Agustín Fernández sitzt in seinem provisorisch eingerichteten Labor im Erdgeschoss des Castell Bellver, genau 112 Meter über Palma, vor einem menschlichen Knochen. Es muss ein Teil des Unterschenkels sein, der Form nach zu urteilen. Der Archäologe ist zurzeit auf der Burg von Bellver damit beschäftigt, längst überfällige Restaurierungsarbeiten zu koordinieren und dabei gleichzeitig die Vergangenheit des Komplexes zu erforschen.

Dieses Gerüst sicherte über zehn Jahre lang die Südwestbastion ab. | FOTO: B. RAMON

An diesem Tag Mitte Dezember scheint die Sonne vom strahlend blauen Himmel, es weht keine Brise. Bestes Ausgrabungswetter, findet Fernández. Der November hat dem Team, das aus drei Archäologen von der Firma Refoart aus der Gemeinde Marratxí, drei bis sieben Helfern für die Grabungen sowie der städtischen Restauratorin Magdalena Rosselló besteht, mit Stürmen und Regen zuletzt häufiger einen Strich durch den Zeitplan gemacht. Begonnen wurden die Arbeiten im August. Ein Jahr haben die Spezialisten Zeit, um vor allem die Stützmauer an der Südwestbastion instand zu setzen und wieder aufzubauen sowie mehr über den Bau des Castell Bellver herauszufinden.

EIndeutig eine runde Burg, die einzige ihrer Art in Spanien: Castell Bellver. | FOTO: JOAN P. RAMIS

Lange Zeit passierte nichts

Eigentlich wäre es bereits vor Jahren höchste Zeit gewesen, die Arbeiten in der wegen ihrer runden Form einzigartigen Trutzburg zu starten, zu sehr war die Mauer an der Südwestbastion bereits in Mitleidenschaft gezogen. Sie stürzte bloß nicht ein, weil sie mit einem aufwendigen Gerüst gestützt wurde. „Zehn Jahre ging das nun so, und wir sind sehr froh, dass die Restaurierung endlich angegangen wurde“, sagt Fernández, der zwar öffentlich nicht die Stadtverwaltung kritisieren will, aber den Eindruck nicht vermeiden kann, dass es einem Archäologen in der Seele wehtut, dass so lange nichts getan worden ist. „Und das, obwohl das Castell Bellver nach der Kathedrale von Palma unter den Monumenten Mallorcas die meisten Besucher anlockt.“ Schließlich ist Bellver die einzige runde Burg in Spanien und die älteste von nur vier ihrer Art in Europa.

Und dann nimmt uns Fernández mit und zeigt uns zunächst die fragliche Mauer – oder besser gesagt das, was davon übrig geblieben ist. Man sieht vor allem ein großes Loch in der Mauer. Linker Hand ist noch ein Stück Befestigung übrig. Auf den einzelnen, sehr unterschiedlich großen und teils unförmigen Steinen, die mit einer Sand-Erd-Mischung zusammengehalten werden, stehen Nummern. B2, B3, C1, C2 ... „Sie sind wichtig, weil die Steine genau an derselben Stelle wieder eingesetzt werden müssen“, erklärt Fernández. Die Steine an sich werden auch nicht restauriert, sondern lediglich die Struktur.

Regen, Stürme, Feuchtigkeit, Kälte und Salz vom Meer her haben die „nicht besonders gut gebaute“ Mauer erodieren lassen, wie es Fernández ausdrückt. Der Mörtel werde nun deutlich stabiler angerührt, die Spezialisten geben außerdem Kalk dazu, damit die Mauer nun wieder einige Jahrhunderte halten kann. Schließlich ist es der Teil der Fassade, der auf der Wetterseite steht. Ursprünglich stammt das Castell aus dem frühen 14. Jahrhundert, die Mauer sei aber im 16. Jahrhundert noch einmal an die neuen Gegebenheiten angepasst worden – es kamen Schießscharten für die Kanonen hinzu, die es im Mittelalter noch nicht gegeben hatte.

Die Ausgrabungen finden für jeden sichtbar im öffentlichen Bereich statt. Wer sich derzeit auf dem Castell Bellver umschaut, kann noch mehr von der Geschichte des Bauwerks erfahren als sonst schon.

Überraschender Skelettfund

An einer anderen Stelle, der Westbastion, wo ein kleines Gebäude heute die Besuchertoiletten beherbergt, sind Fernández und Rosselló ebenfalls im Einsatz. Hier haben die Archäologen Anfang Dezember zwei Skelette ausgegraben – ein durchaus unerwarteter Fund. „Es ist nicht so ungewöhnlich, dass auf Bellver Menschen gestorben sind, dafür wurde das Castell zu häufig bereits als Gefängnis genutzt. Aber es ist erstaunlich, dass die beiden Leichen direkt innerhalb der Burg beerdigt wurden“, sagt Restauratorin Magdalena Rosselló. Warum das so ist und wer die beiden Toten sind, wissen die Forscher noch nicht.

Fernández hat in seinem Labor zahlreiche Knochen in beschriftete Tüten gesteckt. Diese sollen nun anhand einer Kohlenstoffanalyse genauer bestimmt werden. Dafür müssen die Archäologen allerdings noch eine Finanzierungsquelle auftun. Klar ist bereits jetzt, dass es sich nicht um Opfer aus der Zeit des Spanischen Bürgerkriegs zwischen 1936 und 1939 handeln kann. Es sind wohl vielmehr die sterblichen Überreste französischer Soldaten oder Offiziershelfer, die während der Napoleonischen Kriege in der Schlacht von Bailén in Andalusien im Jahr 1808 besiegt und anschließend im Castell de Bellver interniert wurden.

Aufschluss darüber gab vor allem das Stück eines alten Feuerzeugs, das neben einem der Toten gefunden wurde und das aus dem beginnenden 19. Jahrhundert stammt. In der Schicht über den beiden Toten lagen Schuhsohlen und weitere Gegenstände, die darauf hindeuten, dass dieser Platz Anfang des 20. Jahrhunderts als Müllkippe genutzt wurde.

Mittelalterliche Mauer entdeckt

Die Ausgrabungsarbeiten haben neben den beiden Toten noch weitere Erkenntnisse geliefert. So haben die Archäologen rund um das Castell Bellver eine mittelalterliche Mauer im Erdreich entdeckt, die offensichtlich um das gesamte Bauwerk herumführte. Schon länger gab es die Vermutung, dass außerhalb der Burg, aber innerhalb der Burgmauern eine weitere Struktur um das Castell Bellver führte. Doch bewiesen werden konnte das bislang nicht. „Zumal wir auch nicht über die ursprünglichen Baupläne aus dem 14. Jahrhundert verfügen, die sind bisher nirgends aufgetaucht“, sagt Agustín Fernández. Der Experte und sein Team arbeiten mit Plänen aus dem 16. Jahrhundert, als bereits zahlreiche Änderungen und Erweiterungen am Komplex vorgenommen wurden.

In der neu aufgetauchten Außenbefestigung waren offensichtlich Reitställe untergebracht. Fernández und seine Kollegen graben derzeit nahe der Stelle, an der die beiden Skelette gefunden wurden, möglichst tief in die Erde, um herauszufinden, wo der natürliche Fels beginnt. An einer Stelle sind die Arbeiten bereits bei 4,70 Meter Tiefe angelangt, erste Felsen sind zu sehen. Durch die Grabungen sollen auch Wassereinlagerungen in den Grundmauern beseitigt werden, die den ohnehin anfälligen Marés-Stein in Teilen schon zersetzt haben. An solchen Stellen setzen Rosselló und sein Team Verstärkungen ein.

Erschwerend kommt beim Erhalt von Castell Bellver hinzu, dass sich der Berg nach wie vor bewegt. Das führt dazu, dass das mächtige Bauwerk an einigen Stellen besorgniserregende Risse aufweist, die durch Regen und Kälte weiter verstärkt werden.

Heute in der Sonne aber genießt Fernández sichtlich die Ausgrabungen an einem derart privilegierten Ort wie Bellver. Seine Firma war schon an zahlreichen ähnlichen Projekten auf Mallorca beteiligt, etwa auf der Burg von Capdepera, an den Stadtmauern in Palma oder in Alcúdia oder auch an der Wasserleitung Canaleta de Massanella. Aber Bellver sei schon etwas Besonderes, meint er. Schon wegen der reichen Geschichte dieses Ortes.