Die fünfte Woche Ausgangssperre auf Mallorca - das belastet. Aber die meisten von uns plagt trotz der zunehmend schwierigeren wirtschaftlichen Situa­tion keine akute Existenzangst - oder gar Hunger. Anders stellt sich die Situation für viele der zumeist aus dem Senegal stammenden Straßenhändler dar, die normalerweise zwischen April und November versuchen, ihre Waren vor allem an die Urlauber zu bringen. Also an jene, die vorerst nicht mehr auf die Insel kommen.

Es sind schätzungsweise 500 bis 600 Senegalesen, die in den Sommermonaten vom Straßenverkauf auf Mallorca leben. Babacar Diakhate ist für viele von ihnen ein wichtiger Ansprechpartner. Der Senegalese kam einst selbst als Straßenhändler auf die Insel, arbeitet inzwischen aber für die Caritas. „Ich bekomme täglich an die 20 Anrufe von Straßenverkäufern", berichtet er der MZ. Viele seien verzweifelt und wüssten nicht mehr weiter.

„Das größte Problem ist, dass die allermeisten von ihnen keine Aufenthaltserlaubnis besitzen. So können sie natürlich keine staatlichen Hilfen in Anspruch nehmen", sagt Diakhate. Und selbst wenn sie Anrecht auf eine Unterstützung hätten, wie etwa Mietzuschüsse - kaum einer seiner Landsleute verfügt über ein Konto bei einer Bank, auf das das Geld überwiesen werden könnte.

Laut einer im Winter veröffentlichten Studie der Caritas leben mehr als 60 Prozent der senegalesischen Straßenverkäufer mit mindestens sechs weiteren Landsleuten zusammengepfercht in kleinen Wohnungen, sogenannten pisos patera, zusammen. Viele von ihnen, etwa 43 Prozent, teilen sich gar ihr Zimmer mit zwei oder mehr Männern, nur etwa jeder Zehnte hat ein Zimmer für sich allein. In solch beengten Wohnverhältnissen der Ausgangssperre zu unterliegen, sorge in Verbindung mit Geldsorgen für Frust und Gewaltausbrüche, so Babacar Diakhate.

Nach dem langen Winter praktisch ohne Einnahmen hätten viele der Straßenverkäufer inzwischen so gut wie kein Geld mehr. Das wird normalerweise ab spätestens April verdient, ein großer Teil davon wandert zu den Familien nach Afrika. „Zu Beginn der neuen Saison ist da kaum noch etwas übrig. Ich selbst habe das auch so erlebt", sagt der Caritas-Mitarbeiter.

Zu den eigenen finanziellen Nöten komme vor allem die Sorge um die Familie in der Heimat. „Die Leute schuften sich hier ab, um ihren Kindern Lebensmittel zu ermöglichen." Wenn auf Mallorca kein Geld hereinkomme, dann bekomme das die Familie in Afrika sofort und unmittelbarer zu spüren als die Männer auf Mallorca. „Hier auf der Insel gibt es im Notfall Tafeln oder Essensausgaben für Bedürftige, im Senegal gibt es nichts davon. Dort leiden die ersten Familien bereits an Hunger", schildert Diakhate die Situation. Und selbst wenn der ein oder andere noch über finanzielle Reserven verfügt, die er in die Heimat schicken könnte, sind derzeit die sogenannten locutorios, wo das Geld im Normalfall versendet werden kann, ohnehin alle geschlossen. Er lote mit der Caritas derzeit aus, wie er den Männern helfen könne, erzählt Diakhate. Eine Sprecherin der Caritas erklärt der MZ, dass zumindest manche der Männer in den Genuss der renta social garantizada, also der Existenzsicherung auf den Balearen, kommen könnten. Allerdings erfüllen nicht viele von ihnen die Bedingungen. Den anderen werde mit Lebensmitteln geholfen.

Als wäre das alles noch nicht schlimm genug, ist das Coronavirus inzwischen auch im Senegal angekommen. „Ein Straßenhändler, der in Italien gearbeitet hat, hat es bei einem Heimaturlaub eingeschleppt", meint Diakhate. 180 Fälle habe es Anfang der Woche gegeben, in einem Land mit einem längst nicht so gut ausgebauten Gesundheitssystem, womit das Schlimmste in den kommenden Wochen noch bevorstehe. Zu ihren vielfältigen Sorgen kämen bei den Männern deshalb jetzt auch noch die um die Gesundheit ihrer Angehörigen.