Dass es bei den Hells Angels eine Achse Niedersachsen-Mallorca gibt, steht außer Frage: Nachdem Rockerboss Frank Hanebuth das Hannoveraner Charter im Sommer 2012 aufgelöst hatte, waren der Chef und mehrere ehemalige ­Mitglieder immer häufiger auf der Insel zu Gast, wo schließlich das seit einer ­Massenschlägerei zwischen Hells Angels und dem Gremium MC eingefrorene Charter wieder zum Leben erweckt wurde. Und wo von da an - so sehen es zumindest die spanischen Ermittler - kriminelle Machenschaften wie Geldwäsche, Drogen- und Frauenhandel, Betrügereien und Erpressungen koordiniert wurden. Bis bei der Großrazzia im Juli 2013 mehr als 20 Personen aus dem Umfeld der Höllenengel verhaftet wurden.

Mit Öffnung der Akten über die „Operation Casablanca" kamen aber nicht nur eine ganze Reihe mutmaßlicher Straftaten, die die spanische Polizei den Hells Angels vorwirft, ans Tageslicht. Die Dokumente zeigen auch, dass die internationalen Verbindungen der Rocker noch weitaus vielfältiger sind: Da ist nicht nur von Deals mit dem Vorsitzenden des mallorquinischen Motorradclubs „Corsarios MC" die Rede, sondern auch von Millionenbeträgen in der Türkei, Diamanten in Sierra Leone, Stromgeschäften in Marokko oder Reisen nach Dubai.

Dem Hells Angels-Experten ­Stefan Schubert zufolge sind die Höllen­engel derzeit in fast 50 Ländern aktiv - Tendenz steigend. Vor allem in Osteuropa stünden die Zeichen auf Expansion, die jüngsten Ableger wurden in Polen und Tschechien gegründet. „Dort gab es auch schon die ersten Toten", sagt Schubert, der 2012 das Buch „Wie die Hells Angels Deutschlands Unterwelt eroberten" veröffentlichte.

Bereits vor Jahren haben die Hells Angels die Türkei für sich entdeckt. Eine entscheidende Rolle fiel dabei dem angeblichen Hanebuth-Nachfolger, Deutsch-Türke Neco Arabaci, zu, der in den 90er Jahren das Kölner Rotlicht-Milieu beherrschte, bis er wegen Menschenhandels, Zuhälterei und Erpressung zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt und schließlich in die Türkei abgeschoben wurde, wo er das erste türkische Hells Angels-Charter gründete und gleich den Chefposten übernahm. Im Nachhinein habe es sich eher als nachteilig erwiesen, Arabaci des Landes zu verweisen, sagt Schubert. „Statt die Rocker zu schwächen, kann das die Expansion auch vorantreiben."

Sehr aktiv sind die Anhänger dicker Motorräder inzwischen auch im arabischen Raum - wobei dort scheinbar ebenfalls deutsche Rocker Aufbauarbeit leisten. In den Reihen des „Sultan Warriors MC Morocco", offizieller Supporter-Club der Hells Angels, finden sich etwa ehemalige Mitglieder des Bones MC, der sich in Deutschland 1999 aufgelöst hatte, woraufhin eine ganze Truppe, mit Frank Hanebuth an der Spitze, zu den Hells Angels wechselte. Und beim Übersetzen der Homepage ins Deutsche hat freundlicherweise „El Alemán" ausgeholfen, Präsident der Bone Brothers Marbella in ­Südspanien.

Den Titel des ersten Motorrad-Clubs in Marokko beanspruchen indes die „Skulls of Sahara" für sich. Allerdings bezeichnen sie sich als ersten afrikanischen Supporter-Club der mit den Hells Angels rivalisierenden Bandidos - deren Facebook-Seite kurioserweise genau in der Juli-Woche, als die Hells Angels auf Mallorca verhaftet wurden, die höchsten Klickzahlen seit ihrem Bestehen aufwies. Auch im Fall dieser nordafrikanischen Bandidos gibt es enge Verbindungen nach Deutschland. Dafür sprechen nicht nur die Facebook-Fotos, die Mitglieder der „Skulls of Sahara" bei einer Bandidos-Geburtstagsfeier in Deutschland zeigen. Ein ehemaliger Berliner ­Bandido soll einem Kenner der Rockerszene zufolge in Marokko Aufbauarbeit betrieben haben.

Danach widmete er sich dem „Men of Seth MC" - und wechselte dafür offenbar die Seiten: Bei diesem Club aus Ägypten handelt es sich schließlich um offizielle Unterstützer der Hells Angels. Sie stehen wiederum mit dem „Tuareg MC" aus Saudi-Arabien in Verbindung, gegründet 2012. Im Nachbarland, den Vereinigten Arabischen Emiraten, gibt es inzwischen ebenfalls einen Motorradclub, den „Red Falcons MC Emirates", zu dem der im Juli verhaftete Mallorca-Vize der Hells Angels, Khalil Youssafi, wohl nicht nur über Facebook gute Kontakte pflegte. Zudem machten sich der Deutsch-Marokkaner und sein ebenfalls verhafteter Bruder Abdul die Verbindungen in ihr Heimatland zu nutze. In Medienberichten war öfters von Plänen für ein großes Casino-Projekt in Marokko die Rede.

Die Ausbreitung der Rocker in den nordafrikanischen und arabischen Raum - bis dato auf der Weltkarte der Hells Angels noch weiße Flecken - könnte Schubert zufolge durchaus taktische Gründe haben. Wie der 2009 in der Dominikanischen Republik gegründete Ableger, der just auf der Drogenroute Südamerika-Kanada liege, könnte etwa auch Nordafrika für solche Zwecke interessant sein. Befördert worden sei die vor einigen Jahren einsetzende Expansion vor allem durch die Öffnung deutscher Clubs für Migranten. „Zuvor tauchten die nirgends auf." In ihrem Stammland, den USA, seien die Hells Angels seit jeher weiß und patriotisch geprägt und würden sich häufig aus dem Militär rekrutieren. In Deutschland hingegen habe die Eskalation des Rockerkriegs insbesondere bei den Bandidos dazu geführt, dass man sich in arabischen Großclans sowie im Kampfsport- und Türsteher­milieu nach neuen Männern umsah, die größtenteils über einen Migrationshintergrund, aber oftmals keinerlei Motorradhistorie verfügen. „Damit ist mitunter die Vielzahl an Straftaten zu erklären", sagt Schubert. Hinzu kommt, dass in den vergangenen Jahren immer wieder Bandidos zu den Hells Angels übergelaufen sind. Das habe das Rockermilieu - aufgrund noch offener Rechnungen und persönlicher Konflikte - noch explosiver gemacht.

Und dann ist da ja noch die Festnahme von Hells Angels-Boss Hanebuth, der mittlerweile seit fast sechs Monaten in spanischer Untersuchungshaft sitzt - und in den Augen von Schubert durchaus ein Machtvakuum hinterlassen hat, das für neue Unruhen sorgen könnte. Auch wenn die Hells Angels offiziell, im Gegensatz zu den Bandidos, kein Europa- und Weltpräsidium haben, sei Hanebuth eine Art europaweiter Anführer gewesen - da gibt Schubert den spanischen Ermittlern recht. „Es gab keinen anderen Hells Angel, der diesen Machtanspruch erhob", sagt Schubert. Für Hanebuths zentrale Rolle spreche zudem, dass er beispielsweise bei der Eröffnung der neuen Charter in Polen und der Türkei zugegen war.

In Deutschland habe man in solchen Situationen meist abgewartet, schließlich seien festgenommene Hells Angels in der Regel schnell wieder auf freiem Fuß gewesen. In Spanien können Verdächtige hingegen bis zu zwei Jahre in U-Haft bleiben. Wenngleich der Deutsch-Türke Arabaci nun die Führungsrolle beanspruche, sei nicht so recht klar, wo die Reise hingeht. Während die Hells Angels etwa im Ruhrgebiet zunehmend von einer neuen Gang, den Satudarah-Rockern bekriegt würden, wachse in Frankfurt eine Gegenbewegung heran, weg von kriminellen Machenschaften und der Migranten-Generation. Vielleicht sei auch das dem Verlust der Galions­figur Hanebuth geschuldet, vermutet Schubert.

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