Was die Wissenschaftler aus Athen im EU-Projekt Treasure über Hitzewellen erforscht haben, hat schon jetzt praktischen Nutzen auf Mallorca. Wir öffnen die gleichnamige von ihnen entwickelte App, klicken auf die Schaltfläche „Risk“, und die Anwendung zeigt nicht nur Temperatur und relative Luftfeuchtigkeit an unserem aktuellen Standort an (26,7 Grad und 68 Prozent vor dem MZ-Verlagsgebäude), sondern auch unser individuelles Gesundheitsrisiko: Grün, Entwarnung. Vorher haben wir der App Geschlecht, Alter und eventuelle chronische Krankheiten verraten.

Die Werte werden mithilfe von Messungen vom hauseigenen Institute for Astronomy, Astrophysics, Space Applications and Remote Sensing in Athen berechnet. „Das sind Echtzeit-Daten, die im Fünf-Minuten-Takt und bis auf einen Kilometer genau aktualisiert werden“, erklärte Iphigenia Keramitsoglou von der National and Kapodistrian University in Athen auf einem Seminar Ende vergangener Woche im Technologiepark Parcbit nördlich von Palma.

Im Rahmen des von der EU finanzierten Projekts sollen Epidemiologen, Klimaforscher sowie IT-Entwickler die nötigen Daten und praktischen Anwendungen beisteuern, damit europäische Städte die gesundheitlichen Risiken durch Hitze bekämpfen können - Risiken, die im Zuge des Klimawandels zunehmen und bislang oftmals unterschätzt würden, erklärte Dolores Ordóñez von der Firma Anysolution in Palma, die in dem Projekt die Kommunikation zwischen Forschern und politischen Institutionen wie Innen- und Gesundheitsministerien koordiniert.

50 Tropennächte mehr

Wie heiß und feucht es laut den aktuellen Klimamodellen auf Mallorca sowie in Athen in den kommenden Jahrzehnten werden dürfte, haben die griechischen Forscher anschaulich auf einer Website illustriert (externer Link: http://treasure.climpacts.gr/index.php/map-plots). Die Höchsttemperaturen in Palma im Sommer werden demnach 2021-2050 um 1,8 Grad höher sein als in den Vergleichsjahren 1971-2000 - im Zeitraum 2071-2100 sollen es sogar 3,2 Grad mehr sein, so Klimaforscher Chris Kiranoudis. Die Zahl der Tropennächte mit Tiefsttemperaturen über 20 Grad steigt von bislang 35 bis 55 pro Jahr um 32 an, in der fernen Zukunft sogar um 50.

Und auch die Tage mit unangenehm schwülem Wetter nehmen laut der Prognose stark zu. Kiranoudis hat dafür auch eine Pro­gnose für den Hitzeindex erstellt - eine in Celsius angegebene Größe zur Beschreibung der gefühlten Temperatur auf Basis von Lufttemperatur und relativer Luftfeuchtigkeit. Sind es bislang 28 Tage pro Jahr, an denen auf der Insel mindestens gefühlte 38 Grad erreicht werden, dürfte der Wert bis 2021-2050 auf 38 Tage, bis 2071-2100 sogar auf 53 Tage steigen.

Höhere Mortalität ab 31,3 Grad

Was das für die Gesundheit bedeutet, erforscht die Epidemiologin Klea Katsouyanni, und zwar auf Basis der Zahl an Sterbefällen im Sommerhalbjahr in Palma und Athen im Zeitraum 2003 bis 2012. Dazu muss man wissen, dass die Sterblichkeit in der Regel während des Winterhalbjahres am höchsten ist, die statistische Kurve aber auch während der heißen Sommertage leicht nach oben geht. Im Fall von Palma nimmt der Wert laut den Auswertungen ab einer Temperatur von 31,3 Grad wieder zu - wie sehr, hat Katsouyanni mithilfe einer statistischen Analyse ausgerechnet. Das Ergebnis: Steigt die durchschnittliche Höchsttemperatur über dem Wendepunkt um ein Grad an, erhöht sich die Sterblichkeit um 4,3 Prozent. Im Fall der Mortalität infolge von Herz- und Gefäßerkrankungen seien es sogar 6,5 Prozent, bei Atemwegserkrankungen 11,7 Prozent, erklärte die Forscherin. Deutlich höhere Werte ergeben sich für die Altersgruppe ab 65 Jahren. Die weiteren Berechnungen zeigen, welches enorme Gesundheitsrisiko insbesondere Hitzewellen mit sich bringen. Dann ergibt sich eine statistische Steigerung der Sterblichkeit von 9,9 Prozent. Im Fall von Herz- und Gefäß- sowie Atemwegserkrankungen sind es jeweils über 15 Prozent.

Diese Erkenntnisse sind auch in die Risikobewertung der Hitze-App eingegangen. Anders gesagt: Älteren Menschen mit Risikovor­erkrankungen bescheinigt die Handy-Anwendung schon bei niedrigeren Temperaturen eine Gesundheitsgefährdung. Die App gibt dann nicht nur Verhaltenstipps, sondern zeigt auch gleich auf einer Karte die Route zu den drei nächstgelegenen kühlen Räumlichkeiten an - im MZ-Test sind das zwei Fitnessstudios sowie das Kaufhaus El Corte Inglés.

Externer Link: Hier können Sie die App downloaden

Die Praxistauglichkeit wurde im Juli in Palma wie auch in Athen mit einer Feldstudie erprobt, bei der 50 Freiwillige die App nach festen Vorgaben nutzen und Protokoll führen mussten. Die Auswertung steht noch aus, aber Forscherin Katsouyanni stellt schon jetzt fest: „Das Problem hitzebedingter Sterblichkeit und gesundheitlicher Probleme wird mit dem Klimawandel zunehmen und die öffentlichen Gesundheitsdienste vor große He­rausforderungen stellen.“

Hilfestellung für Sanitäter

Aber auch diesen kommen die Forschungsergebnisse zugute. Die Echtzeit-Messdaten lassen sich schon jetzt für hilfreiche, womöglich lebensrettende Anwendungen verwenden - etwa für den effizienten Einsatz von Krankenwagen. Die Seite mit dem Kalkulationsprogramm ist bereits online (externer Link: http://snf-652558.vm.okeanos.grnet.gr/treasure/portal/apps-ambulances.html), und Wissenschaftlerin Iphigenia Keramitsoglou trägt probeweise die Zahl der gewünschten Einsatzgebiete sowie der verfügbaren Fahrzeuge ein. In Abhängigkeit der aktuellen Hitzedaten und der Bevölkerungszahl zeichnet das Programm dann die Einsatzgebiete in die Mallorca-Karte ein, schlägt Orte für die Stationierung der Krankenwagen vor - und rechnet auch gleich aus, wie viele Minuten diese maximal zum Einsatzort benötigen. Keramitsoglou: „Das sind dann intelligente Echtzeit-Entscheidungen“.