Spanien hat sich mit der Aufarbeitung der Verbrechen der Franco-Diktatur (1939-1975) schon immer schwergetan. Jahrzehntelang war das Thema für die spanischen Politiker praktisch ein Tabu. Als der Madrider Untersuchungsrichter Baltasar Garzón 33 Jahre nach dem Tod des Diktators Francisco Franco kürzlich Ermittlungen wegen der Verbrechen des Regimes einleitete, sahen die Angehörigen der Opfer ein Zeichen der Hoffnung, dass ihnen doch noch so etwas wie Gerechtigkeit widerfahren würde.

Aber der Jurist, der vor zehn Jahren mit der Festnahme des chilenischen Ex-Diktators Augusto Pinochet weltweit für Schlagzeilen gesorgt hatte, machte nun einen Rückzieher. Er erklärte sich für nicht zuständig und stellte seine Ermittlungen ein. Damit beugte Garzón sich nicht nur den Argumenten der Staatsanwaltschaft, sondern kam möglicherweise auch einer Entscheidung seiner Vorgesetzten zuvor. Die Staatsanwaltschaft ist dagegen, die Morde von Franco-Anhängern an Regime-Gegnern als Verbrechen gegen die Menschlichkeit einzustufen. Sie betrachtet die Gräueltaten als "normale Verbrechen", die längst verjährt seien.

"Die Entscheidung des Richters beweist, dass die Demokratie in Spanien nicht in der Lage ist, für Gerechtigkeit zu sorgen", protestierte Emilio Silva, Präsident der Vereinigung für die Aufarbeitung der historischen Vergangenheit (ARMH). Der Verband hatte auf eigene Faust 200 Massengräber ausfindig gemacht und die Überreste von über 4000 Franco-Gegnern geborgen, die kurz nach dem Bürgerkrieg (1936-1939) von Schergen des Regimes ermordet worden waren. Der britische Historiker Paul Preston schätzt, dass Franco in den ersten Jahren der Diktatur 180 000 politische Gegner hinrichten ließ.

Weder die Regierung noch die Justiz fühlte sich bislang für die Aufklärung der Verbrechen und die Identifizierung der Toten zuständig. "Unter Franco verschwanden mehr Regimegegner als in den Militärdiktaturen Lateinamerikas zusammengenommen", meinte Esteban Beltrán, Leiter der spanischen Sektion von Amnesty International. Die Organisation hatte in 30 Ländern untersucht, wie Menschenrechtsverletzungen in der Vergangenheit aufgearbeitet wurden. Das Resultat: "Spanien stellt weltweit eine Ausnahme dar", sagte Beltrán. "In den meisten Ländern leitete die Staatsanwaltschaft Untersuchungen wegen Verstößen gegen die Menschenrechte ein, nicht aber in Spanien."

Pablo de Greif vom Internationalen Zentrum für Übergangsjustiz (ICTJ) bescheinigt Spanien, trotz geringer Risiken bei der Vergangenheitsbewältigung extrem ängstlich vorgegangen zu sein. "Madrid wagte es nicht einmal, die Urteile der Franco-Justiz aufzuheben", sagte der Experte der Zeitung "El País". "Spanien war auf allen Gebieten - der Wahrheitsfindung, der Entschädigung und der Rechtsprechung - zaghafter als alle anderen Staaten."

Dass Spanien sich bislang zu keiner wirklichen Bewältigung der jüngeren Vergangenheit durchringen konnte, dürfte auch damit zu tun haben, dass das konservative Lager strikt dagegen ist. "Man darf alte Wunden nicht neu aufreißen", betont die Volkspartei (PP) immer wieder. Ihre Vorgängerpartei AP (Volksallianz) war aus dem Erbe des Franco-Regimes hervorgegangen. Der Psychologe Carlos Castilla del Pino, der viele Bürgerkriegsopfer behandelte, widerspricht der PP: "Ein Land, das seine Vergangenheit nicht aufarbeitet, ist geistig weniger gesund als andere Länder. Der Hass vergeht, nicht aber die Notwendigkeit, die Toten zu identifizieren und zu ehren."