Gab es auch in Einrichtungen der katholischen Kirche auf Mallorca Fälle sexuellen Missbrauchs von Minderjährigen? „Nein, niemals hat es so etwas hier gegeben", sagt der Sprecher des Bistums schnell und offenbar angesichts der Frage regelrecht empört.

Doch wie kann er sich da so sicher sein? Immerhin wird in Deutschland gerade ein Skandal dieser Art nach dem anderen aufgedeckt. Meist nach Jahrzehnten des Schweigens fangen die Opfer an, über ihre Erfahrungen in kirchlichen ­Chören, Schulen und Internaten zu sprechen. Liegt da der Gedanke nicht nahe, dass Ähnliches auch in den vielen Klosterschulen Mallorcas passiert sein könnte, gerade in der bigotten Franco-Zeit? Der Bistumssprecher lässt keinen Zweifel an der absoluten Ehrbarkeit seiner Diözese zu. Am Telefon wiederholt er nun: „Das ist doch nichts Normales. Hier ist so etwas nicht geschehen. Auf Mallorca gibt es keine einzige Anzeige."

Das ist eine Sichtweise des Themas, eine vollkommen andere hat der Priester Jaume Santandreu. „Ich bin Ende der 40er Jahre über zwei Jahre hinweg in Manacor missbraucht worden." Ein katholischer Priester habe ihn dort zu Streicheleien und Küssen gezwungen und schließlich auch dazu, ihn zu masturbieren, erzählt der 71-jährige Armenpriester. Dabei sei er nicht der Einzige gewesen. Der Geistliche habe einen ganzen „Harem" mit weiteren Mitschülern gehalten. Als Santandreu als Elfjähriger ins Priesterseminar in Palma eintrat und dort von den seltsamen Vorgängen berichtete, habe man ihn auf die Bibel schwören lassen, niemals wieder davon zu sprechen. Auch ein entsprechendes Papier habe er unterschreiben müssen. „Das war Vergewaltigung. Sie haben mir gesagt, ich sei ein Monster, und das Gefühl vermittelt, dass ich der Böse bin und Schuld auf mich geladen habe."

Mehr als 50 Jahre später brach Santandreu sein Schweigen. In seiner 2007 ins Spanische übersetzten Autobiografie „Nacido hombre" (das Original erschien bereits 1996 auf Katalanisch) über die ersten zehn Jahre seines Lebens schildert er den sexuellen Missbrauch und die Reaktion der Kirchenoberen. Das Bistum weist die darin erhobenen Vorwürfe als Lügen und Erfindungen ab. Ohnehin wird Santandreu von der katholische Amtskirche auf Mallorca nur als eine Art Enfant terrible geduldet. Santandreu ist offen homosexuell, fordert die Abschaffung des Zölibats und gleiche Rechte für Frauen in der Kirche. Er hat keine Pfarrei, sondern kümmert sich um kranke ehemalige Drogenabhängige.

Nach dem Erscheinen seines Buches hätten sich auch andere Opfer von Missbrauch durch katholische Geistliche auf Mallorca bei ihm gemeldet, berichtet Santandreu. „Ich weiß zum Beispiel von einem Pfarrer, der seine Ministranten bis in die Mitte der 70er missbrauchte." Die Menschen hätten sich ihm im Schutz des Beichtgeheimnisses anvertraut, niemand habe die Justiz einschalten wollen. Santandreu glaubt, dass die Vergehen der Vertreter der katholischen Kirche auf der Insel auch künftig nicht ans Licht kommen werden. „Hier auf Mallorca wird niemand den Mund aufmachen, hier kennt jeder jeden und die Leute schämen sich. Außerdem ist die Kirche immer noch sehr mächtig." Auch spanienweit hält Santandreu eine ähnliche Aufdeckungswelle von Missbrauchsskandalen wie in den USA, Irland und Deutschland in Spanien für unwahrscheinlich.

Dennoch sind auch in Spanien – bislang ohne mediales Gewitter – Missbrauchsfälle öffentlich geworden. Der Journalist Pepe Rodríguez beschreibt in seinen Büchern „Pederastia en la Iglesia católica" und „La vida sexual del clero" mehrere Fälle, darunter etwa den Missbrauch von Jungen und Mädchen im Zeitraum 1985 bis 1988 durch eine Gruppe von Priestern in der Diözese Barcelona. Zudem wurde Dienstag bekannt, dass ein wegen Kinderpornografie in Chile inhaftierter Priester im Zeitraum zwischen 1992 und 2005 mindestens 15 Kinder in Spanien zu sexuellen Handlungen gezwungen hat. Laut „El País" ließ der 53-jährige Lehrer in Einrichtungen seines Ordens in Madrid und im Baskenland Schüler masturbieren und penetrierte sie mit Gegenständen. Die Prozeduren erklärte er mit wissenschaftlichen Zwecken für seine Doktorarbeit und filmte sie mit einer versteckten Kamera. Das Material fanden die Ermittler in Lateinamerika auf seinem Computer. In Spanien war der Mann nie angezeigt worden, die Kinder hatten geschwiegen.

In der Printausgabe vom 18. März (Nummer 515) lesen Sie außerdem:

– Ärger um Werbespot mit Tennisstar Rafael Nadal

– Wer wird Europäer des Jahres? – Suchen Sie mit!

– Die Panorama-Sackgasse: Erdrutsch bei Estellencs

– Offensive gegen den Palmrüssler: Palmenbestand existenziell gefährdet

– Schwarze Woche für Radfahrer: Ein Toter und Verletzte bei Unfällen

Diese Artikel finden Sie auch hier.