Trotz Mittagszeit und reduzierter Tischzahl gibt es an diesem Montag (21.9.) im Es Rebost an der Plaça d'Espanya jede Menge freie Plätze. Der deutsche Unternehmer Helmut Clemens, der weitere Filialen in den Straßen Jaume III. und Oms betreibt und Vizepräsident des Gastronomenverbandes Restauración-PIMEM auf Mallorca ist, sitzt mit seinem Laptop an einem der Tische. Eigentlich wollte er bei einer Demonstration gegen die Corona-Restriktionen sprechen, stattdessen gibt er nun der MZ ein Interview.

Warum haben Sie letztendlich nicht bei der Veranstaltung gesprochen?

Wir gingen von einer größeren Teilnehmerzahl und einem anderen Forum aus. Als ich die ersten Reden gehört hatte, habe ich Rücksprache mit PIMEM genommen. Wir haben entschieden, dass das Forum nicht adäquat war für das, worüber wir sprechen wollen.

Inwiefern nicht adäquat?

Es war eine kleine Gruppe von hauptsächlich ausländischem Publikum, wir hätten das gemischter erwartet. PIMEM ist eine lokale Unternehmervereinigung. Das hat nicht gepasst.

Auch wegen Verschwörungsanhängern?

Ich kann nicht beurteilen, ob da Verschwörungsanhänger dabei waren, aber wenn es in die Richtung geht, dass wir alle Kinder Gottes sind, dann können wir als Unternehmer uns nicht unbedingt damit identifizieren. Mit allem Respekt vor jeder Meinung setzen wir eher auf Fakten und Konkretes.

Welche Botschaft wollten Sie übermitteln?

Vorneweg, wir sind keine Leugner und wir solidarisieren uns mit allen, die wegen Corona leiden, sei es weil sie selbst erkrankt sind oder Angehörige verloren haben. Unsere Kritik richtet sich gegen die oftmals einseitige Berichterstattung und die Regierung, die den Gastronomen und vielen anderen Wirtschaftszweigen die Luft abdreht. Wir kämpfen ums Überleben.

Es gibt Schätzungen, dass ein Drittel der Restaurantbetriebe auf den Balearen bis Jahresende endgültig aufgibt.

Wir gehen davon aus, dass spanienweit 40 Prozent nicht überleben werden. Damit würden rund 800.000 Menschen arbeitslos.

Was sind die Auswirkungen bei Es Rebost?

Wir erfinden uns ständig neu, ohne dabei unsere Identität preiszugeben. Wir können nicht planen, weil sich die Auflagen ständig ändern. Wir wissen nicht, wie es mit der Kurzarbeit weitergeht. Hier an der Plaça d'Espanya sind 16 von 20 Mitarbeitern in Kurzarbeit. Wir haben die Öffnungszeiten reduziert und schließen sonntags. Und es werden noch viel mehr Änderungen nötig sein, um zu überleben.

Sie fürchten um Ihre geschäftliche Existenz?

So wie ein Großteil der Verbandsmitglieder. Wir kämpfen seit sechs Monaten. Die gesamte Wirtschaft wird im Namen von Covid abgewürgt.

Sie dürfen weniger Tische aufstellen, weniger Gäste empfangen, es gilt Maskenpflicht und Rauchverbot, Urlauber bleiben aus, die Kaufkraft sinkt. Was wiegt am schwersten?

Dass die Touristen nicht kommen, ärgert mich besonders und ist unnötig. Ich bin Nichtraucher, halte aber das Rauchverbot für nicht akzeptabel. Und dann werden die Kunden zusätzlich verscheucht, weil sich die Menschen angeblich in unseren Lokalen anstecken. Das ist absolut falsch. Die Polizei sollte lieber woanders strenger kontrollieren. Aber die sinkende Kaufkraft wird mittelfristig ohne Zweifel die stärksten Auswirkungen haben.

Welche Auflagen können Sie nachvollziehen?

Dass eine gewisse Distanz eingehalten werden muss, und das tun wir auch. Man kann natürlich darüber streiten, ob das 1,50 oder 2,50 Meter Tischabstand sein müssen. Ich kann auch nachvollziehen, dass das Personal im Kundenkontakt Maske tragen muss, auch wenn ich das für einen Zeitraum von acht Stunden für unzumutbar halte. Ich bin felsenfest davon überzeugt, dass die Kollateralschäden von all diesen Restriktionen größer sind als der Nutzen selbst.

Um Sie richtig zu verstehen: Sie kritisieren die bestehenden Restriktionen als nicht zielführend und Schikane, oder sagen Sie, man muss Folgen bis hin zu den Todesfällen, etwa in Seniorenheimen, in Kauf nehmen?

Ich denke, dass Thema ist noch zu heiß, um über Todesfälle zu sprechen, und alle Opfer haben meinen absoluten Respekt. Aber ich glaube, wenn man das Thema mit zeitlichem Abstand makroökonomisch betrachten und die Zahlen analysieren wird, dann wird man sehen, dass die Maßnahmen nicht die richtigen waren. Die wirtschaftlichen und die psychologischen Kollateralschäden werden schwerer wiegen. Ich glaube nicht an Verschwörungstheorien, aber ich glaube, die Regierung hat sich verlaufen.

Das Paradoxe am Kampf gegen die Pandemie ist, dass wir nicht wissen, wie es ohne diese Maßnahmen gekommen wäre - und man gerade deswegen irrtümlich glauben kann, dass sie gar nicht nötig waren.

Wie erklären wir uns, dass es eine zweite Welle gibt, obwohl alle Maske tragen?

Epidemiologen verweisen auf Zusammenkünfte von Familien und jungen Leuten, wo diese Regeln nicht eingehalten wurden.

Es ist natürlich eine äußerst komplexe Lage, in der ich kein Ministerpräsident sein wollte. Aber ich glaube, es fehlt an wissenschaftlicher Basis und einer richtigen Interpretation der Datengrundlage. Ich habe nicht den Eindruck, dass alle wissen, wovon sie sprechen. In Ländern wie Schweden wird die Risikogruppe geschützt, und die Wirtschaft kam nicht zum Stehen.

Ist die derzeitige Polarisierung auch Folge davon, dass die Restriktionen die Menschen so unterschiedlich treffen?

Das wäre ein Punkt meiner Rede gewesen. Es braucht mehr Solidarität, auch Beamte sollten den Gürtel enger schnallen. Ich halte es für unangebracht, dass gerade jetzt über Gehaltserhöhungen im öffentlichen Dienst diskutiert wird, während andere ums Überleben kämpfen und ihre Steuern wie immer zahlen sollen.

Es wurden zahlreiche Hilfen angekündigt. Was davon ist bei Ihnen angekommen?

Es gibt natürlich die Kurzarbeit, die aber äußerst schlecht gemanagt wird. Die Angestellten haben erst nach drei Monaten einen Teil davon gesehen, und es wurde falsch gerechnet. Eine gewisse Erleichterung ist der Wegfall der Abgaben für die Tische auf dem Gehweg. Müll- und Wassergebühren mussten wir dagegen auch während des Lockdowns zahlen.

Wie sieht die weitere Strategie aus?

PIMEM Restauración ist an einem Dialog mit der Regierung interessiert, dieser ist aber bisher nicht zustande gekommen, obwohl wir ein Anrecht darauf haben. Wir haben eine Menge Ideen für gemeinsame Lösungen. Wir brauchen dringend Hilfe, können aber auch helfen. Man könnte etwa viele unserer freien Kapazitäten nutzen, um Menschen, denen es schlecht geht, zu symbolischen Preisen Essen zu geben.

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