Wenn Joan Cifre im Stau steht, sieht er die Blechlawine um sich herum mit anderen Augen als der gemeine Pendler. Der Abteilungsleiter für Straßenverkehr im Inselrat zählt dann zum Beispiel die Fahrzeuge, die anhand des Aufklebers auf der Heckscheibe als Mietwagen zu erkennen sind. Gelegenheit hat er dazu ausreichend, unter der Woche pendelt er von Pollença in einer knappen Stunde nach Palma und passiert die wichtigsten Nadelöhre in Mallorcas Straßensystem.

Die Erfahrungswerte der Pendler wie auch die Statistiken, die die im Fahrbahnuntergrund installierten Induktionsschleifen liefern, sprechen eine eindeutige Sprache: Der Straßenverkehr vor allem im Einzugsgebiet von Palma hat stark zugenommen, das System wird labil. „Da reicht schon ein kleiner Auffahrunfall auf Palmas Ring­autobahn aus, und das Chaos nimmt seinen Lauf", so Cifre. Zwar trügen auch die Urlauber mit ihren Mietwagen ihren Teil zum drohenden Verkehrskollaps bei. Wenn es nicht gerade bewölkt ist und die Urlauber zum Stadtbummel nach Palma strömen, seien die Mietwagen aber nicht das Hauptproblem.

Das kann man in den frühen Morgenstunden in der Verkehrsleitzentrale des Inselrats in Palma sehen. Zwischen Monitoren, die die Bilder von knapp 60 Kameras an verschiedenen Straßenabschnitten zeigen, sitzt Xisco Sorriano und beobachtet die Blechlawinen. Auch wenn der Tag in Palma mehrere Stoßzeiten zählt, ist es doch morgens ab 7.30 Uhr besonders kritisch. „Neuerdings beginnt das Stop-and-go bereits um 7.15 Uhr", meint der Mitarbeiter. Bis 9 Uhr strömen die Arbeitnehmer aus dem Umland in die Balearen-Hauptstadt, und die Eltern bringen ihre Kinder zur Schule - während die Urlauber in der Regel noch am Frühstückstisch sitzen.

Der Verkehr staut sich dann an den Kreiseln des noch immer nicht ausgebauten zweiten Rings, an der Ausfallstraße nach Sóller, vor allem aber dort, wo die Inca-Autobahn dreispurig in die Via Cintura, die Ringautobahn mündet. Knapp 170.000 Fahrzeuge werden im Schnitt täglich zwischen den Ausfahrten nach Inca und Sóller gezählt. „Das ist eine der am stärksten überlasteten Ringautobahnen in ganz Spanien", so Cifre. Im Tagesverlauf folgen dann noch zwei weitere Stoßzeiten - eine weniger kritische um die Mittagszeit sowie die zwischen 18 und 19.30 Uhr.

Langfristig gesehen entwickelt sich der Verkehr auf Mallorca in Abhängigkeit von vor allem zwei Faktoren: der Wirtschaftslage und dem Straßenbau. Vor drei, vier Jahren war die Situation noch relativ entspannt. Mehrere abgeschlossene Projekte sorgten für Entzerrung: die durchgehend dreispurige Ringautobahn, der Super-Kreisel über der Flughafen-Autobahn sowie zusätzliche Über- und Unterführungen wie etwa an der Ausfahrt nach Manacor. Gleichzeitig stagnierte die Autodichte im Zuge der Wirtschaftskrise, die Zahl der gemeldeten Fahrzeuge ging ab dem Jahr 2012 sogar etwas zurück.

Jetzt ist die Situation umgekehrt: Die Wirtschaft zieht wieder an, und der Straßenbau stagniert. In den vergangenen zwei Jahren kamen jeweils wieder rund 20.000 angemeldete Fahrzeuge hinzu. Derzeit meldet das balearische Statistikamt für Mallorca knapp 742.000 Fahrzeuge - zuzüglich einer geschätzten Zahl von bis zu 70.000 Mietwagen. Gleichzeitig stocken weitere Ausbauprojekte wie die noch fehlenden Abschnitte des zweiten Rings. Vor allem aber: Der Handlungsspielraum ist eng. Selbst wenn man die Ringautobahn weiter ausbauen wollte - es ist schlichtweg kein Platz für eine weitere Fahrspur. „Wir werden bald ein Riesenpro­blem mit dem Verkehr auf Mallorca haben", so Cifre.Ein bisschen Flickschusterei

Derzeit werden punktuelle Erleichterungen im Umfeld der Ring­autobahn angegangen. Dazu gehört beispielsweise ein neues Ampelsystem am Kreisverkehr der Sóller-Straße, in den gleich fünf Straßen münden. Eigentlich sollte das neue, intelligente System, das über Induktionsschleifen die Zahl der Autos misst, bereits in Betrieb sein. Doch das Verkehrsaufkommen sei falsch berechnet worden, so Cifre. Auch auf Höhe des Schwimmbads Son Hugo wird derzeit nach einer besseren Verkehrsführung gesucht. Weitgehend im Griff habe man das Gebiet des Ende vergangenen Jahres eröffneten Einkaufszentrums FAN in Coll d'en Rabassa - nach chaotischen Zuständen habe sich der Ansturm gelegt. Und die provisorischen Abfahrten, die die Zeit bis zum Ausbau des zweiten Rings überbrücken müssen, erfüllen ihren Zweck.

Weitere Ausbauprojekte auf Mallorca bringen zwar punktuelle Verbesserungen. „Letztendlich sorgen sie aber nur dafür, dass die Autofahrer schneller nach Palma gelangen, um hier früher im Stau zu stehen". Dazu zählt etwa der derzeitige dreispurige Ausbau der Inca-Autobahn auf Höhe des Mallorca Fashion Outlet (bislang Festival Park). Noch diskutiert wird über den Verlauf der nördlichen Umgehungsstraße von Inca. Anfang kommenden Jahres soll zudem die Landstraße Llucmajor-Campos mit ihren durchschnittlich 40.000 Fahrzeugen und einer hohen Zahl tödlicher Verkehrsunfälle zweispurig ausgebaut werden.

Da jedoch Mallorcas Verkehrsprobleme offensichtlich nicht mit noch mehr Asphalt zu lösen sind, bringen das balearische Verkehrsministerium und der Inselrat derzeit einen Masterplan auf den Weg - ein genauso ehrgeiziges wie langfristiges Projekt, das sechs Monate lang international ausgeschrieben werden soll. Der Plan wird zum Beispiel analysieren, wo im Einzugsbereich Palmas Park&Ride-Systeme eingerichtet werden können. Ohnehin steht Mallorcas System der Überlandbusse wegen auslaufender Konzessionen vor einer tiefgreifenden Reform. Und auch die Züge von Palma nach Inca, Manacor und Sa Pobla sollen durch kürzere Fahrzeiten und mehr Verbindungen attraktiver werden.

Doch das dürfte ein hartes Stück Arbeit werden. Cifre fordert einen Mentalitätswechsel seiner Landsleute. Es könne nicht sein, dass jeder mit dem eigenen Auto nach Palma pendeln müsse. Auch hier stützt sich der Politiker auf seine täglichen Beobachtungen. „In allen Fahrzeugen um mich herum sitzt nur eine einzige Person."