Die Passagiere in der Air-Berlin-Maschine an einem Donnerstagmorgen im Oktober richten sich gerade noch auf ihren Plätzen ein, als sich aus dem Cockpit eine Frauenstimme meldet. „Guten Morgen liebe Fluggäste, ich bin heute ihre Kapitänin auf diesem Flug von Palma de Mallorca nach Leipzig." Ein Raunen geht durch die Kabine. Etwa zweieinhalb Stunden später setzt das Flugzeug sicher in Sachsen auf.

Christoph Drescher, seit 20 Jahren Flugbegleiter bei Tuifly, ist von der Reaktion ein wenig überrascht. „Vielleicht lag es an der Zusammensetzung der Gäste", sagt er, der gleichzeitig Sprecher der Gewerkschaft Ufo (Unabhängige Flugbegleiter Organisation) ist. Sein Erfahrungswert: Meistens quittieren Reisende eine Frau als Pilotin mit derselben entspannten Ignoranz wie ein rein männliches Flugbegleiter-Team. „Letzteres merken ältere Passagiere manchmal an, aber es ist ohnehin selten, dass nur Männer in der Kabine arbeiten", sagt Drescher. Denn es ist tendenziell immer noch so: Vorne im Flieger arbeiten mehrheitlich Männer, hinten eher Frauen.

Nach Angaben der Vereinigung Cockpit (VC) gibt es in Deutschland etwa 860 Berufs­pilotinnen. Gemessen an der Gesamtzahl der Piloten entspricht das einem Anteil von lediglich fünf bis sechs Prozent. Beispiel Condor: 32 weiblichen Piloten stehen hier 592 männlichen gegenüber, das heißt die ­Frauenquote liegt bei gut fünf Prozent, davon fliegt gut ein Prozent, nämlich sieben Frauen, im Kapitäns­status. Immerhin: Die Tendenz ist steigend. „Vor 15 Jahren lag die Frauenquote im Cockpit bei uns gerade mal bei einem Prozent", sagt Condor-Sprecherin Susanne Rihm. Auch Air Berlin vermeldet einen Frauenanteil von fünf Prozent im Cockpit. „Generell ist der Anteil von weiblichen Piloten in der Luftfahrtbranche im Vergleich zu männlichem Cockpitpersonal signifikant geringer", schreibt der Sprecher zu den Daten.

Schon jetzt höher ist der Anteil der Pilotinnen etwa bei Germanwings: neun Prozent. In einer Infobroschüre der VC heißt es: „Viele Fluggesellschaften würden gerne mehr Pilotinnen einstellen, aber es mangelt an Bewerberinnen." Das liegt wohl auch daran, dass das Berufsbild weiter männlich besetzt bleibt, wie eine Pilotin auf der Website der Gewerkschaft anmerkt. Der Berufskodex der Piloten sei geprägt von Stereotypen und Ritualen, welche die ­Geschlechterdifferenz eher bestätigen als neutralisieren. Sprich: Wird eine Frau Pilotin, nehmen immer noch viele Menschen an, dass sie ein burschikoses Mannweib ist und traditionell weiblichen Lebensmustern wie der Mutterschaft eine Absage erteilt.

In der ­Infobroschüre stellt die Vereinigung Cockpit denn auch die Kernfrage nach der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Wenn die Lebens­planung sich kompromisslos auf die Familie konzentriere, sei der Beruf der Pilotin nicht die richtige Wahl. Zu hoch seien dann Aufwand und Ausbildungskosten. Wer Kind und Karriere jedoch verbinden wolle, bekomme als Pilotin bei gleicher Leistung auch die gleichen Gehälter wie männliche ­Kollegen und habe die gleichen Aufstiegschancen, zumal Wettkämpfe und Konkurrenzdenken innerhalb dieser Berufsgruppe unerwünscht seien, da sie der Flugsicherheit abträglich sind.

Teilzeitmodelle seien grundsätzlich möglich, so die Broschüre weiter. Bei einem monatlichen Gehalt von 1.500 bis 5.000 Euro für Erste Offiziere und bis zu 10.000 Euro für Kapitäne, wäre finanziell auch ein Au Pair und Elternzeit für den Mann drin. Grund genug also auf das ein oder andere Stereotyp zu pfeifen.

Zumal sich die Geschlechter­rollen ja auch ändern können. Auch Flugbegleiter war ursprünglich ein reiner Männerberuf. „In den 20er Jahren hat man das den Frauen gar nicht zugetraut hat", sagt Christoph Drescher. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg sei daraus zeitweise ein reiner Frauen­beruf geworden. Schon in den 60er und 70er Jahren seien zu den Stewardessen dann aber auch wieder Stewards gestoßen.

Dass es heute keine große Rolle mehr spielt, ob ein Flugbegleiter männlich oder weiblich ist, merkt man schon alleine daran, dass viele Airlines, wie etwa Ryanair, gar keine Daten zum Geschlechterverhältnis mehr erheben. Die Iren sind da keine Ausnahme. „Auch wir haben keine belastbaren Zahlen, weil das für die Personalabteilungen irrelevant ist", sagt Ufo-Sprecher Drescher. Ob Mann oder Frau sei sowohl für die Arbeit als auch für das Einsatzgebiet gleichgültig.

Wobei gleichgültig nicht im Gleichgewicht heißt: 2001 wurde der 46-jährige Gewerkschafter für eine Abschlussarbeit gebeten, bei den Airlines anzufragen, wie viele Männer und Frauen sie in der Kabine beschäftigten. Damals waren etwa 20 Prozent der Mitarbeiter an Bord männlich und 80 Prozent weiblich. Heute dürfte das Verhältnis 30 Prozent Männer zu 70 Prozent Frauen sein, ohne dass es Anzeichen für größere Veränderungen gibt. „Das ist quasi eine gläserne Schwelle, die nicht überschritten wird. Das ist in anderen Berufen aber genauso und hat soziologische Gründe", sagt Drescher, der selbst eine klassische Flugbegleiter-Karriere durchlaufen hat. Nach einer Ausbildung in der Hotellerie, wollte er eigentlich nur ein bis zwei Jahre fliegen. „Niemand hat das als Lebensplan, man bleibt hängen, weil es Spaß macht."

Was die Zahlen betrifft, bestätigt Condor seine Aussage: Der prozentuale Anteil zwischen männlichen und weiblichen Kabinenmitarbeitern sei in den letzten 15 Jahren relativ konstant geblieben. Das aktuelle Verhältnis ist dort jedoch etwas anders als von Drescher vermutet: 1.747 weiblichen Angestellten in der Kabine stehen 388 männlichen (18 Prozent) gegenüber. Davon arbeiten wiederum 90 Männer, also gut 26 Prozent, und 250 Frauen als Purser, sprich: als ranghöchster Flugbegleiter. In leitender Funktion ist der Männeranteil also um acht Prozent höher als im Gesamtverhältnis. Bei Air Berlin rangieren die Zahlen ebenfalls in diesem Bereich: 79 Prozent des Kabinenpersonals sind weiblich, 21 Prozent männlich. Was Germanwings betrifft, hat Drescher goldrichtig geschätzt: Der Männeranteil in der Kabine liegt bei der Lufthansa-Tochter bei 27 Prozent.

Auch in der Kabine hätten sich Beruf und Familie lange faktisch nicht vereinbaren lassen, sagt Drescher. „Da hat sich in den letzten Jahren viel getan, früher waren die Frauen einfach weg, wenn sie schwanger wurden." Genauso wie früher alle Flugbegleiter im Alter von 38 Jahren an den Boden versetzt wurden. „Das haben die Fluggesellschaften einfach so in die Verträge geschrieben."

Eines habe sich aber nicht geändert: „Der Job war vor 20 Jahren schon genauso lustig und anstrengend wie heute," sagt Drescher.