Der Meeresbiologe und Fotograf Manu San Félix begann 1984 als Tauchlehrer zu arbeiten und nahm schon an weltweiten Expeditionen teil. Nun hat er für die spanische Ausgabe von „National Geographic" in Zusammenarbeit mit der Marilles Foundation einen Dokumentarfilm über das Mittelmeer gedreht, der größtenteils in balearischen Gewässern entstand. „Salvemos nuestro Mediterráneo" war am Dienstag (4.6.) in Palma de Mallorca zu sehen. Der aus der Nähe von Madrid stammende 54-Jährige lebt seit 1992 auf Formentera. Er kartografiert rund um die Balearen-Inseln das Poseidongras.

Sie tauchen seit vielen Jahren rund um die Balearen: Was hat sich in den vergangenen drei Jahrzehnten verändert?

Vieles. Das merke ich jedes Mal, wenn ich tauchen gehe und dieselben Orte wie früher aufsuche. Ich erinnere mich dann daran, welche Tiere ich damals dort gesehen habe, und jetzt nicht mehr sehe. Dabei war auch schon vor

30 Jahren vieles verschwunden. Leider konnte das Artensterben nicht gebremst werden. Mittlerweile gibt es fast von allen Arten viel weniger Exemplare.

Haben Sie ein paar konkrete Beispiele?

Als ich in 80er-Jahren als Tauchlehrer mit meinen Schülern in seichten Gewässern unterwegs war, haben wir sehr viele kleine Langusten gesehen. Heute sehe ich keine mehr. Der Meeresgrund war zudem voll mit raors, (Scheermesserfischen, Xyrichtys novacula, Anm. d. Red.), die auf den Balearen sehr häufig vorkamen. Fast alle zwei bis drei Meter sah man einen. Heute sind keine mehr zu sehen. Ich habe den Rückgang der Artenvielfalt ganz unmittelbar mitbekommen.

Was sind aktuell die größten Bedrohungen?

Die Verschmutzung, vor allem durch Abwasser, das ganzjährig ins Meer gelangt. Das ist kein typisches Problem der Balearen, sondern aller Meere und Ozeane auf der ganzen Welt. Auch die Überfischung stellt eine Herausforderung dar. Wir fischen und fischen und haben lange geglaubt, wir könnten problemlos so weitermachen. Jetzt sehen wir, dass die Bestände zurückgehen, viele große Fische verschwinden. Im Mittelmeerraum haben wir schon 99 Prozent der Haie getötet, weltweit 90 Prozent. Neben Makroplastik, das wir sehen, und dem nicht sichtbaren Mikroplastik ist auch die Erwärmung des Wassers ein großes Problem - vor allem im Mittelmeer, einem Gewässer, das fast ganz geschlossen ist. Hier geht die Erwärmung schneller vonstatten und ist deutlicher zu spüren. Zuletzt ist auch die Einführung invasiver Spezies eine Gefahr. ­Unter Wasser findet ein Verdrängungswett­bewerb statt zwischen neuen Spezies und ­denen, die vom Aussterben bedroht sind.

Wie kritisch ist der aktuelle Zustand des Mittelmeers tatsächlich?

Wir sollten ihn sehr ernst nehmen und reagieren. Wenn ich mich beim Arzt untersuchen lasse und er mir sagt, meine Cholesterin-Werte sind stark erhöht, lebe ich zwar noch, riskiere aber jeden Moment einen Herzinfarkt. Wenn ich meine Gewohnheiten umstelle, gesünder esse, mehr Sport treibe, sollten sich nach einer Zeit auch meine Werte verbessern. Das Beispiel lässt sich gut auf das Mittelmeer übertragen. Wir kennen die Probleme genau und es gibt auch für jedes eine Lösung. Manche sind schwerer in den Griff zu bekommen, andere leichter. Beispiel Wasserqualität: Durch die Technik, die uns heute zur Verfügung steht, können wir das Problem lösen, indem wir Abwasser richtig klären. Wenn wir dann etwas verändert haben, muss die Umwelt erst einmal darauf reagieren. Innerhalb von zehn Jahren könnte das Mittelmeer fast wieder in dem Zustand sein, in dem es vor etwa 60 Jahren war.

Mangelt es also eher an Gesetzen oder an ­unserem Bewusstsein?

An beidem. Es fällt uns sehr schwer, Gewohnheiten zu ändern. Daher brauchen wir Gesetze. Ein gutes Beispiel ist das Dekret zum Schutz des Poseidon-Seegrases auf den Balearen, das im Mittelmeerraum einzigartig ist. Die Inseln brauchen den Schiffstourismus. Wo vor 50 Jahren nur ein Schiff lag, liegen heute allerdings 200. Das sind Tausende von Ankern, die jeden Tag auf dem Meeresgrund aufschlagen. Dass das nicht so weitergehen kann, müssen wir erst einmal akzeptieren. Damit wir unser Verhalten ändern, braucht es dann gut gemachte und logische Gesetze.

Wie steht es um das Poseidongras?

Innerhalb der vergangenen 40 Jahre haben wir etwa 38 Prozent der Seegras-Wiesen verloren. Das ist schlimm. Dabei verfügen die Balearen über die größten Wiesen im Mittelmeer. Also sollten vor allem wir mit gutem Beispiel vorangehen, was deren Schutz betrifft.

Sie selbst haben die App „Posidonia Maps" entwickelt. Wie funktioniert sie?

Sie soll Bootsbesitzern beim Ankern im Meer helfen. Die Anwendung zeigt ihnen, wo sich Seegras befindet. Sie sollen weiterhin Spaß haben, es geht nur darum, keine Spur zu hinterlassen und nicht innerhalb weniger Stunden das zu zerstören, was die Natur im Laufe von Jahrzehnten geschaffen hat.

Sie sind trotz allem zuversichtlich, dass wir die Probleme in den Griff kriegen?

Es bringt nichts zu sagen: „Das ist schrecklich. Man kann gar nichts dagegen tun." Mit ­meinem Film möchte ich die Probleme, aber auch die Lösungen aufzeigen. 2030 würde ich gern in einer Umgebung tauchen, wie sie 1950 war. Das Mittelmeer zu retten, ist möglich - aber dafür müssen wir handeln. Wir müssen die Botschaft vermitteln, dass es nicht unsere ­Kinder sein werden, die ein wunderbares ­Mittelmeer sehen werden, sondern wir selbst.