20 Jahre Erfahrung in der Tourismusbranche hat Gabriel Escarrer Jaume, der vor gut drei Jahren die Nachfolge seines Vaters an der ­Spitze der Hotelkette Meliá übernahm. Eine Situation wie die Corona-Krise hat er noch nie erlebt. Der 49-Jährige analysiert, wie es mit dem Tourismus auf den Inseln in den kommenden Monaten weitergehen könnte.

Müssen wir den Sommer 2020 aus touristischer Sicht schon abschreiben?

Das weiß ich nicht, aber es wird ein sehr harter Sommer. Alles wird sich ändern, wenn es eine Impfung gibt. Aber bis dahin können wir nicht still herumsitzen und warten. Wir haben der Landesregierung und der Zentralregierung Vorschläge unterbreitet, die die zerstörerischen Auswirkungen der Krise abmildern können. Dabei stehen an erster Stelle die Tests für Einheimische und Besucher. Wir leben auf einer Insel, wir können sehr genau kontrollieren, wer uns besucht - die Reisenden kommen nur per Schiff oder Flugzeug an. An zweiter Stelle steht ein Gesundheitspass, das ist etwas komplizierter, weil er auf europäischer Ebene koordiniert werden muss. Das wäre die einzige Chance, den Personentransport wieder zu ermöglichen. Sollte der Gesundheitspass nicht kommen, können wir die Saison abschreiben.

Die Landesregierung sagt voraus, dass die Inseln im August bei 25 Prozent des gewohnten Urlauberaufkommens sind und dass die Zahl der Urlauber danach Monat für Monat wächst. Wie sieht Ihre Prognose aus?

Ich halte mich selbst für einen Optimisten - und glaube, dass diese Prognose zu optimistisch ist. Nach meinen Gesprächen mit Fluggesellschaften und Reiseveranstaltern unserer ­wichtigsten Quellmärkte zweifle ich stark ­daran, dass sie im August wieder Flüge anbieten. Der spanische Markt wird der erste sein, der wieder anspringt. Allerdings wird die Kaufkraft der Menschen durch die Corona-Krise stark eingeschränkt sein. Erschwerend hinzu kommt, dass die Balearen neben den Kanaren in Spanien am meisten vom internationalen Tourismus abhängen.

Nach den letzten Ankündigungen von Tui und Jet2 war die Rede davon, Mitte Juni die Reisen aufzunehmen. Hat sich daran etwas geändert?

Ich will keine Namen nennen, aber wenn man auf die Websites der Unternehmen geht, dann werden dort bereits Reisen für Sommer 2021 angeboten. Das ist im April noch nie vorgekommen. Der Verkauf beginnt normalerweise frühestens im September oder Oktober. Die Aussichten ändern sich wöchentlich. Wenn man jetzt die Belegung der Hotels im Juli und August anschaut, ist das bisher zwar nicht zum Fürchten, aber das Problem ist, dass die Buchungen alle mit der Zeit storniert werden. Die Leute warten bis zum letzten Moment und stornieren dann. Wir hatten noch nie mit einer Krise in dieser Größenordnung zu tun.

Wie sieht denn Ihr Zeitplan für die Rückkehr des Tourismus aus?

Fragen Sie die Zentralregierung. Wir brauchen meiner Meinung nach erst einmal Massentests in der Bevölkerung. Wenn ich Präsidentin dieser Region wäre, würde ich daran arbeiten, ­damit wir das Thema unter Kontrolle haben, sobald der Alarmzustand beendet ist. Die ­Balearen haben die Möglichkeit, sich jetzt als sicheres Reiseziel zu positionieren. In der ­gleichen Weise wie der 11. September 2001 unsere Reiseprotokolle veränderte, ist es doch jetzt kein Problem, einen Test zu machen. Das kommt der Sicherheit aller zugute. Diese Formalität wird uns auch noch lange erhalten bleiben. Solange wir nicht imstande sind, diese Sicherheit zu bieten, können wir uns auf den Balearen vom Gedanken verabschieden, Urlauber von außerhalb zu empfangen.

Allerdings scheint es, als sei die Landesregierung vor allem darauf bedacht, Häfen und Flughäfen so spät wie möglich zu öffnen.

Wenn das wirklich so ist, können wir die Saison abschreiben, und in einem Jahr werden wir dann über die Opfer der Corona-Krise reden. Klar ist es ein Balanceakt. Man muss vor allem die Gesundheit gewährleisten, aber man muss die Maßnahmen in ein Gleichgewicht bringen, damit auch die Wirtschaft weiterlaufen kann.

Eine der Hauptfragen am Corona-Notfall­telefon in Deutschland war, ob die Reise­pläne im Sommer hinfällig werden.

Die Leute sind verrückt danach zu verreisen, genauso wie sie verrückt danach sind, endlich wieder aus dem Haus zu dürfen. Aber ich glaube auch, dass es eine Illusion ist, von jeglicher Art von Urlaub zu sprechen, bis wir nicht in den Zielgebieten dieses Sicherheitsgefühl vermitteln können. Würden Sie mit Mundschutz, Handschuhen und der ständigen Angst in ein anderes Land reisen? Spanien war immer auch deshalb ein so beliebtes Reiseziel, weil es sicher war. Wenn aber in den Quellmärkten das Gefühl herrscht, dass das Krisenmanagement hier nicht optimal war, dann kann es sein, dass die Leute nicht zu uns kommen wollen.

Welche Sicherheitsvorkehrungen muss die Tourismusbranche treffen?

Niemand wird ein Ferienhotel öffnen wollen, in dem alle Mundschutz tragen müssen, sogar am Strand. Oder in dem zwischen den Tischen im Speisesaal Trennwände aufgestellt sind. Der Familienurlaub ist sehr wichtig für uns. Und wenn man mich in eine solche Sardinenbüchse stecken will, dann ziehe ich es vor, zu Hause zu bleiben. Das ist doch absurd und dem Grundgedanken des Urlaubmachens zuwider. Sinnvoller wäre es, den Urlaubern beim Check-in ein Zeitfenster für das Frühstück mitzugeben, um für genügend Abstand im Speise­saal zu sorgen.

Was passiert nach den ERTE-Maßnahmen zur Kurzarbeit? Wird es Entlassungen ­geben?

Hoffentlich nicht. Aber wenn es in diesem Jahr keine Urlaubssaison gibt, werden wir bis Ostern 2021 keine Einnahmen haben. Welche Branche kann ein Jahr lang ohne Einnahmen überstehen, ohne Angestellte entlassen und Ausgaben streichen zu müssen?

Die Lohnerhöhung für die Angestellten in der Hotellerie ist ausgesetzt worden. Kommt sie dann in einem Jahr?

Ich würde es mir wünschen. Die Hoteliers ­haben in den vergangenen sehr guten Jahren einen großen Teil der Einnahmen unter allen Beteiligten der Branche verteilt. Aber es ist klar, dass das ohne Einnahmen nicht geht. ­Tourismusminister Iago Negueruela hat es ­geschafft, in einem schwierigen Umfeld einen Kompromiss zwischen Hoteliers und Gewerkschaften zu erzielen.

Sie waren immer sehr kritisch gegenüber der Touristensteuer. Ist der Moment gekommen, sie abzuschaffen?

Dieses Jahr nicht, denn ohne Übernachtungen gibt es auch keine Steuer. Ich habe aber immer gesagt, dass das eine kurzsichtige Maßnahme ist, die unserer Wettbewerbsfähigkeit schadet. Alle Märkte im Mittelmeerraum werden in der Preisgestaltung im kommenden Jahr sehr flexibel sein. Die Wettbewerber überlegen schon, die touristische Mehrwertsteuer zu senken. Um mithalten zu können, muss jede ungerechtfertigte Abgabe - die Touristensteuer ist es für mich - gestrichen werden.

Zeigt sich jetzt nicht, dass wir zu sehr vom Tourismus abhängen?

Auch ich wünschte mir mehr Vielfalt, aber es bringt nichts, eine Branche zu verteufeln, die extrem wettbewerbsfähig ist. Sie besteht aus mehr als Reisebüros, Fluggesellschaften, Reise­veranstaltern oder Hotels. Ich war immer dafür aus dem Technologie-Park ParcBit eine Art Silicon Valley des Tourismus zu machen. Da haben wir viel saisonunabhängiges Know-how, das wir exportieren und verkaufen können.