschen. Ein paar Kinder kicken in der Nähe mit einem Ball, der nähert sich plötzlich den Taschen und saust nur knapp vorbei. „Passt doch auf", platzt es aus Alzamora raus. „Da sind die Vögel drin!"

Pedro Jose Alzamora ist Kurier und der Präsident des Club Deportivo Silvestrista Palmesano - ein Singvogelverein. Die etwa 60 Mitglieder fangen und trainieren Vögel für Wettbewerbe. Doch ihr Hobby ist in Gefahr. Das balearische Umweltministerium hat ab sofort das Fangen von Singvögeln auf den Balearen verboten. „Bereits 1979 hat die EU ein Gesetz verfasst, das die Vögel schützt", sagte Joan Mayol, der Chef der Abteilung für Artenschutz, auf Nachfrage der MZ. „Spanienweit soll das Verbot 2018 durchgesetzt werden. Da aber ein Verfahren am Europäischen Gerichtshof gegen Spanien läuft, haben sich die Balearen und fünf andere autonome Regionen dazu entschieden, das Verbot vorzuziehen." Umweltschützer begrüßen den Entschluss. „Seit Jahren haben wir darauf hingearbeitet", sagte Nicolas López von SEO/Birdlife. „2016 sank die Anzahl an Stieglitzen in Spanien um 8 Prozent, bei Bluthänflingen gar um 12 Prozent." Neben diesen beiden Arten sind Grünfinken und Girlitze die begehrtesten Vögel für die Singturniere.

Jeden Sonntag treffen sich die Mitglieder des Vogel-Clubs am alten Fußballplatz und simulieren ein Turnier. Das soll den Vögeln den Stress nehmen und sie auf die Gesangswettbewerbe vorbereiten.

Die finden vom Frühjahr bis zum Herbst statt. Dafür lässt der Verein eigens einen Schiedsrichter vom Festland einfliegen. Vier Singvögel der gleichen Rasse werden dem Juror vorgesetzt. Nach zehn Minuten verteilt dieser Punkte und bestimmt den Sieger. Wofür es eigentlich Punkte gibt, weiß im Club niemand. Klar ist, dass nur der Gesang bewertet wird. „Es kann der hässlichste Vogel der Welt sein. Wenn er am besten singt, gewinnt er", sagt Clubmitglied Juan Antonio Pozo.

Bei den Turnieren auf der Insel nehmen nur selten ­Vogelzüchter von außerhalb teil. Größer ist da die Konkurrenz bei den spanischen Meisterschaften. Der Verein aus Palma reist dafür jedes Jahr mit der Fähre auf das Festland. Eine Reise im Flugzeug würden die Vögel wahrscheinlich nicht überleben. 2018 ist das nicht notwendig, dann findet das Turnier in Pont d'Inca statt. Um dann mit gefangenen Vögeln antreten zu können, will der Club eine Unterschriftensammlung starten.

Denn die Vogelfreunde aus Palma trifft das Verbot hart. „Ich habe jetzt noch drei Stieglitze", sagt Juan Antonio Pozo. „Was soll ich machen, wenn die sterben?" Bislang war das Fangen in Spanien­ erlaubt, „da es keine Alternative gab", sagte Artenschutzchef Joan Mayol. „Doch es hat sich herausgestellt, dass das Züchten der Tiere in Gefangenschaft möglich ist. Nicht so einfach wie bei Kanarienvögeln, aber möglich." Im vergangenen Jahr brachte das Umweltministerium ein Handbuch zur Vogelzucht heraus. Zudem befasste sich ein Ausschuss mit der Frage, ob die Singvögel in Gefangenschaft gezüchtet werden können. „Es ist einfach, im Internet an Anleitungen von erfahrenen Züchtern zu kommen. Zudem gibt es online täglich neue Anzeigen, die die Tiere legal verkaufen", heißt es im Abschlussbericht.

Im vergangenen Jahr erlaubte das Umweltministerium noch, 1.500 Singvögel auf den Balearen zu fangen. Vier Euro kostete ein Ring mit einer offiziellen Nummer, den die Fänger am Fuß des gefangenen Vogels befestigen mussten. Da es mehr Anfragen als die erlaubten 1.500 Vögel gab, wurden die Ringe verlost. „Wenn man Glück hatte, bekam man zehn Ringe und konnte sich einen Zeitraum von fünf Tagen für das Fangen raussuchen", sagt Clubpräsident Alzamora. „Wer in den fünf Tagen nicht genug Vögel fing, musste die übrigen Ringe zurückbringen. Das Geld gab es dann nicht zurück." Jetzt gibt es wegen des Verbots gar keine Ringe mehr.

Als das Fangen noch erlaubt war, ging Juan Antonio Pozo auf einer Finca auf die Jagd. „Das Grundstück gehört Freunden. Sie haben ein kleines Vogelbad. Dort habe ich das ganze Jahr einen Käfig aufgebaut, damit sich die Vögel daran gewöhnen. Um sie zu fangen, muss ich dann nur die Tür zumachen." Die eingefangenen Vögel kontrollierte Pozo sorgfältig. Die alten Tiere musterte der 41-Jährige aus und ließ sie wieder frei. Die Jungtiere bekamen einen Ring und wurden dressiert. „Bis vor ein paar Jahren war der Bluthänfling am beliebtesten", sagt ein älteres Mitglied vom Club in Pont d'Inca. „Aber der Stieglitz ist in Mode gekommen, da er pflegeleichter ist." Präsident Alzamora holt zwei kleine Käfige aus den Taschen. Der Stieglitz bleibt ruhig sitzen. Der Bluthänfling hingegen flattert aufgeregt umher. „Den Stieglitz bekommen wir schon nach einer Woche zum Singen. Beim Bluthänfling kann das bis zu einem Jahr dauern."

Dabei werden den Jungtieren ältere Vögel als Mentoren zur Seite gestellt, oder ihnen wird Vogelgesang vorgespielt. „Wir unterscheiden unterschiedliche Gesangsarten. Es gibt beispielsweise den natürlichen Feldgesang oder den antrainierten Salongesang", sagt Alzamora. Um die Vögel zum Singen zu animieren, setzt sie Pozo vor den Fernseher. Zudem hat Präsident Alzamora für die Mitglieder Holzkisten mit Lautsprecher gebastelt, in die die Käfige hineingestellt werden. Bei der Musikrichtung sind sich die Mitglieder uneinig. „Manche setzen auf klassische Musik oder Salsa. Ich vertraue auf Reggaeton. Bei Despacito, La bicicleta und Subeme la radio gehen die Vögel richtig ab", sagt Pozo.

Von gezüchteten Vögeln hält Alzamora nicht viel. „Die gekauften Vögel sind Mutanten." Doppelt so groß seien sie, zeigt er mit seinen Fingern - und das sei kein Vorteil. „Wir wollen die Vögel singen lassen und sie nicht zu sportlichen Wettkämpfen anmelden." Die Größe erhalten die Tiere in der Gefangenschaft, da sie mit leicht züchtbaren Rassen wie Kanarienvögeln gekreuzt werden. Das macht sich auch im Gesang bemerkbar. „Das ist dann wie ein Ausländer, der mit Akzent Spanisch spricht", sagt Pozo.

Alzamora erhält eine Whatsapp-Nachricht. Sein Handy zwitschert den Gesang eines Stieglitzes. Auf seinem Unterschenkel hat er sich seinen Lieblingsvogel auch tätowiert. Die Liebe zu den Vögeln ist bei den Mitgliedern vom CD Silvestrista Palmesano allgegenwärtig. Begeistert zeigen sie Fotos und Videos auf den Smartphones. „Viele Frauen haben ihre Männer sitzengelassen, weil sie sich im Vergleich zu den Vögeln vernachlässigt gefühlt haben", sagt die Ehefrau des Präsidenten. „Mir macht das nichts aus. Andere verbringen ihre ganze Freizeit mit Fußball. Mein Mann beschäftigt sich halt mit seinen 40 Vögeln."