Noch keinen Monat ist es her, da hat die MZ am 17. Mai getitelt: „Mallorca-Flüge so billig wie nie". Reihenweise Verbindungen von Deutschland auf die Insel für gut 50 Euro, von Berlin-Tegel aus gar für 34 Euro - Mallorca-Flüge zum Taxipreis. Drunter geht es nicht mehr, dachte man. Jetzt ist klar: Es geht. Anfang Juni tauchten die Banner auf der Website von Laudamotion auf: One-Way-Flüge ab 4,99 Euro. Die MZ machte unter anderem Verbindungen von Münster und Stuttgart nach Mallorca für diesen Kampfpreis ausfindig. Die Pleiten von Airberlin und Niki treiben sonderbare Blüten.

Eine Kollegin aus der Redaktion macht sich das zunutze und fliegt zu ihrem Abitreffen nach Deutschland. Sie tut es, das räumt sie ein, ausschließlich aufgrund des unwiderstehlichen Schnäppchens. Wohlwissend, dass Fliegen umweltschädlich ist. Wie verhält es sich da mit der Moral? Geht es am Ende doch nur um den Preis, und wir vergessen jegliche Bedenken, etwa was den Klimawandel betrifft? Die MZ hat über diese Frage mit Stefan Gössling, Professor am Lehrstuhl für Tourismuswissenschaften und Experte in den Bereichen Transport- und Tourismusforschung an der Universität Lund in Schweden, sowie mit Christoph Lütge, Professor für Wirtschaftsethik an der Technischen Universität München, gesprochen.

„Eigentlich müssten wir alle aufhören zu fliegen", ist der Standpunkt von Gössling. Fliegen sei ein „wahnsinnig energieintensiver" Vorgang, jeder Mensch verbrauche im Durchschnitt pro Jahr 4,5 Tonnen CO2, ein Viertel davon komme durch Transport zustande. In den Industrieländern ist es deutlich mehr. „Das ist viel zu viel. So reißen wir das Steuer in Sachen Klimawandel nicht herum. Wer aber sagt, das ist ihm egal, der hat nicht verstanden, worum es geht", sagt Gössling.

Die Sache mit dem Gewissen

„Wir müssen den Leuten nicht dauerhaft ein schlechtes Gewissen machen und sollten gerade in Deutschland eine gewisse Gelassenheit bei diesem Thema entwickeln", hält Christoph Lütge dagegen. Aus seiner Sicht tendiert man in Deutschland dazu, das Fliegen zu verteufeln. In den USA oder auch in weiten Teilen Asiens sei das völlig anders. „Mobilität ist ein hohes Gut", sagt Christoph Lütge. Oft werde so getan, als sei das Fliegen „nicht wirklich nötig".

„Es gibt kein Menschenrecht auf Mobilität", findet hingegen Gössling. Dennoch werde in den westlichen Gesellschaften so getan, als sei es das Normalste der Welt, dass alles jederzeit verfügbar ist, dass man jederzeit überall hinfliegen könne. „Wir können solche Sachen auch einfach mal infrage stellen", plädiert Gössling für eine kritische Auseinandersetzung mit dem Reiseverhalten in den Industrieländern.

Schätzungen gehen davon aus, dass in einem beliebigen Jahr nur rund drei Prozent der Weltbevölkerung fliegen. Selbst in Industrieländern wie Deutschland fliege die Hälfte der Bevölkerung nicht ein einziges Mal. Auf der anderen Seite gibt es verhältnismäßig wenige superreiche Vielflieger, die auf Teufel komm raus um den Globus jetten. „Paris Hilton oder auch Mark Zuckerberg gehören zu dieser Gruppe", sagt Stefan Gössling. Genauso wie russische Oligarchen, „die ständig von ihren Yachten zu ihren verschiedenen Wochenendvillen rund um den Globus jetten, und das in großen Privatflugzeugen".

Und was ist mit den Mallorca-Vielfliegern, die aufgrund der günstigen Preise nun vielleicht ein- oder zweimal mehr als geplant einen Kurztrip auf die Insel einlegen? Christoph Lütge ist da ganz unbekümmert. „Ethisch gibt es da kein Problem. Im Gegenteil: Wenn durch derart günstige Preise Kinder, deren Eltern sich sonst keinen Urlaub leisten können, mal nach Mallorca fliegen können, ist das wichtig und richtig", sagt Lütge. Und wie ist das mit dem Abiturtreffen? „Na klar, sollte man das tun. Diese Leute trifft man ja sonst nicht."

Auch Stefan Gössling räumt ein, dass es einen Unterschied gibt, ob eine Großmutter ihr neugeborenes Enkelkind das erste Mal besuchen wolle oder ob sich jemand mit seinen Kumpels ein Wochenende lang „besaufen" wolle. Ansonsten aber gelte: Die Gesellschaft, jeder einzelne, täte gut daran, Mobilität stärker zu hinterfragen.

Preise wie die knapp 5 Euro pro Strecke sieht Gössling äußerst kritisch. „Solche Angebote sind nur durch hohe Subventionen möglich." Viel zu selten werde thematisiert, dass der weltweite Flugverkehr zu einem großen Teil erst durch staatliche Unterstützung funktioniert. 17 verschiedene Formen der Subventionierung habe er kürzlich mit zwei Wirtschaftskollegen in der Luftfahrt ausfindig gemacht. „Da geht es nicht um Millionen, da geht es um Milliarden."

„Die 4,99 Euro sind natürlich ein Kampfpreis, der sich auf Dauer nicht halten wird", glaubt Lütge. Derartige Aktionen habe es auch in der Vergangenheit schon gegeben. Pauschal höhere Preise zu fordern, damit weniger Menschen fliegen könnten, sei ein Irrweg, findet Lütge. „Denn dann können nur noch die Menschen mit viel Geld fliegen. Das ist keineswegs ethisch."

Der Klimawandel

Aber wie war das doch gleich mit dem Klimawandel? „Das Thema Nachhaltigkeit ist in den vergangenen Jahren deutlich in den Hintergrund getreten. Niemand tut heutzutage irgendetwas, nur weil es besser für die Umwelt ist", beobachtet Gössling. Dazu beigetragen habe auch das Aufkommen der sozialen Netzwerke. „Social Media hat viel damit zu tun, wie wir reisen. Wir müssen Aufmerksamkeit erregen, um Likes zu bekommen. Und das tut man mit immer neuen Reisen, neuen Posts." Das setze voraus, dass man ständig unterwegs sei. Dieses Hetzen nach Aufmerksamkeit führe aber auch dazu, dass viele Menschen sich vor allem im Jetzt bewegen und weniger darauf schauen, was war oder was sein wird. Diese Einstellung habe das Bewusstsein für Umweltschutz verringert.

Nachhaltigkeit müsse wieder Eingang in die Politik finden, gerade in Deutschland, wo Gössling in den vergangenen Jahren „keine großen Ziele" in der Umweltpolitik mehr gesehen hat. Unter anderem sei die viel diskutierte Energiewende schon fast kein Thema mehr. „Da müssten wir viel mehr Verantwortungsbewusstsein bei Politikern verlangen", findet Gössling. Aber von ihnen wage sich niemand an den Flugverkehr heran.