Wenn Julián Luis-Bravo zu reden beginnt, dann nimmt er kein Blatt vor den Mund. „In den Schulen auf Mallorca werden die Kinder und Jugendlichen jeden Tag manipuliert", sagt er. Luis-Bravo ist selbst Lehrer an einer weiterführenden Schule in Palma und Vorsitzender der balearischen Lehrervereinigung Plis. Rund hundert Lehrkräfte vorwiegend von Mallorca gehören ihr an. „Wir sind nur wenige", gibt Luis-Bravo zu. Dennoch treibt Plis die aktuelle Diskussion maßgeblich voran. Immer wieder berichteten vor allem konservative spanische Zeitungen wie „El Mundo" von Vorfällen, die auf die angebliche Indoktrinierung hinweisen sollen. Von Schülerprotesten mit Lehrerbeteiligung gegen das harte Vorgehen der Sicherheitskräfte am Tag des für illegal erklärten Referendums in Katalonien ist da die Rede, oder gar von Verboten, Spanisch zu sprechen.

Die Zeitungen zitieren auch die Stiftung Círculo Balear, die sich auf eine eigene Studie beruft, die behauptet, dass in 70 Prozent der Bildungseinrichtungen Beschwerden wegen Manipulation vorlägen. Und sie berichten davon, dass die Jugendstaatsanwaltschaft Ermittlungen eingeleitet hat, die klären sollen, ob tatsächlich von Indoktrinierung die Rede sein kann.

„Die Indoktrinierung geschieht auf zweierlei Ebenen", sagt Luis-Bravo im Gespräch mit der MZ. Einerseits durch plakative Aktionen, die für mediale Aufmerksamkeit sorgen, wie zum Beispiel in der Gesamtschule Inca, wo Schüler einen Fragebogen ausfüllen mussten, in dem unter anderem gefragt wurde, ob sie in Spanien oder in den Païssos Catalans (den Katalanischen Ländern) geboren wurden. „Aber noch viel prägender ist die subtile Manipulation", findet Luis-Bravo. Er spielt auf die Dominanz der katalanischen Sprache im Unterricht an, und auf die seiner Meinung nach stark meinungsbezogene Sichtweise, mit der der Katalonien-Konflikt in den Schulen behandelt wird. „Auch, dass grundsätzlich nur katalanische Autoren und Dichter zu Lesungen an öffentlichen Schulen eingeladen werden, zeigt die Einseitigkeit", findet er.

Wird also an öffentlichen Schulen für katalanischen Separatismus geworben? Wenn Toni Riera das hört, lacht er bitter auf. „Selbst wenn wir wollten, hätten wir überhaupt nicht die Zeit dafür", sagt der Geschichtslehrer. „Diejenigen, die das behaupten, sollten mal einen Klassenraum betreten. Da hat man 55 Minuten Zeit, rund 26 Jugendlichen etwas zu erklären, von denen mehrere verhaltensauffällig sind oder wegen ihres Migrations­hintergrunds nicht einmal alles verstehen, was man sagt", ereifert er sich. „Und in den Abiturklassen sind die Lehrpläne so eng gestrickt, dass auch dort kein Raum für Manipulation ist."

Seit 18 Jahren arbeitet Riera als Lehrer, er hat bereits an fünf verschiedenen Gesamtschulen auf Mallorca und Ibiza unterrichtet. Im Gespräch gibt er offen zu, dass er für ein anderes Spanien ist, eines, in dem die Autonomen Regionen mehr Selbstbestimmung haben. Aber katalanischer Separatist sei er deshalb noch lange nicht, betont er. Und erst recht niemand, der seine Schüler manipuliert. Aktuell arbeitet Riera an der Gesamtschule in Sineu. Auch sie geriet in die Schlagzeilen, weil hier angeblich Lehrer eine Aktion anstifteten, bei der Hunderte Schüler aus Protest gegen die Knüppelei in Katalonien schwarze Kleidung trugen. „Ich habe davon nichts mitbekommen und auch noch nie gesehen, dass ein Lehrer die Schüler manipuliert", sagt Riera.

Das Thema Katalonien kommt im Lehrplan in den Fächern Geografie und Geschichte vor, auch im Ethik- und Philosophieunterricht werden Aspekte angeschnitten. Riera griff den Katalonien-Konflikt Anfang Oktober aus aktuellem Anlass auf. „Aber ich habe vor allem versucht, den Kids das System der Autonomen Regionen zu erklären und es mit Beispielen wie Frankreich und Deutschland zu vergleichen." Auch den geschichtlichen Hintergrund habe er angeschnitten. Das alles, um ansatzweise zu erklären, wie es zu dem Konflikt kam. „Viele der Schüler interessiert das alles sowieso wenig, und dann gibt es immer auch die, die von zu Hause eine Färbung mitbekommen haben, in beide Richtungen." Ihnen böte er Gelegenheit zur Diskussion. „Sie sollen eigenständig denken, das ist mir wichtig."

Mit seiner Ansicht, dass Indoktrinierung nicht stattfindet, steht Riera bei Weitem nicht alleine da. In der Landesregierung weist man die Behauptung zurück. „Bei uns liegt nicht eine offizielle Beschwerde vor", so der balearische Bildungsminister Martí March (Sozialisten, PSIB), der die Schulen wiederholt verteidigt hat. Zahlreiche Organisationen wie die Elternvereinigung Fapa teilen seine Ansicht.

Genau das, findet Julián Luis-Bravo, sei aber kritisch. „Bildungsorganisationen wie Fapa haben überhaupt keine Legitimation, sich politisch zu positionieren. Sie rechtfertigen politische Handlungen mit kulturellem Traditionsgut, dabei sollten sie sich ausschließlich auf Bildung konzentrieren", sagt er. Professionell wäre es, wenn die politische Meinung in und um Bildungseinrichtungen grundsätzlich außen vor gelassen würde. „Lehrer dürfen ihre politische Meinung haben. Aber die hat im Klassenzimmer nichts zu suchen", betont er.

Unterrichten ohne das Einbringen von Meinung - ist das überhaupt möglich? Kann eine Lehrkraft bei einem Thema, bei dem zwei unterschiedliche politische Sichtweisen aufeinanderprallen, neutral aufklären? Und geht man als Lehrer tatsächlich als gutes Beispiel voran, wenn man selbst nicht Stellung bezieht?

„Bildung beeinflusst immer, sonst ist es keine Bildung", bewertet der Dekan der Erziehungswissenschaftlichen Fakultät an der Balearen-Universität, Josep Lluís Oliver, im Gespräch mit der MZ. „Selbst bei Fächern wie Mathematik oder Physik beeinflusst der Lehrer die Schüler und arbeitet mit Thesen. Ohne sie gäbe es keinen Fortschritt." Das bedeute aber noch lange nicht, dass automatisch Manipulation stattfinde. „Natürlich ist es nicht legal, Schülern seine Meinung aufzuzwingen. Das habe ich aber in unserem heutigen Bildungssystem auch noch nie erlebt." Anders sei das während seiner eigenen Schulzeit in der Franco-Ära gewesen. „Dort herrschte Indoktrinierung, denn uns wurden Dinge als einzige Wahrheit vorgestellt und vorgeschrieben, was wir zu denken haben."

Genau das zu verhindern, sei die Aufgabe eines Lehrers. „Je nach Thema, Alter und Reifegrad der Schüler darf der Lehrer auch seine eigene Meinung sagen, wenn er sie als solche kennzeichnet und Raum für Diskussionen schafft, diese zu widerlegen." Nur durch das Abwägen kritischer Meinungen könnten die Schüler letztlich zu aufgeklärten Menschen erzogen werden. Als Grundlage sollten zudem stets wissenschaftliche Fakten erläutert werden, so Oliver.

Er weiß: Leicht ist das nicht. „Aber unser Bildungssystem hat so viele andere Schwächen. Öffentliche Diskurse, die Misstrauen gegen unsere Lehrkörper schüren, helfen da gar nichts", resümiert er und spielt vor allem auf die hohe Schulabbrecherquote an. „Bei Problemen sollte immer der direkte Dialog mit dem betreffenden Lehrer gesucht werden." Denn undifferenziertes Misstrauen gegen die Lehrerschaft könnte die Kinder tatsächlich negativ beeinflussen.