Kontinuität ist nicht gerade das, was die Corona-Politik auf Mallorca und den Nachbarinseln auszeichnet. Im Gegenteil, man verliert schnell den Überblick bei den sich ständig ändernden Regeln. Doch es gibt eine Ausnahme: Seit September sind die Bildungseinrichtungen auf Mallorca geöffnet. Und anders als beispielsweise in Deutschland steht hier nicht zur Debatte, den Unterricht wie im Frühjahr vergangenen Jahres wieder in die eigenen vier Wände zu verlegen. Was die Balearen richtig machen - und wo es hakt.

Die Situation

Kritik und Skepsis waren groß im August vergangenen Jahres. Nach fast sechs Monaten coronabedingter Ausnahmesituation sollten die Schulen auf den Balearen am 10. September wieder öffnen. Bereits seit Mai hatte die balearische Landesregierung an einer möglichst sicheren Öffnungsstrategie gefeilt, doch keine zwei Wochen vor Schulstart fehlten wichtige Details zu den Abläufen. Lehrer- und Elternverbände schimpften über Chaos und Informa­tionsmangel. Und viele hatten Sorge, dass mit Unterrichtsbeginn die Corona-Fallzahlen in die Höhe schießen könnten. Doch die stufenweise Öffnung gelang, und seitdem ist Ruhe eingekehrt.

„Die Schüler empfinden die Regeln längst als ganz natürlich. Das liegt auch daran, dass sie seit Schuljahresbeginn konstant geblieben sind", lobt Cristina Conti von der Elternvereinigung FAPA. Kinder ab sechs Jahren müssen während des gesamten Schultags ihre Masken aufbehalten, die Fenster in den Klassenräumen sind ständig geöffnet, gegessen und im Pausenhof gespielt wird nur mit Kindern aus derselben Lerngruppe, die Gruppengrößen sind limitiert. Seit Ende vergangenen Jahres befindet sich in jedem Klassenraum ein CO2-Messgerät. Nicht vorgeschrieben ist der Präsenzunterricht erst in den Stufen ab der achten Klasse (2º de ESO). Hier können die Einrichtungen selbst entscheiden, ob sie teilweise auf Homeschooling setzen.

Die Fallzahlen

Anfängliche Skeptiker wurden schnell eines Besseren belehrt: Trotz der allgemein steigenden Infektionszahlen auf den Balearen gab es seit dem Schulstart nach den Sommerferien bis zum Beginn der Weihnachtsferien nur 188 Schüler, die sich nachweislich in einer Bildungseinrichtung ansteckten. Das sind lediglich 0,09 Prozent aller Schüler auf den Inseln. Auch die Befürchtung, die Schulkinder müssten nun ständig wegen Verdachtsfällen in Quarantäne, bewahrheitete sich nicht: Im ersten Quartal des Schuljahres waren nur sechs Prozent der alumnos in Quarantäne. Und auch in der dritten Welle, die große Teile Europas nach den Weihnachtsfeiertagen überrollte, waren die Zahlen erstaunlich gering. „Die Bildungseinrichtungen bleiben die sichersten Orte", lobte die spanische Bildungsministerin Isabel Celaá Anfang Februar.

Tatsächlich ist die Zahl der registrierten Ansteckungen derzeit verschwindend gering: In der Woche vom 13. bis 19. Februar wurden auf den Balearen nur zwei der rund 16.340 Dozenten positiv getestet, wie aus der wöchentlichen Statistik des balearischen Gesundheitsministeriums hervorgeht. Das sind nur 0,01 Prozent. Bei den Schülern lag der Anteil der positiv Getesteten bei 0,07 Prozent. Nur 13 von insgesamt rund 8.000 Lerngruppen mussten in Quarantäne geschickt werden. Seit September musste keine Schule geschlossen werden.

Der Aufwand

Vertreter von Lehrer- und Elternverbänden sind mit den Politikern einer Meinung: Der Grund für die positive Bilanz liegt in den strengen Auflagen, aber auch daran, dass diese von allen Beteiligten schnell und konsequent eingehalten wurden. Dabei muss jeder Opfer bringen. „An kalten Tagen ist es bei offenem Fenster für die Schüler nicht angenehm, aber es ist aushaltbar, wenn man sich entsprechend anzieht", so Conti vom Elternverband FAPA.

In der balearischen Landesregierung arbeiten derweil täglich eigens geschaffene Teams aus dem Bildungs- und dem Gesundheitsministerium zusammen daran, durch Teststrategien und Rückverfolgung mögliche Infektionsherde gar nicht erst aufkommen zu lassen. „Wir haben allein bis Ende Dezember rund 35 Millionen Euro investiert, für Schutz- und Hygienematerial für das Schulpersonal, für die Einstellung von rund 600 neuen Lehrkräften und für die Installation der CO2-Messgeräte", sagt Antoni Morante, Generaldirektor für Planung und Koordination im Bildungsministerium. Etwa die gleiche Summe werde wohl auch im Jahr 2021 für die Pandemiebekämpfung in Schulen veranschlagt werden müssen. „Nicht zuletzt haben auch die Lehrer und Schulleiter in vielen Fällen einen Kraftakt auf sich genommen, vor allem an den weiterführenden Schulen, die sich freiwillig dazu entscheiden, auch für die höheren Klassen Präsenzunterricht anzubieten", so Conti.

Die Haken

Was der Pandemie zum Opfer fällt, sind fast alle schulischen Aktivitäten, die nicht im Lehrplan vorgeschrieben sind: Klassenfahrten, Ausflüge und auch viele AGs. „Vor allem sorgen wir uns um die Lernfortschritte der älteren Schüler, die mehrere Tage in der Woche von zu Hause aus lernen sollen oder per Videokonferenz am Unterricht teilnehmen", so die Elternsprecherin. Nicht in allen Fällen sei gewährleistet, dass Schüler mit Problemen täglich die Schule aufsuchen könnten. „Zudem besteht nun eine Kluft zwischen jenen, die normalen Präsenzunterricht erhalten, und jenen, die teilweise zu Hause sind. Gerade bei den obligatorischen Einstufungsprüfungen für die Unis werden diese Unterschiede ganz deutlich werden", prophezeit Conti. Eine entsprechende Studie, die die Elternvereinigung in Auftrag gegeben hat, zeigt ebenfalls, dass Schüler zu Hause deutlich weniger lernen als im Unterricht vor Ort. Oft scheitert der Präsenzunterricht der höheren Klassen aber schlicht am Mangel von Unterrichtsräumen.

Balearen als Vorbild?

Was Kontinuität und Konsequenz angeht, könnten auch deutsche Politiker von den Balearen lernen. Von Mitte Dezember an waren in allen Bundesländern die Schulen und Kitas wegen hoher Infektionszahlen geschlossen. Seit dem 22. Februar preschen einige Bundesländer mit ganz unterschiedlichen Öffnungsstrategien nun wieder vor - zum Unmut von Kanzlerin Angela Merkel, die lieber noch bis in den März hinein gewartet hätte. Die Herangehensweise ist unterschiedlich: In einigen Ländern dürfen die Eltern selbst entscheiden, ob sie ihre Kinder zur Schule schicken, in anderen kommt nur die Hälfte der Klasse im Wechselbetrieb in die Schule. Auch die Maskenpflicht variiert nach Alter oder aktuellem Inzidenzwert. Mal können die Schulen selbst entscheiden, mal entscheidet das Land.

Aussicht

„Es gibt derzeit keine Pläne, die Regeln in den Schulen zu lockern", berichtet Antoni Morante vom balearischen Bildungsministerium. Als Nächstes steht nun die Impfung von rund 25.000 Angestellten in den balearischen Bildungseinrichtungen ab der übernächsten Woche an. „Danach muss evaluiert werden."