Ich erinnere mich gut. Es war ein verregneter Morgen 2004. Als eine von etwa 40 Studentinnen und Studenten saß ich in einem der Vorlesungsräume der Jurafakultät an der Universität der Balearen, hier in Palma. Kanonisches Recht stand auf den Stundenplan und es ging um unsere Meinung zur ehelichen Gütertrennung, die im autonomen Recht der Balearen - im ­Gegensatz zu anderen Teilen Spaniens - automatisch nach der Hochzeit angewandt wird. Eine Kommilitonin, die sich gern lautstark zu Wort meldete, konnte sich auch diesmal nicht zurückhalten: „Natürlich bin ich für die Gütertrennung. Ich will doch nicht meinem Mann, der aus armen Verhältnissen stammt und womöglich wesentlich weniger verdient als ich, etwas von meinem Vermögen abgeben müssen."

Diese Aussage, die Ihnen jetzt vielleicht recht unspektakulär vorkommt, stellte für mich persönlich ein Vorher und ein Nachher dar. Schlagartig kam mir ein Gedanke in den Sinn: Was wäre passiert, wenn diese junge Studentin ein Mann gewesen wäre und solch ein Statement hinausposaunt hätte? Mit Sicherheit wären ihre Worte nicht unkommentiert geblieben und hätten die Empörung einiger Kommilitoninnen auf sich gezogen. Nun gut, im besagten Vorlesungsraum sagte niemand ein Wort, und mir wurde mit meinen damals 21 Jahren bewusst, dass Frauen im Vergleich zu Männern nicht immer benachteiligt sind - was Kritik am gegensätzlichen Geschlecht angeht, können sich Frauen zumindest in der Öffentlichkeit wesentlich mehr leisten als Männer, ohne dass sie umgehend als männerverachtend abgestempelt werden.

Aber lassen wir die Vergangenheit ruhen und konzentrieren wir uns auf das Hier und Jetzt. Am kommenden Sonntag (8.3.) ist Weltfrauentag, und auch in Palma de Mallorca werden wie schon im Vorjahr Hunderte Frauen und Mädchen auf die Straßen gehen. Werde ich eine von ihnen sein? Nein. Warum nicht? Bin ich etwa gegen Gleichberech­tigung, wähle rechts oder habe womöglich einen Macho zu Hause sitzen? Dreimal nein.

Ich würde mich sogar als eine Frau mit ­einem überaus un­ruhigen Gemüt und ausgeprägten Gerechtigkeitssinn bezeichnen. Und genau aus ­diesem Grund werden Sie mich nicht mit ­einem lilafarbenem T-Shirt, auf dem ein männerverachtender Spruch prangt, schreiend und außer mir vor Wut durch ­Palmas ­Straßen ziehen sehen. Ich übertreibe? Ja, gewiss gibt es auch Frauen, die friedlich für mehr Gleichberechtigung demonstrieren - keine Frage -, und ihnen gilt mein voller Respekt. Trotzdem kann und will ich mich nicht mit der generellen Stimmung, die der radikale Feminismus in ganz Spanien gegenwärtig verbreitet, identifizieren.

Blutjunge Mädchen reden davon, dass sie nicht frei sind und vom „Regime des Patriarchats" unterdrückt werden - und ich frage mich, leben diese Teilnehmerinnen im gleichen Land wie ich? Während meines gesamten ­Arbeitslebens in Spanien habe ich mich nicht ein einziges Mal benachteiligt ­gefühlt, weil ich eine Frau bin. Nicht einer meiner männ­lichen Berufskollegen oder ­Lebenspartner hat jemals etwas Frauenfeindliches mir gegenüber ­geäußert oder mich gar dazu gedrängt, mich in die Küche zu stellen.

Und wissen Sie was? ­Keine der mallorquinischen Frauen aus meinem Bekanntenkreis, auch nicht die­jenigen, die sich als Feministinnen bezeichnen, konnte mir eine Episode ihres eigenen Berufs- oder Privat­lebens oder das irgendeiner Bekannten schildern, in der sie etwas von der sogenannten violencia machista (chauvinistischen Gewalt) erfahren hätte. Bitte verstehen Sie mich nicht falsch - natürlich ist mir bewusst, dass häusliche Gewalt existiert und dass auch heute noch Frauen benachteiligt werden. In der Realität, in der ich lebe, ist das jedoch nicht die Regel, sondern eher die Ausnahme.

Daher hören sich für mich Standardaussagen à la „Das System unterdrückt die Frauenrechte, und wir müssen für unsere Freiheit kämpfen" eher wie auswendig gelernte Floskeln, die unüberlegt herausposaunt werden, weil es gerade angesagt ist, progressiv klingt und weil wir uns ja alle danach sehnen, für irgendetwas zu kämpfen.

Allerorten Kampfstimmung gegen Männer - von den Institutionen bis in die sozialen Medien. Auf femini­stischen Seiten im In­ternet sieht man Äxte schwingende Frauen oder Aussagen wie Nos están matando („Sie bringen uns um") und „Muerte al macho, machete al machote, si nos organizamos los matamos a todos, orga­nizate por la extinción del macho" (verkürzt: „Tod dem Macho, wenn wir uns zusammenschließen, können wir sie alle vernichten"). Auch an Häuserfassaden und auf Zebrastreifen in Palmas Innenstadt kann man diese Sprüche mittlerweile lesen.

Ich möchte mir nicht ausmalen, was geschehen würde, wenn das Bild der Frau mit der schwingenden Axt gegen das eines Mannes ausgetauscht und mit einem Spruch à la „Erhängt die Feministinnen" untertitelt würde. Dass Frauen Männer ganz allgemein als potenzielle Gewalttäter darstellen, darüber darf man sich hingegen kaum aufregen. Im Gegenteil - das Thema Feminismus ist in Spanien so ­angesagt, dass fast alle Parteien sich dem ­„Frauenkampf" verschrieben haben. Die Linkspartei Podemos hat sogar ihren offiziellen Namen in Unidas Podemos (was so viel heißt wie „Gemeinsam schaffen wir Frauen das") umgeändert. Eine überaus strategische Entscheidung - immerhin ist auch in Spanien die Hälfte aller Wahlberechtigen weiblich.

Mittlerweile sind viele der Meinung, dass diese Stimmungsmache überzogen und realitätsfern ist, aber die politische Korrektheit verklebt uns die Lippen. Extreme sind ja seit einigen Jahren überall hoch im Kurs - extrem links gegen extrem rechts, extrem vegan gegen extrem viel Fleisch, extrem fürs Klima gegen extreme Leugner. Aber eines ist diesen Extremen ­allen gemein: der extreme Hass aufeinander.

In einer Welt, in der wir immerfort zu ­Toleranz und Respekt gegenüber fremden Kulturen und Menschen aufgefordert werden, ­verlieren wir viel zu leicht aus den Augen, dass wir auch die Personen, die uns am nächsten stehen, seien sie nun männlich oder weiblich, politisch links oder rechts orientiert, vegan oder nicht vegan, aktive Umweltschützer oder Couch-Potatoes, gerecht behandeln sollten, ohne in die Falle der Verallgemeinerung zu tapsen.