Stellen Sie sich vor, ein Kurier steht mit einem Paket vor Ihrer Tür. Es enthält den Kit „Zero Waste", darunter Stofftüten, Glasflaschen, Bambusbecher mit Silikondeckel, ein Strohhalm aus Metall. Zur Lieferung gehört ein Aufruf: Schaffen Sie es, einen Monat so zu haushalten, dass keinerlei Müll anfällt?

Die Aktion ist eine von zahlreichen Kampagnen der Initiative Rezero. Fünf Familien in Barcelona nahmen teil und dokumentierten ihre Erfahrungen im Video - von der langwierigen Planung des Einkaufs in Unverpackt-­Läden über die Schwierigkeit, an Milch ohne Verpackung zu kommen, bis hin zur Suche nach Bier in Pfandflaschen. „Wir haben für das Projekt den jährlichen Preis der Europäischen Woche zur Müllvermeidung gewonnen", sagt Roser Badia, Umwelt-Pädagogin und Koordinatorin der Initiative auf den Balearen, im ­Gespräch mit der Mallorca Zeitung.

Studienreise in Deutschland

Dabei hat Rezero bei dem Ziel für mehr Müllvermeidung, Wiederverwendung und Recy­cling längst nicht nur die Bürger im Blick. ­Vielmehr geht es um das gesamte System der Abfallwirtschaft. Die Organisation will Transparenz darüber schaffen, wie es tatsächlich um die Erfüllung der Recyclingquoten steht, welche Interessen dabei im Spiel sind und wie es besser funktionieren könnte. Rezero schob dazu vor vier Jahren etwa eine Dienstreise von Mallorca-Politikern nach Deutschland an, um das dortige Pfandsystem zu begutachten, oder nahm Einfluss auf die Erarbeitung des derzeit gültigen balearischen Müllgesetzes, dem beim Kampf gegen die Plastiklawine Pioniercharakter zugeschrieben wird.

Die Organisation, die seit 15 Jahren besteht und seit inzwischen zehn Jahren auch auf Mallorca vertreten ist, tritt damit als Öko-Lobby gegen widerstrebende Interessen großer Konzerne an. Diese machten zwar immer häufiger mit dem Stichwort Nachhaltigkeit Kampagne, verfolgten dabei aber oft in erster Linie Imagepflege, kritisiert Koordinatorin Badia.

Wein aus Pfandflaschen

Warum etwa werden bislang keinerlei Weinflaschen wiederverwendet? Dieser Frage geht das Projekt reWINE nach. Ein Pilotversuch in Katalonien spielte den gesamten Kreislauf mit teilnehmenden Bodegas, Restaurants und Geschäften durch - von der Abfüllung und Etikettierung über den Vertrieb und die Rückgabe bis hin zum Transport und der Reinigung der Flaschen. Von rund 150.000 verkauften Flaschen fanden 54 Prozent den Weg zurück in den Kreislauf - zwar nur 21 Prozent in Geschäften, aber sogar 96 Prozent im Fall der Restaurants. Da der Kreislauf hier geschlossen ist, erwies sich die Wiederverwendung als besonders einfach. Weitere Erkenntnis: Wirklich hohe Rückgabequoten waren nur zu erzielen, wenn auch ein Pfand auf die Flaschen erhoben wurde.

Mit den umfangreichen Erfahrungen aus Katalonien soll reWINE nun auch auf Mallorca an den Start gehen, Gespräche mit Bodegas haben bereits stattgefunden. Offen ist allerdings noch die Finanzierung des Projekts, infrage ­kämen öffentliche Subventionen wie auch ­private Sponsoren, sagt die Rezero-Koordinatorin. Denkbar sei darüber hinaus auch, das Projekt auf weitere Inselprodukte wie Milch oder Marmelade auszudehnen. Oder etwa eine zentrale Anlage zur Reinigung der Glasflaschen und -becher einzurichten.

Ein weiterer Schwerpunkt der Arbeit ist ­zudem die Beratung von Kommunen. Da sie dafür zuständig sind, den Müll abzutransportieren, kommt ihnen in der Abfallwirtschaft eine Schlüsselrolle zu. „Es gibt viele punktuelle Initiativen in den Rathäusern, aber dabei bleibt es dann oft", so Badia. Es fehle ein Gesamtkonzept, das sich nicht in Sensibilisierungskampagnen erschöpfe, sondern Ziele ­definiere und Strategien erarbeite. Nach zwei Dutzend Kommunen in Katalonien, die beraten wurden, erarbeitete Rezero einen Masterplan für die Abfallwirtschaft in der Gemeinde Artà im Jahr 2018, anschließend auch in der Großgemeinde Manacor. Mit weiteren Rathäusern sei man derzeit im Gespräch.

Eine Bibliothek der Dinge

Die Initiativen von Rezero gehen dabei weit über das hinaus, was normalerweise mit Müll gemeint ist, und umfassen alles, was Haushalte und Betriebe in irgendeiner Form entsorgen. Dass sich mit Nachhaltigkeit auch Geld sparen lässt, soll etwa das Projekt der „Biblioteca de las Cosas" zeigen, einer Bibliothek der Dinge. Die Idee: Genauso, wie man Bücher leihen kann, sollte es auch möglich sein, Gebrauchsgüter zu leasen, die man nur ab und zu mal braucht, die ansonsten aber die meiste Zeit nur Platz wegnehmen und irgendwann entsorgt werden müssen. Ein Elektroschrauber etwa ist laut Statistik im Durchschnitt nur 13 Minuten seiner gesamten Nutzungszeit in Betrieb - warum ihn also kaufen?

Nach Vorbildern aus London, Berlin und Toronto machten Anwohner in Barcelona für ein halbes Jahr lang den Versuch. Eine der Erkenntnisse: Es entwickelte sich mit der Zeit ein Netzwerk, das immer mehr Teilnehmer anziehen konnte, und so fanden immer mehr Dinge Eingang in den Fundus der Bibliothek der Dinge - von Küchengeräten über Rollstühle bis hin etwa zu Zelten.

Und auch die Lebensmittelverschwendung ist ein Arbeitsbereich der Stiftung. Wenn Restaurants restliches Essen oder Supermärkte Produkte mit abgelaufenem Mindesthaltbarkeitsdatum im Müll entsorgten, geschehe dies oft aus Unsicherheit, meint Koordinatorin Badia. Die Stiftung berate deswegen interessierte Betriebe, damit sie rechtlich auf der sicheren Seite seien.

Die neueste Kampagne nimmt im Zuge des derzeitigen Booms von Einwegprodukten vor dem Hintergrund der Corona-Pandemie das Material Plastik an sich ins Visier. Die Stiftung sammelte bereits vergangenes Jahr Urinproben von 20 Personen des öffentlichen Lebens - darunter war etwa der mallorquinische Künstler Miquel Barceló - und ließ sie in einem Labor in Norwegen auf Plastikrückstände untersuchen. Ergebnis: Es fanden sich in allen Proben laut der Stiftung bis zu 21 Substanzen, die auf das Plastik zurückzuführen sind. Nun wird die Kampagne ausgeweitet, die Urinproben werden von EU-Parlamentariern eingesammelt. Denn so weit Brüssel in einigen Umweltfragen manchen Nationalstaaten voraus sei, so viel Nachholbedarf gebe es bei anderen Themen wie den mutmaßlichen Auswirkungen von Plastik auf den menschlichen Körper, auf ­Hormonhaushalt, Allergien oder Krebszellen.

Neben der Lobby-Arbeit ganz oben dürfen aber die Verbraucher nicht aus dem Fokus geraten. Wer auf eigene Faust einmal ausprobieren will, ob er einen Monat ohne jeglichen Müll hinbekommt, kann sich auf der Website der Stiftung (rezero.cat) den Starter-Kit für 40 Euro online bestellen, eine De-luxe-Version mit 15 statt acht Artikeln gibt es für 65 Euro.