Nach einigem Hin und Her soll das Vorhaben diesmal wasserfest sein: Ab Freitag, den 29. Dezember ab 0 Uhr, soll der drei Kilometer lange Tunnel, der Sóller mit dem überwiegenden Rest von Mallorca verbindet, tatsächlich mautfrei sein. 5,10 Euro zahlten zuletzt Autofahrer, die nicht in Sóller oder Fornalutx gemeldet waren, Busse und Lastwagen mussten je nach Größe und Gewicht zwischen 8,10 Euro und 9,05 Euro zahlen. Motorradfahrer kostete die Durchquerung der Röhre 2,05 Euro.

Dass an der künftigen Mautfreiheit nun nicht mehr gerüttelt werden darf, liegt am Obersten Gerichtshof der Balearen. Vorherige Woche hatten die Richter eine Entscheidung des balearischen Verwaltungsgerichts aus dem August kassiert, welche die Abschaffung der Maut zum 1. September verhindert hatte. Beschwerde eingereicht hatte damals die Firma Globalvía, die eigentlich noch bis 2022 die Konzessionen für den Tunnel innehat. Hintergrund: Der Inselrat - gebunden an seine Wahlkampfversprechen - beschloss im vergangenen Jahr, die Konzession fünf Jahre früher als vertragsmäßig vereinbart zu beenden, um die Maut so schnell wie möglich abschaffen zu können. Der Inselrat war zunächst bereit, 17,4 Millionen Euro Entschädigung zu bezahlen - wenn die Maut zum 1. September weggefallen wäre. Jetzt werden nach neuen Berechnungen noch knapp 16,3 Millionen Euro veranschlagt. Damit ist Globalvía nicht zufrieden. Die Firma forderte zuletzt 31 Millionen Euro. Globalvía war im Juli vor Gericht gezogen, am 19. August erließ das Verwaltungsgericht die einstweilige Verfügung.

Erste Straßenverbindung 1847

Das bedeutet, dass das Tal von Sóller nun aus seiner historischen Abgeschiedenheit ein Stück weit herauskommt, auch wenn Historiker Antoni Quetglas keine neue Ära einläuten will. „Seit der ­Tunnel 1997 eröffnet wurde, war Sóller schon nicht mehr isoliert. Auch wenn sicher der ein oder andere durch die Maut abgeschreckt wurde." Ganz anders habe es vor dem Bau der Röhre ausgesehen.

Die erste Straßenverbindung über den Pass von Sóller wurde 1847 eröffnet, davor gab es keinen Landweg in den Süden der Insel. Die Eisenbahn kam dann im Jahr 1912 dazu, machte die Fahrt in die Inselhauptstadt Palma aber auch nicht wirklich schneller. Deshalb hätten die sollerics nach wie vor mehr Beziehungen nach Barcelona oder Marseille gehabt als in die anderen Regionen von Mallorca. „Es war eben ­verhältnismäßig ­einfach, per Schiff von Port de Sóller aus in die großen Hafenstädte im westlichen Mittelmeer zu segeln", sagt Quetglas. Viele Talbewohner nutzten das und verdienten sich vor allem als Händler der im Orangental angebauten Obst- und Gemüsesorten ihren Lebensunterhalt.

Natürlich hätten sich seit Beginn des vergangenen Jahrhunderts die Menschen auch in Richtung Palma orientiert, aber das passierte erst systematisch, seitdem der Tunnel eröffnet wurde.

Korruption beim Bau

Der Bau und die ihn umgebenden Begleiterscheinungen waren keineswegs ein Ruhmesblatt für die Inselpolitik, schon gar nicht für den damaligen Ministerpräsidenten Gabriel Cañellas (konservative Volkspartei PP). Die Richter kamen im Jahr der Tunneleröffnung - den Auftrag hatte Cañellas bereits 1989 vergeben - zum Schluss, dass Millionenbeträge der Investition in die Taschen von Cañellas und den Wahlkampf zu seiner Wiederwahl geflossen waren. Die Parteizentrale in Madrid machte Druck, Cañellas trat zurück. Die Korruption wurde zwar bewiesen, war aber verjährt.

Was der Wegfall der Maut für Sóller und das Orangental bedeutet, darüber gehen die Meinungen nach wie vor auseinander. Während sich Antoni Quetglas keinerlei Prognose zutraut und er einfach hofft, dass alles so bleibt wie bisher, hält Óscar Mayol, der ­Präsident der Eisenbahngesellschaft „Tren de Sóller" die Gratisdurchfahrt durch den Tunnel für „eine sehr gute Nachricht". Auch wenn er glaubt, dass nun vor allem im Sommer noch mehr Touristen ihre Mietwagen in Richtung Orangental lenken werden, was zwangsläufig zu Parkplatznot und einer angespannten Verkehrslage führen wird.

Bürgermeister Jaume Servera (Regionalpartei Més) zweifelt daran, dass plötzlich Horden von Menschen nach Sóller aufbrechen. Er glaubt höchstens an einen Effekt für die ersten Tage nach dem Wegfall der Maut. „Aber die Leute werden auch in Zukunft nur dann nach Sóller kommen, wenn es gerade nötig ist oder sie wirklich Lust dazu haben", übt sich der Rathauschef in Optimismus.

Angst um die Tramuntana

Nicht ganz so viel Vertrauen in die Vernunft der Menschheit besitzt Miquel Gual. Der Präsident der einflussreichen Kooperative Sant Bartomeu in Sóller sieht die Öffnung des Tals „mit Freude und Sorge". Endlich seien Sóller und die Insel verbunden, andererseits habe keiner der Verantwortlichen in Sóller und den angrenzenden Orten den Tag der Mautfreiheit auch nur ansatzweise vorbereitet. „Vor allem müsste es im Ortskern von Sóller Parkplätze nur für Anwohner geben", fordert Gual.

Ihm schwebt ein ähnliches System wie in Palmas Altstadt oder in Valldemossa mit den sogenannten ACIRE-Zonen vor. „Werden die nicht eingeführt, könnte Sóller aufgrund der zu befürchtenden Automassen viel von seinem Charme und seiner Lebensqualität verlieren", fürchtet Gual. Das Problem aus seiner Sicht: Niemand im Ort, zuvorderst die Politik, habe sich bisher Gedanken darüber gemacht, was passieren werde. „Wir sind eben ein bisschen feige und haben immer nur abgewartet, auch wir Bewohner des Tals", übt Gual durchaus auch Selbstkritik. Die Gemeinde hätte vor zwei, drei Jahren Flächen für Parkplätze an der Straße nach Port de Sóller kaufen müssen, um genügend Parkraum bereitzustellen.

Für Sóller seien die großen Automassen, die Gual befürchtet, zwar nicht angenehm, aber auch nicht existenzbedrohend. Anders sehe das bei der Serra de Tramuntana aus. „Ohne die Tunnelmaut gibt es mitten im Gebirge einen direkten Zugang zum Welterbe." Das öffne Tür und Tor für einen regelrechten Gebirgstourismus, Fornalutx, Deià und die beiden Stauseen Cúber und Gorg Blau könnten zu den Leidtragenden gehören. Dass dabei eine mutmaßlich größere Zahl an Touristen für Probleme sorgen könnte, glaubt Gual nicht. Mehr Sorgen machen ihm seine eigenen Landsleute. „Die Urlauber interessieren sich ja wirklich für die Kulturlandschaft der Serra und geben Acht, bei so manchem Einwohner aus Palma und dem Umland habe ich da so meine Zweifel."