Neckermann, der Reiseveranstalter, der vor 60 Jahren den Pauschalurlaub auf Mallorca miterfand, ist wieder aus der Versenkung aufgetaucht. Seit Anfang April lassen sich bei dem Traditionsanbieter erneut Reisen buchen. Das Unternehmen war 2019 als Teil von Thomas Cook in die Insolvenz gegangen. Die Markenrechte sicherte sich damals die türkische Anex-Gruppe. Für den Wiederaufbau des Urlaubsangebots ist nun als externer Berater Michael Nickel verantwortlich. Der 54-jährige Manager hatte zuvor bereits für mehrere deutsche Reiseveranstalter gearbeitet und sich selbstständig gemacht. Nickel kennt Mallorca bislang vor allem von privaten Urlauben – am liebsten auf einer Finca. Das Interview findet per Videokonferenz statt.

Wo setzen Sie jetzt mit Neckermann an? Vor der Thomas-Cook-Pleite, als die Welt noch in Ordnung war?

Wir wollen dorthin, wo Neckermann herkommt: ein klassischer Pauschalreise-Veranstalter ohne große Schnörkel mit gutem Preis-Leistungs-Verhältnis. Ich habe diese Aufgabe auch deswegen übernommen, weil die Marke noch immer eine Strahlkraft hat. Neckermann reizt jeden Touristiker. Am Anfang meiner Karriere war Neckermann immer das Feindbild. Die haben es einfach gut gemacht. Das hat einen immer angespornt, besser zu sein. Und der Bekanntheitsgrad der Marke ist nach wie vor extrem hoch, das bestätigen Umfragen.

Der Bekanntheitsgrad ist sicher von Vorteil. Der Nachteil ist die jüngere Geschichte mit der Pleite von Thomas Cook. Sie haben den Hoteliers auf Mallorca einen Brief geschrieben. Was haben Sie ihnen mitgegeben?

Vor allem, dass die Marke wieder da ist. Neckermann war ein erfolgreiches Unternehmen bis zur Pleite von Thomas Cook. Dafür kann aber Anex Tours nichts. Im Gegenteil, Anex Tours hat dann Neckermann neben Öger Tours und Bucher Reisen inklusive Personal übernommen. Da wurden ja sogar Arbeitsplätze gerettet. Dann kam leider die Pandemie, bevor der Markenrelaunch umgesetzt werden konnte. In meinem Brief habe ich die Hoteliers um ihre Unterstützung gebeten.

Wie fielen die Reaktionen der Hoteliers aus?

Auch wenn viele Partner in der Insolvenz Geld verloren haben, sind die ersten Erfahrungen, die wir nun in den zwei Monaten gemacht haben, extrem positiv. Ich hatte mehr Skepsis erwartet. Es gibt den ein oder anderen Hotelier, der dann mal fragt, wer bezahlt meine Thomas-Cook-Schulden, aber das sind Einzelfälle.

Und was ist mit den Urlaubern? Assozieren sie Neckermann nicht mit der Thomas-Cook-Pleite?

Eindeutig nein. In einer repräsentativen Studie des Markforschungsunternehmens YouGov, die wir zum Start in Auftrag gegeben hatten, wurde gefragt: Würden Sie wieder mit Neckermann reisen? Das Ergebnis hat auch uns überrascht. Von den 70 Prozent, die die Marke noch kennen, konnten sich das rund drei Viertel vorstellen. Nur weniger als fünf Prozent sagen: auf keinen Fall.

Bei den Reisebüros ist die Skepsis gegenüber Neckermann noch groß.

Die Reaktionen zum Start waren sehr unterschiedlich. Von kritischen Stimmen über Zurückhaltung bis hin zu Jubel war alles dabei. Aber klar: Im stationären Vertrieb werden wir mehr Überzeugungsarbeit leisten müssen als bei den Urlaubern. Und da setzen wir auch an. Wir werden erst Geld in die Werbung schießen, wenn wir den deutschen Reisebüro-Vertrieb überzeugt haben. Mit Qualität und gutem Service wird uns das schnell gelingen.

Was bieten Sie, was andere nicht bieten?

Wir werden das Rad nicht neu erfinden, bieten dem Kunden aber eine hohe Verlässlichkeit. Er bekommt, was er erwartet und bezahlt hat. Handverlesene Hotels mit hoher Kundenzufriedenheit zu einem guten Preis. In der momentanen Phase nach der Pandemie und mit dem Ukraine-Krieg werden wir nicht hergehen und viel Geld unvorbereitet in Exklusivität und Ähnliches stecken. Man braucht in der Regel kein großes Portfolio, um viele Menschen zu bewegen. Ein Großteil der Urlauber, die Pauschalreisen kaufen, bucht einen Bruchteil der von den Veranstaltern angebotenen Hotels. Das fokussiert sich auf ein klassisches Vier-Sterne-All-inclusive-Produkt möglichst am Strand zu einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis. Es muss nicht das Billigste sein, es muss eine gute Qualität haben und die Abwicklung muss stimmen. Das ist unser Ansatz. Wir wollen nicht preisgetrieben sein, sondern setzen auf Qualität. Wir werden durch die Kraft der Marke Marktanteile von anderen Anbietern zurückgewinnen. Da können wir sehr selbstbewusst auftreten. Und wir wollen uns nicht mit den Billigheimern vergleichen, sondern eher mit anderen etablierten Anbietern wie Schauinsland oder Alltours. Das sind unsere Konkurrenten.

Das sieht in diesem Jahr noch etwas anders aus. Für Anfang Mai etwa gibt es ein Angebot in einem Vier-Sterne-Hotel auf Mallorca mit Flug und Übernachtung für 298 Euro pro Person.

Ähnliche Angebote wird man auch bei Wettbewerbern finden. Es ist aber richtig, dass sind nicht die Angebote, für die wir perspektivisch stehen wollen. So kurz nach dem Start haben wir natürlich noch einige, vor allem technische Anlaufschwierigkeiten. In Kürze werden die behoben sein, dann haben wir wie geplant 1.000 Hotels im System. Wir sehen 2022 als Testphase, um in den Markt reinzukommen und wollten nicht noch ein weiteres Jahr verplempern. Nächstes Jahr werden wir groß mitmischen.

Die 298 Euro sind ein Kampfpreis.

Wir haben eine Kalkulation zugrunde gelegt, die profitabel ist. Ein Paket, das nicht profitabel ist, wird in der Regel nicht in unserem Buchungssystem erscheinen.

Noch einmal: Sie wollen die Marke in dieser Saison nicht über den Preis etablieren?

Nein, das ist definitiv nicht unser Ansatz. Wenn wir es diese Saison so machen würden, wären wir unglaubwürdig. Wir haben schon sehr preisaggressive Marken im Konzern – etwa mit dem Last-minute-Spezialisten Bucher Reisen. Davon brauchen wir nicht noch mehr. Mit Neckermann fahren wir eine andere Preisstrategie. Die Marke hat das Potenzial, damit gutes Geld zu verdienen.

Wie viele Hotels haben Sie auf Mallorca ausgewählt und nach welchen Kriterien?

Wir bieten hier knapp 200 Hotels an, aber noch sind nicht alle auf der Website. Ausschlaggebend bei der Auswahl ist ganz klar die Zufriedenheit der Gäste. Hier greifen wir auf die Referenzwerte von Holidaycheck zurück. Unser Portfolio umfasst überwiegend Vier-Sterne-Hotels. Es können aber auch mal preislich interessante Fünf-Sterne-Hotels dabei sein. Zwei- oder Drei-Sterne-Häuser lassen wir eher außen vor. Die Hotels sollen familienfreundlich oder auf die Bedürfnisse von Best Agern zugeschnitten sein. Das sind unsere Kernzielgruppen.

Das klingt nicht nach einem sehr innovativen Ansatz. Haben Sie keinen Ehrgeiz, die jüngere Zielgruppe anzusprechen?

Das Durchschnittsalter der Deutschen liegt bei rund 45 Jahren. Wer viele Menschen erreichen will, muss den Mainstream bedienen. Und genau das machen wir: Flugpauschalreisen zu den beliebtesten Sonnenzielen. Und die meisten Leute wollen das im Paket. Daran hat sich bis heute nichts geändert. Das schließt aber nicht aus, dass wir uns später auch mal ganz gezielt um interessante und innovative Angebote für junge Menschen kümmern.

Neckermann steht ja auch für die Erfindung des Massentourismus. Etwas, wovon die Politik auf der Insel inzwischen verstärkt versucht abzurücken. Wie verhält sich die neue Marke Neckermann zu diesem Thema?

Die Insel hat zweifellos ihre Kapazitätsgrenzen erreicht. Die zusätzlichen Gästeströme der vergangenen Jahren sind aber nicht auf die Reiseveranstalter zurückzuführen, sondern auf Unmengen von Kreuzfahrtgästen und ein exzessives Wachstum bei Privatunterkünften. Hier ist es für mich absolut nachvollziehbar, dass die Politik eingreift. Der Kuchen der Veranstalter-Kunden auf Mallorca wird durch das Comeback von Neckermann nicht größer werden. Wir werden uns vor allem Marktanteile von anderen zurückholen. Es wird also lediglich eine Umverteilung stattfinden.

Aber die negativen Folgen sind nicht von der Hand zu weisen.

Ich bin durchaus auch der Meinung, dass die Insel nicht noch mehr Tourismus verträgt. Aber man darf auch nicht den Ast abschneiden, auf dem man sitzt. Es ist doch scheinheilig zu sagen: Wir sind die reichste Region Spaniens geworden durch den Massentourismus, wollen ihn aber nicht mehr. Erst ist der Pauschalreise-Tourismus der Heilsbringer, der Arbeitsplätze schafft und wirtschaftlichen Wohlstand bringt. Und dann, wenn es gut läuft und andere, auch exklusivere Kunden angezogen werden, will man ihn nicht mehr. Im Endeffekt ist es die Saat gewesen, die der Pauschaltourismus ausgelegt hat. Und aus dieser Saat sind dann auch ein paar schöne Blumen hervorgegangen. Aber sie stammen vom selben Rasen. Man darf das Thema jetzt nicht einfach umdrehen und sagen: Ich mache den Rasen platt und hab nur noch schöne Blumen. Das wird nicht funktionieren, denn der Flughafen wird nicht nur für die Finca-Urlauber aufrecht erhalten. Wir sind uns unserer Verantwortung schon bewusst und werden den Overtourism nicht befeuern.

Was bedeutet das konkret? Haben Sie einen Katalog an Umweltschutzrichtlinien oder Nachhaltigkeitszielen, die Sie an die Hotels anlegen?

Keine Frage, das Thema ist wichtig. Aber noch ist unser ökologischer Fußabdruck sehr klein und die Prioritäten sind zum Start erst mal andere. Perspektivisch werden wir uns aber hier nicht aus der Verantwortung stehlen.

Ist es also mittelfristig geplant, nachhaltiger zu werden?

Mit zunehmendem wirtschaftlichen Erfolg werden wir auch Konzepte und Strategien für mehr Nachhaltigkeit entwickeln. Im Prinzip können wir alles anbieten, aber die Kunden müssen auch mitziehen. Umweltschutz kostet Geld. Und noch ist die Bereitschaft der Urlauber, dafür auch tiefer in die Tasche zu greifen, leider überschaubar. Das wird sich ändern, davon bin ich überzeugt.