Es ist 5 Uhr morgens, wenn das Herz von Palma besonders kräftig schlägt. Nicht 7 oder 8 Uhr, wenn in den meisten Wohnungen und Häusern der Wecker klingelt. Die feuchte Kälte frisst sich durch die Winterjacken und Warnwesten der Stauer im Hafen von Palma. Die erste Fähre, die am Dique del Oeste, der Westmole, anlegt, übertönt das sanfte Plätschern der Wellen am Kai.

Die Mole ist die Hauptschlagader dieses Herzens – dort, wo der Nachschub eintrifft, damit die Stadt und die Insel funktionieren. Die Ladeklappe öffnet sich und gibt den Blick frei auf Dutzende Lkw, die die Betriebe auf Mallorca mit Produkten und Rohmaterialien versorgen. Die Lieferkette auf der Insel ist eingespielt. Sobald die Lastwagen festen Boden unter den Reifen haben, steuern sie ihre Ziele an.

An diesem Tag kommt zwischen 5 und 6 Uhr morgens ein halbes Dutzend Fähren in dieser dunklen und wenig heimeligen Ecke des Hafens an. Der Alltag der Lkw-Fahrer ist kaum angenehmer.

Jesús Donet stammt aus der Region Valencia. | FOTOS: ARZAYUS

Jede Fähre verfügt über rund 2.000 sogenannte Linearmeter an Laderaum. „Jedes dieser Schiffe verlassen zwischen 70 und 80 Lastwagen“, erklärt Alejandro G., ein Mechaniker, der für eine der Transportfirmen arbeitet. Und so machen sich jeden Morgen vom Dique del Oeste rund 500 Lkw auf den Weg. Weitere Lkw kommen in anderen Ecken des Hafens an, insgesamt sind es auf den Balearen rund 1.500. Sie transportieren die Waren in die Lager der großen Zulieferer.

„Die Lkw sind bis oben geladen, da passt nichts mehr hinein. Die Arbeit hat in den vergangenen Monaten enorm zugenommen, die Nachfrage nimmt stark zu, der Black Friday und Weihnachten stehen vor der Tür“, sagt Jesús Donet am Steuer seines Lkw. Er arbeitet für ein Subunternehmen des Paketdienstes DHL.

Der Warenverkehr nimmt wieder deutlich zu

Die Hafenbehörde bestätigt die Zunahme an Waren und Gütern. „Wir nähern uns den Zahlen von vor der Pandemie an. Der Dezember 2019 ging im Hafen von Palma mit zehn Millionen Tonnen Waren zu Ende, und dieses Jahr sieht es so aus, als würden 8,5 Millionen Tonnen erreicht“, heißt es. 2020 dagegen waren es im Dezember nur 7,4 Millionen Tonnen.

Lkw über Lkw kommt frühmorgens in Palmas Hafen an. Bernardo Arzayus

Dass es im Hafen von Palma wie bereits andernorts auf der Welt zu massiven Warenstaus und Lieferengpässen kommen könnte, glauben die Lkw-Fahrer eher nicht. „Wir wissen zwar, dass aufgrund der Produktionsstopps in den Fabriken hier und da Baumaterial fehlt, oder auch Technikartikel, Spielsachen oder Autos aufgrund der Knappheit der Mikrochips. Aber sonst mangelt es an nichts“, sagt Jesús Donet. Die Bevölkerung sei allerdings unruhig, viele kauften mehr ein als sie bräuchten, weil sie eben doch Angst vor Lieferengpässen hätten.

Um 9 Uhr liegt der Hafen wieder friedlich da. Einige Lkw sind bereits zurückgekehrt, um die Fähre zurück aufs Festland zu nehmen. „Es ist kein einfaches Leben. Wer Lkw-Fahrer wird, der macht das, weil es ihm wirklich gefällt“, sagt Donet, der aus der Region Valencia stammt und die Route nach Mallorca seit drei Jahren fährt.

Früher war er vor allem auf dem Festland unterwegs, fuhr tagelang durch die verschiedenen Länder Europas, duschte sich in heruntergekommenen und schmutzigen Bädern, schlief im Lastwagen. „Das gibt es jetzt alles nicht mehr. Die meiste Zeit verbringe ich auf dem Schiff, es sind sieben Stunden hin und sieben Stunden zurück.“

Auch hierzulande fehlen Fahrer

Auf der Fähre habe er alles, was er brauche: eine Kabine, die er mit drei weiteren Fahrern teilt, regelmäßige Mahlzeiten, ein eigenes Badezimmer. „Ich bin die ganze Woche außer Haus. Daheim verbringe ich eineinhalb Tage, ziemlich genau 45 Stunden.“ An der Windschutzscheibe seines Lkw pendelt ein Herz mit einer bulgarischen Flagge. „Meine Frau stammt von dort.“ Zweimal am Tag spricht er mit ihr über Handy. „Ohne Liebe und Vertrauen würde das nicht funktionieren.“

Donet ist ordentlich und sauber. Das Bett im Lkw ist tadellos gemacht, mit gebügelter Minions-Bettwäsche. „Wenn ich das Schiff mal verpasse, kann ich mich da hinlegen. Das gefällt mir, weil es wie zu Hause ist.“ Um 18 Uhr kommt er wieder in Picanya bei Valencia an, wo dann die Rücksendungen vom Lkw geladen werden. „Dann nehme ich den nächsten voll beladenen Lastwagen und fahre wieder aufs Schiff.“

Der 48-Jährige aus Gandía war übrigens einer der Ersten, der Covid-19-Impfdosen auf die Insel brachte. Neben Post und Paketen transportiert er häufig medizinische Produkte.

Die Stunden auf dem Schiff lässt er nicht untätig verstreichen. „Ich frische mein Englisch auf, und jetzt habe ich einen Master in internationalem Handel, Logistik und Transportwesen begonnen“, erzählt er.

Carlos Quilachamín im Hafen von Palma. Bernardo Arzayus

Der Vormittag verstreicht ohne Zwischenfälle. In Palma bildet sich, anders als in China oder Los Angeles, kein Flaschenhals. Aber es sind Warnungen zu hören. „Es fehlen Lkw-Fahrer an allen Ecken und Enden. Jeden Moment könnte es zum Kollaps kommen“, sagt Carlos Quilachamín, ein anderer Fahrer. Es fehlen an die 400.000 Fahrer in Europa, 12.000 in Spanien.

Vor allem sind es die ungünstigen Arbeitsbedingungen, die dazu führen, dass junge Leute andere Berufe ergreifen. „Ich bin Selbstständiger und habe einen weiteren Lkw, der momentan aber stillsteht. Ich kann niemanden bezahlen, der ihn fährt. Ein Lkw-Fahrer verdiente früher mal 2.400 Euro, wenn es gut lief. Jetzt kommt er nicht mal auf 1.500 Euro. Wir werden pro Landgang bezahlt, rund 220 Euro. Davon gehen 60 Euro für Diesel drauf, 80 Euro für den Fahrer, dann die Sozialversicherung. Am Ende verdient man 90 Euro mit einer Fahrt. Wenn dann mal eine Reparatur fällig ist, wird es schon eng. Manchmal ist es rentabler, einen Lkw einfach stehen zu lassen.“

Drohender Kollaps zum Fest

Zu einem Kollaps könnte es kurz vor Weihnachten kommen – die Lkw-Fahrer haben zu einem Streik aufgerufen. Für die Zeit vom 19. bis 22. Dezember drohen sie mit Ausstand. Derzeit gebe es bereits Verzögerungen, die aber noch kein Problem darstellten, zumindest in der Lebensmittelversorgung, berichtet Bartolomé Servera, der Präsident der Vereinigung der Lebensmittellieferanten auf Mallorca. „Große Probleme haben wir mit asiatischen Produkten, die nicht in die Restaurants gelangen. Ihre Preise haben sich teilweise verdreifacht.“

Sollte der Streik nicht abgesagt werden, droht zehn Tage vor Weihnachten ein größeres Chaos, weil viele Kunden dann wohl versuchen, vorab Einkäufe zu tätigen.

Maximiliano Rodríguez im Terminal des Hafens. Bernardo Arzayus

Ein Grund für den angesetzten Streik – neben den hohen Preisen für Treibstoff und der Einführung von Mautgebühren auf den Schnellstraßen auf dem Festland: „Die Kunden verlangen inzwischen, dass wir auch die Waren auf- und abladen“, sagt Salvador Serra, Geschäftsführer der balearischen Transportvereinigung. Diese Forderung kritisiert auch Maximiliano Rodríguez scharf.

Der Lkw-Fahrer frühstückt gerade im Terminal der Mole. „Unsere Arbeit wird immer anspruchsvoller, wir sind doch keine Lagerarbeiter. Aber wir müssen es trotzdem machen. Wenn dir etwas dabei kaputtgeht, machen sie uns verantwortlich. Diese Arbeiten haben wir zuvor nie gemacht, oder wir wurden extra dafür bezahlt. Jetzt heißt es: Friss oder stirb.“

Im Sommer ist es noch schwieriger für die Fahrer

Rodríguez managt ein Unternehmen mit Lastwagen, die ohne eigenen Fahrer vom Festland übersetzen: Die Hafenarbeiter fahren die Fahrzeuge aus dem Schiff heraus, ein Fahrer holt den Lkw dann ab. „Wir transportieren vor allem Lebensmittel und Baumaterialien“, sagt der Argentinier. Seit er selbst nicht mehr auf dem Schiff unterwegs sei, habe sein Leben eine ganz andere Qualität erhalten. „Ich war früher teilweise zwei Wochen lang nicht zu Hause und konnte nicht bei meiner Frau sein, als unsere Zwillinge geboren wurden. Ich habe sie erst zwei Tage später kennengelernt.“

Im Sommer sei die Situation für die Lkw-Fahrer noch schwieriger als im Winter. Dann wird den Urlaubern Priorität auf den Fähren eingeräumt. „Wenn man ein bisschen zu spät kommt, darf man womöglich nicht mehr aufs Schiff, weil es voll ist. Dasselbe passiert mit den Kabinen, wo auch die Urlauber Vorrang haben. Im Sommer musste ich oft auf einem Sitz schlafen. Und es ist ein großer Unterschied, ob man eine Reise macht oder ob man arbeiten muss“, beklagt sich Rodríguez.

In der Hochsaison zeigt sich der Mangel an Lkw-Fahrern auf Mallorca noch stärker, wie Ezequiel Horrach berichtet. Er ist Präsident der Vereinigung der Warenlieferanten auf der Insel. „Und dieses Jahr wird man es noch mehr spüren als sonst, wir schleppen noch Verzögerungen wegen der weltweiten Lieferengpässe mit uns herum.“

Sollte die kommende Tourismussaison gut laufen, könne es zu größeren Schwierigkeiten kommen. Die hohen Dieselpreise und die explodierende Inflationsrate machen der Branche Sorgen. „Alles wird immer teurer, und es wird schwieriger, das Unternehmen am Laufen zu halten, sagt er. „Die Branche braucht Hilfen von der öffentlichen Hand. Außerdem ist es auf den Balearen unbedingt nötig, ein modernes Transport- und Logistikzentrum aufzubauen, so wie es jede andere autonome Region in Spanien hat.“ Derzeit befänden sich 70 Prozent der Unternehmen im Gewerbegebiet von Marratxí, aber jetzt sei ein Strukturwandel in die Gänge gekommen.

Von Männern dominiert

Florín Almas in seinem Lkw. Bernardo Arzayus

Um 12 Uhr mittags verändert sich das Publikum am Hafen. Die ersten „gewöhnlichen“ Passagiere kommen an. Sie vermischen sich mit den Fahrern, wobei beide Gruppen weiterhin einfach auseinanderzuhalten sind. Letztere ist ganz klar eine Männerdomäne. Weitere Fahrer kommen nach ihrer Tour über die Insel zurück an die Mole.

So auch Florín Almas, der mit leeren Paletten aus Llucmajor eintrifft. Er fährt seit 25 Jahren Lkw. „Das ist ein Scheißleben. Man wird ganz irre unter diesen Umständen, so wie man manchmal behandelt wird. Und wenn ich dann nach Hause komme und mit meiner Frau im Zimmer bin, will ich einfach nur allein sein“, klagt der dreifache Familienvater aus Rumänien. Einer seiner Söhne gewinnt regelmäßig Geigen-Wettbewerbe. Almas ist nur einen Tag in der Woche zu Hause in Sabadell in Katalonien.

„Ich habe mich an dieses Leben gewöhnt. Auf dem Schiff werden wir gut behandelt, mein Chef ist ein feiner Mensch. Aber die Betriebe, die ich beliefere, werden immer anspruchsvoller. Nichts passt ihnen mehr“, so der 52-Jährige. Es gebe keinen Tarifvertrag, die Gehälter seien zu niedrig. „Vor 20 Jahren habe ich deutlich mehr verdient, die Schuld tragen die Zwischenhändler, von denen es immer mehr gibt.“ Da sei es ja kein Wunder, dass niemand mehr Lkw-Fahrer werden wolle. Auch die Polizei werde immer strenger, häufig gebe es Kontrollen, Strafen würden fällig.

Florín Almas ist wortgewandt und eigentlich Ingenieur, wie er sagt. Er wurde zum Lkw-Fahrer, um aus dem kommunistischen Rumänien zu entkommen. „Mit 14 musste ich schon in einem Arbeitscamp schuften. Dort habe ich zwei Freunde sterben sehen. Mir lief das Blut aus dem Mund und aus der Nase. Das war das Schlimmste, was ich bisher erlebt habe.“

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Er war in Rumänien angestellt, arbeitete aber unter anderem auch schon auf den North Isles in Schottland in der Gasproduktion. Sein Beruf habe ihn erfüllt, doch irgendwann habe er vom Sozialismus genug gehabt und sei deswegen nach Spanien gekommen.

Florín Almas kann nicht weitererzählen, hinter ihm hupt ein anderer Lkw-Fahrer. Der Rumäne muss wieder aufs Schiff, das letzte, das an diesem Tag nach Barcelona zurückfährt. Es ist früher Nachmittag. Die Ladeklappe der Fähre schließt sich und damit die Hauptschlagader dieses fragilen Herzens, an dem viele unter prekären Bedingungen arbeiten.