Es war im Jahr 2009, kurz nach Ausbruch der letzten Wirtschaftskrise, als zwei Männer an die Pforten der Kirche in Cala Millor auf Mallorca klopften. "Wir haben Hunger", sagten sie. Tomeu Pastor Oliver, damals Pfarrer der Kirchengemeinde und bis heute Mönch im Franziskanerkloster in Artà, handelte unmittelbar: Er leerte den Gemeindekühlschrank und gab den Männern alles, was er darin finden konnte. Statt sich über seine gute Tat zu freuen, geriet er ins Grübeln. „Es ist eine unmittelbare Lösung, aber keine langfristige", fand Pastor. Voller Elan stellte er deshalb ein alternatives Konzept für Bedürftige auf die Beine - und hatte damit jahrelang Erfolg. Heute aber wirkt der Mönch resigniert: „Die momentane Situation der Corona-Krise ist viel schlimmer als damals."

„Dignitat i Feina" (Würde und Arbeit) heißt die Hilfsvereinigung, die Pastor nach dem Schlüsselerlebnis mit den hungrigen Männern ins Leben rief. Der Name ist Programm. An der Eingangstür am Kloster in Artà weist noch immer ein Schild darauf hin. „Es reicht nicht, Menschen nur Essen zu geben. Das nimmt ihnen die Würde. Besser ist, ihnen Arbeit zu geben, damit sie sich ihr Essen selbst kaufen können", betont Pastor und führt die MZ durch die alten Gemäuer des Konvents. Hier wohnt der Franziskanermönch gemeinsam mit dem Abt, Pere Vallespir, der ihn von Anfang an dabei unterstützte, den Bedürftigen Arbeit zu verschaffen. „Letztlich ist es doch egal, welchen Job man hat. Die Hauptsache ist doch, dass man sich seinen Lebensunterhalt selbst verdient", findet Pastor.

Das gilt natürlich auch angesichts der aktuellen Wirtschaftskrise, die die Corona-Pandemie mit sich gebracht hat. Doch statt Arbeit zu schaffen, setzen öffentliche Institutionen vor allem auf Hilfsgelder, und gemeinnützige Organisationen versuchen durch Tafeln und Essensspenden, die Not zu lindern. „Es ist eben ungleich schwerer, Menschen Arbeit statt Almosen zu geben, der Aufwand ist enorm", so Pastor.

Mandelernte und Turrón

Das hat er über Jahre am eigenen Leib erfahren, wie mehrere Fotos zeigen, die in einem Raum des Klosterkomplexes an der Wand hängen. Auf den Aufnahmen ist Pastor zu sehen, gemeinsam mit in die Kamera grinsenden Feldarbeitern, in der Hand die langen Stangen, die bei der Mandelernte hilfreich sind. Gemeinsam mit anderen Franziskanermönchen machte Pastor 2009 private Fincas ausfindig, auf denen die Bedürftigen Mandeln und Johannisbrotschoten von Bäumen ernten durften, die sonst nicht bewirtschaftet worden wären. Er organisierte Abnehmer für die Erträge, dazu Werkzeuge und Transportmittel, er managte die Einteilung in Arbeitsgruppen und trat bei Problemen als Schlichter auf. Und als das Feuerbakterium vor wenigen Jahren große Teile der Mandelbäume auf Mallorca zerstörte, suchten Pastor und seine Gebetsbrüder nach Alternativen und setzten auf die Herstellung und den Verkauf der Weihnachtsleckerei Turrón. Erneut mit dem Ziel, 100 Prozent der Einnahmen den Arbeitern zukommen zu lassen.

„All das war anstrengend, aber es hat sich gelohnt. Die Arbeiter verdienten in Hochzeiten zwischen 130 und 400 Euro pro Woche, sie bekamen Struktur für ihren Alltag, und einige fanden dadurch sogar richtige Anstellungen als Erntehelfer bei Landwirten", berichtet der Mönch. Vor allem in den Jahren 2012 bis 2014 lief das Projekt auf Hochtouren und gab jährlich gut 50 Familien Arbeit.

Doch genau damit klappt es immer weniger - auch wenn bei vielen Hilfsprojekten die Bedürftigen selbst mit anpacken, um Spenden aufzubereiten und zu verteilen. Initiativen wie das „Projecte Millora" in Capdepera, das seit dem Frühsommer 2020 Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen für Bedürftige organisiert, sind die Ausnahme. „Es ist eben leichter, den Notleidenden einen Einkaufsgutschein für den Lidl, als sich darum zu bemühen, sie zu beschäftigen", so Pastor.

Bürokratie und Unwille

Auch „Dignitat i Feina" hat mittlerweile Schwierigkeiten, an seinem Konzept festzuhalten. „Die Krise trifft alle, kaum jemand überlässt uns noch kostenlos seine Mandel- oder Johannisbrotbäume, und auch die Turrón-Verkäufe sind stark zurückgegangen, weil niemand Geld hat", so Pastor.

Zwar hat der fast 74-Jährige noch immer neue Ideen im Kopf, wie man die Sozialschwächsten sinnvoll einsetzen könnte: bei der Säuberung der torrents (Sturzbachbetten) zum Beispiel, um dort Flutkatastrophen vorzubeugen, oder bei der Aufforstung der Wälder, um Waldbrände zu verhindern. Aber für solche Aufgaben bedarf es der Zusammenarbeit mit der öffentlichen Verwaltung - und hier scheitere es in letzter Zeit immer wieder an der Bürokratie. „In der letzten Krise waren die Gemeinden im Inselosten noch sehr kooperativ, auch weil viele der Bedürftigen vorher als fliegende Händler an den Stränden unterwegs waren und wir sie dort wegholten", erinnert sich Pastor. Heute sei es dagegen kaum noch aussichtsreich, die öffentlichen Institutionen um Unterstützung zu bitten.

Auch, weil viele der Bedürftigen, die sich bei „Dignitat i Feina" melden, keine Arbeits- und Aufenthaltsgenehmigung haben. „Rechtlich gesehen war es immer kritisch, was wir taten. In den vergangenen Jahren werden uns aber immer mehr Steine in den Weg gelegt. Es ist paradox: Wir dürfen Menschen durchfüttern, ihnen aber keine Arbeit geben, wenn sie nicht bestimmte Auflagen erfüllen."

Hoffen auf den Geistesblitz

Derzeit beschäftigt „Dignitat i Feina" nur drei Bedürftige. „Man kann sagen, wir sind gerade auf Stand-by. Wir haben momentan einfach keine umsetzbare Lösung", so Pastor. Man sieht dem engagierten Mönch an, wie sehr ihm diese Tatsache zu schaffen macht - schließlich sind es momentan nicht wie 2009 zwei hungrige Menschen, die ihn direkt um Hilfe bitten, sondern Dutzende.

Die Hoffnung auf einen Geistesblitz hat der Gottesmann aber nicht aufgegeben. Jüngst habe ein Schweizer Unternehmer ein möglicherweise vielversprechendes Projekt an ihn herangetragen: die Herstellung eines Olivenblättertees. „Wir machen auf jeden Fall irgendwie weiter. Auch wenn wir nur einer einzigen Person Arbeit und damit ihre Würde geben können, lohnt es sich."

Spendenkonto „Dignitat i Feina": ES92 2100 0105 2302 0025 0790