Eine Gewalttat wirft ihre dunklen Schatten auf die vergangenen Festtage und die Zustände in den Jugendheimen auf Mallorca. In der Nacht von Heiligabend auf den ersten Weihnachtstag ist ein 13-jähriges Mädchen, das aus einem Jugendheim in Palma geflohen war, Opfer einer mutmaßlichen Gruppenvergewaltigung geworden. Die Ermittlungen der Polizei, die Aussagen der mutmaßlichen Täter - in der Mehrzahl ebenfalls Minderjährige - sowie die Eindrücke der Sozialarbeiter, dass es sich bei dem Verbrechen keineswegs um einen Einzelfall handelt, lassen Zweifel an der Führung der Heime aufkommen.

Am Mittwoch (15.1.) leitete die Staatsanwaltschaft Ermittlungen zu möglicherweise systematischer sexueller Ausbeutung von Minderjährigen in den Heimen ein. Der Inselrat versprach eine Untersuchungskommission zu den Vorfällen.

An Heiligabend

Ausgelöst wurden diese Reaktionen durch eine mutmaßliche Gruppenvergewaltigung einer Heimbewohnerin in Palma. Den Ermittlungen zufolge war das Mädchen an Heiligabend zum wiederholten Male aus ihrem Heim abgehauen. Offenbar suchte die 13-Jährige Zuflucht in einer Bar im sozialen Brennpunkt Son Gotleu. Bereits dort sei ihr bezahlter Sex angeboten worden, während sie zum Konsum von Alkohol und Marihuana genötigt worden sei.

Eine 16-Jährige soll das Mädchen dann zu einer Wohnung im Viertel Camp Redó gebracht haben. Opfer und mutmaßliche Täter gaben an, dass die 13-Jährige Geschlechtsverkehr mit mehreren Jugendlichen im Alter zwischen 13 und 17 Jahren hatte. Die Beschuldigten sprachen von einvernehmlichem Sex, das Mädchen von Drohung, Erpressung und Schlägen. Später sei sie von einem der Täter in einem Fahrzeug erneut vergewaltigt und zurück in die Wohnung gebracht worden. Zwischendurch schickte das Mädchen per Handy Hilferufe auf die Telefonnummer einer ihr vertrauten Psychologin. Später gelang ihr die Flucht zurück zum Heim.

Acht Festnahmen

Die Nationalpolizei nahm sechs männliche Jugendliche zwischen 13 und 17 Jahren sowie einen19-jährigen Erwachsenen als mutmaßliche Vergewaltiger fest. Ebenso festgenommen wurde ein 16-jähriges Mädchen als mutmaßliche Kupplerin. Alle Verdächtigen kamen nach der Vernehmung vorerst frei. Die Ermittlungen laufen weiter.

Der einzige Erwachsene unter den Beschuldigten sagte aus, er habe an dem Abend kurz die besagte Wohnung aufgesucht, sei aber in Begleitung seiner Schwester und seiner Freundin gewesen und habe weder Kontakt zu dem Mädchen gehabt noch irgendetwas bemerkt. Die 13-Jährige forderte unterdessen, in ein Jugendheim auf dem spanischen Festland verlegt zu werden, weil sie die Rache der Beschuldigten fürchtet. Es handele sich um brutale Täter, manche von ihnen wohnten ebenfalls im Heim. Sie habe Angst, erstochen zu werden.

Kriminelles Netzwerk

Während die Untersuchungen in diesem Fall andauern, hat die Polizei Ermittlungen aufgrund eines weiteren Verdachts aufgenommen. Nach Befragung mehrerer Zeugen gibt es Hinweise auf ein kriminelles Netzwerk, das Bewohner von Jugendheimen in die Prostitution führt. Demnach nutzt das Netzwerk die schutzlose Lage Minderjähriger aus, die nicht selten wegen sexuellen Missbrauchs ihren Eltern weggenommen wurden. Sozialarbeiter sagen aus, dass die Bewohner häufiger aus den Heimen abhauen. Die Flucht sei einfach, da es sich um keine geschlossenen Anstalten handele. Die Kinder und Jugendlichen wohnen in den Heimen, besuchen aber normale Schulen und betreiben Sport oder andere Hobbys.

Häufig bestehe der Verdacht, dass die Minderjährigen während ihrer oft mehrtägigen Eskapaden Sex mit Erwachsenen haben und dafür Geld, kleine Geschenke oder Drogen erhalten. „Die Sozialarbeiter zeigen das an, aber die Behörden spielen das Thema herunter, weil sie keine Handhabe sehen", kritisiert ein Polizist, der in dem Milieu ermittelt.

Ein Sozialarbeiter ergänzt: „Wir können hier nicht von einem Prostitutionsnetzwerk sprechen. Es handelt sich um ein Verhalten, das die Mädchen als normal empfinden. Ihnen ist nicht bewusst, dass sie missbraucht werden." Häufig würden die 14- oder 15-jährigen Mädchen von ihren Mit-Heimbewohnerinnen angeworben. Oder sie würden von jungen Männern verführt: „Es sind sehr verletzbare Mädchen, die oft schreckliche Familiengeschichten hinter sich haben. Sie sehnen sich nach Zuwendung."

Das mallorquinische Sozialamt IMAS reagierte nach Bekanntwerden des Falls auf die in den Medien geäußerte Kritik. Dem Amt seien 16 Fälle von sexueller Ausbeutung von Jugendlichen bekannt. Dabei handele es sich um 15 Mädchen und einen Jungen. Man arbeite in diesen Fällen eng mit der Nationalpolizei zusammen. Zwei Mädchen seien zum Schutz in Heime aufs Festland verlegt worden.

Vom „Diario de Mallorca" befragte Sozialarbeiter halten diese Angaben für sehr untertrieben. Die Prostitution minderjähriger Mädchen sei viel weiter verbreitet, als das Amt zugeben wolle. Das Problem sei seit Jahren bekannt. Bislang seien keine effektiven Maßnahmen ergriffen worden.