Sie ist Mitte 20, kommt aus Lateinamerika, hat praktisch keine sozialen Kontakte auf Mallorca, keine Aufenthaltsgenehmigung, kaum Geld, um ihr kleines Zimmer in Palma zu bezahlen. Dennoch schickt sie regelmäßig Scheine in die Heimat. Schon in ihrer Kindheit war die junge Frau - nennen wir sie Vicky - mit Armut konfrontiert. In Europa erhoffte sie sich ein besseres Leben - zur Not durch Prostitution. Die ersten zwei Jahre konnte sie sich mehr schlecht als recht damit über Wasser halten, ihren Körper an Fremde zu verkaufen. Dann kam Corona, die monatelange Ausgangssperre, die neue Normalität. Und Social Distancing, das Gebot der ­Stunde, das sich so gar nicht mit Vickys Beruf vereinbaren lässt. Wenn Vickys Situation vor der Pandemie prekär war, so ist sie jetzt fatal.

Magdalena Alomar hat täglich mit Frauen zu tun, die Vickys Schicksal teilen. Sie koordiniert im gemeinnützigen Casal Petit in Palma die Betreuung von Prostituierten in Not. Im Jahr 2019 suchten 250 Frauen die Dienste der Organisation auf. In diesem Jahr sind es allein während des Alarmzustands fast 380 gewesen. „Die Nachfrage nach Prostitution ist während der Ausgangssperre nicht ganz eingeschlafen, aber logischerweise stark gesunken", so ­Alomar. Schließlich standen Polizeikontrollen an jeder Ecke, ganz zu schweigen von der ­eigenen Ehefrau, die bei jedem längeren Aufenthalt des Gatten außer Haus misstrauisch wurde. Das bedeutete lange Wochen ohne Einnahmen für die Prostituierten, die auch kein Recht auf Kurzarbeits- oder Arbeitslosengeld vom Staat haben. Anders als in Deutschland findet Prostitution in Spanien im recht­lichen Graubereich statt. Es gibt abgesehen von ­Sittenverordnungen einiger Gemeinden ­praktisch keine gesetzliche Regelung - Prosti­tution ist somit weder legal noch illegal.

Die Stripclubs und Bordelle auf Mallorca haben wegen Corona noch immer geschlossen. An Teilen der Playa de Palma und in Magaluf ist der Partytourismus, der auch immer zahlende Kunden mit sich brachte, durch ­Corona vollkommen eingefroren. „Die meisten Prosti­tuierten arbeiten jetzt in Privatwohnungen, teils zu noch gefährlicheren Bedingungen als bisher", so Alomar. Denn Hygienestandards und Schutz vor Missbrauch und Gewalt seien dort meist noch geringer. „Vielleicht stellt die eine oder andere Desinfektionsgel in den Eingang, aber das Ansteckungsrisiko ist natürlich trotzdem da", so Alomar.

Das bestätigt auch Cati Vagur vom balearischen Roten Kreuz, die mit ihrem Team aus ­Sozialarbeitern die Frauen unterstützt. „Den Trend zu Prostitution in Privatwohnungen gab es schon vorher, nun hat er sich verstärkt", sagt sie. Auch der alte Straßenstrich in Palmas Altstadt an der Plaça Sant Antoni sei wieder ­belebter als in den vergangenen Jahren. „Aber insgesamt ist die Nachfrage geringer als in ­anderen Sommern, und Frauen, die ohnehin schon am Existenzminimum lebten, brechen nun die erwarteten Saisoneinnahmen weg."

Einige, berichtet Alomar vom Casal Petit, hätten während des Lockdowns tatsächlich versucht, jegliche Energie darauf zu verwenden, einen Weg aus der Prostitution zu finden. Obwohl die Weiterbildungs- und Sprachkurse der gemeinnützigen Organisation wegen ­Corona noch immer nicht stattfinden können, habe man die Frauen so gut es geht psychologisch am Telefon betreut. „Viele haben nun doch wieder Freier empfangen, weil sie das Geld einfach brauchen. Aber vielleicht wird die eine oder andere langfristig aufhören können", hofft Alomar.

Corona als Chance auf den Absprung? Cati Vagur vom Roten Kreuz bezweifelt das. „Freiwillig in dem Sinne, dass sie die Prostitution mögen, arbeitet keine der Frauen, die sich bei uns melden. Es ist die pure Not. Die Corona-Krise trifft sie härter als die meisten - und das, obwohl sie ohnehin schon leiden."

Inma Mas von Médicos del Mundo, einer weiteren Organisation, die auf Mallorca Prostituierte unterstützt, geht sogar noch weiter: „Durch die wirtschaftliche Krise sehen sich Frauen, die in den vergangenen Jahren auf dem normalen Arbeitsmarkt Fuß gefasst hatten, nun gezwungen, zur Prostitution zurückzukehren", so Mas. Und auch die Bedingungen, unter denen sie ihren Körper verkaufen, seien derzeit härter denn je. „Die Zuhälter üben noch mehr Druck auf die Prostituierten aus als zuvor. Nicht wenige Frauen werden buchstäblich gezwungen."