Wenn dieser Tage besorgte Urlauber bei ihrem Reiseveranstalter Tui anrufen und sich erkundigen, ob der in der Karibik wütende Hurrikan Dorian Auswirkungen auf ihre Reise in die Dominikanische Republik oder nach Florida haben könnte, dann wird dieser Anruf höchstwahrscheinlich im Gewerbegebiet Son Castelló in Palma angenommen - sei es von Mitarbeitern aus Fleisch und Blut oder Systemen mit künstlicher Intelligenz. In der 15-stöckigen Torre Asima, sozusagen der Pforte des polígono, sitzen inzwischen 313 Call-Center-Agenten, die die Anfragen von Urlaubern in 115 Zielgebieten rund um den Globus beantworten. Weitere Call-Center des Reiseveranstalters gibt es zwar noch im türkischen Antalya und im portugiesischen Faro. Doch 72 Prozent aller Mitarbeiter befinden sich auf Mallorca. Der Leiter Fernando Nogueras und die Verantwortliche für die Personalabteilung, Adinda Vandewall, haben die MZ durch die Büroräume der zur Sparte Tui Destination Experiences gehörenden Abteilung geführt.

Dass die Kollegen in Palma selbst Anfragen zu Hotels beantworten können, die Zehntausende Kilometer entfernt sind, liegt daran, dass es eine gemeinsame Datenbank gibt, auf die jeder Mitarbeiter Zugriff hat und die von den Hotels möglichst detailliert ausgefüllt wird. „Wer Erfahrung hat, kann während des Telefonats in der Datenbank suchen und die Information nach wenigen Sekunden an die Anrufer weitergeben", erklärt Nogueras. Mitarbeiter, die erst seit Kurzem dabei sind, haben die Möglichkeit, den Kunden zurückzurufen oder eine Mail oder SMS zu schicken.

Überhaupt, so wundert sich Nogueras, sei es erstaunlich, wie viele Reisende noch immer die SMS als Kommunikationsmittel nutzten. Allein für den deutschsprachigen Markt beantworten die etwa 50 Mitarbeiter in Palma rund 150 SMS pro Tag. Bei Chats dagegen haben die Deutschen offenbar etwas Nachholbedarf. Während ein Großteil der Unterhaltungen im skandinavischen Markt bereits über einen Chatbot der App stattfindet, wird dieser von vielen Urlaubern noch links liegen gelassen. „Die Deutschen rufen einfach lieber an und sind vielleicht auch aus Datenschutzgründen bei digitalen Angeboten vorsichtiger", vermutet Nogueras. Die Zahlen sprechen Bände: Während bei den Skandinaviern rund 30.000 Chats pro Monat bearbeitet werden müssen, sind es bei den zahlenmäßig deutlich überlegenen deutschsprachigen Kunden gerade mal knapp 5.000.

Um speziell häufig wiederkehrende Anfragen der Reisenden schneller abarbeiten zu können, setzt das Call-Center seit diesem Jahr auf künstliche Intelligenz. Hierfür wurde eine digitale Plattform entwickelt, mit der sich telefonische und schriftliche Anfragen von Urlaubern beispielsweise zu Abholzeiten vom Hotel oder den Besuchszeiten der Reiseleiter automatisiert beantworten lassen. Laut Tui machen derartige Anfragen rund 30 Prozent aller Anrufe aus. Mit der Zeit, die die Call-Center-Agenten durch die automatisierte Beantwortung einsparen, sollen komplexere Themen schneller bearbeitet werden.

Das System funktioniert bei der Vorführung für die MZ gut. Anhand der Buchungsnummer bekommt der Kunde beispielsweise die genaue Abholzeit am Hotel von einer digitalen Stimme mitgeteilt. In einem zweiten Schritt sollen dann auch die Anfragen, die über die App kommen, automatisch beantwortet werden. Wichtiges Argument für die Einbindung der künstlichen Intelligenz: Die Maschine lernt ständig dazu und kann die Anfragen in Kategorien ordnen. Automatisierte Antworten sollen somit im Lauf der Zeit immer präziser werden und in immer mehr Bereichen möglich sein.

Inzwischen hat das Call-Center in Palma vier Etagen des Hochhauses vollständig belegt, eine fünfte wird gerade hergerichtet. „Wir haben in diesem Jahr unsere Belegschaft beinahe verdoppelt", sagt Chef Nogueras. Von zuletzt rund 220 Mitarbeitern wuchs das Call-Center im Lauf dieses Jahres auf inzwischen 375 Mitarbeiter an. Neben den Agenten, die die Anrufe der Urlauber entgegennehmen, sind das vor allem Teamleiter, Informatik-Beauftragte und Datenanalysten. Nachwuchs wird eigentlich ständig gesucht, vor allem zu Beginn der Saison im März und April. Die Belegschaft in Son Castelló ist international. Für jeden der betreuten Märkte (deutschsprachig, englischsprachig, finnisch, norwegisch, dänisch, schwedisch, polnisch, belgisch und niederländisch) gibt es Muttersprachler, ein einigermaßen sicheres Englisch ist für alle Angestellten Pflicht.

Das Tui-Call-Center ist nicht das einzige, das im Gewerbegebiet Son Castelló um deutsche Mitarbeiter buhlt. Neben dem bereits seit Jahren angestammten Avedo-Center hatte erst im Juni dieses Jahres eine Filiale des Dresdner Anbieters Gevekom eröffnet. Der Wettbewerb um die Mitarbeiter ist also hart. Adinda Vandewall will davon nichts wissen. „Wir haben niemanden an die Konkurrenz verloren. Im Gegenteil: So langsam kommen von den anderen Centern die Leute zu uns." Die Höhe der Gehälter will Tui nicht kommunizieren. Man bewege sich im branchenüblichen Bereich. Das könnte heißen, dass ein knapp vierstelliges Monatsgehalt drin sein dürfte.