Seit zweieinhalb Jahren lebt und arbeitet Mathias Schadl in Madrid. Dabei beobachtete der Mitarbeiter einer internationalen Organisation in Madrid seine Kollegen ebenso wie sich selbst und kam bald zu dem Schluss: „Die Leute, die besser mit Spaniern können und die Spanisch sprechen, tun sich auch bei ihrer Arbeit leichter."

Diese Alltagsbeobachtung hat der diplomierte Staatswissenschaftler inzwischen zum Thema seiner Abschlussarbeit für einen Master in Wirtschaftspsychologie gemacht. Der offizielle Titel klingt eloquenter, wahlweise komplizierter: „Auswirkungen der Akkulturation auf die subjektive Zufriedenheit und Belastung in Arbeit und Beruf".

Um zu erforschen, ob sich seine Vermutung stichhaltig wissenschaftlich belegen lässt, führt der Augsburger derzeit eine Online-Befragung unter Deutschen durch, die in Spanien arbeiten. Die Studie misst in vier Teilen die Verbundenheit mit der Heimat, den Grad der Anpassung in Spanien und wie zufrieden die Teilnehmer mit ihrer eigenen Arbeit sind. Das Ausfüllen dauert fünf Minuten, die Erhebung läuft bis Weihnachten.

Schon rund 250 Bundesbürger haben daran teilgenommen. Was den 32-Jährigen noch mehr erstaunte als die vielen eingegangenen Antworten, ist die Neugier, die ihm über Facebook entgegenschwappte: „Ich habe sehr viele Rückmeldungen von Leuten bekommen, die sich für die Umfrageergebnisse interessieren." Das könnte nicht zuletzt daran liegen, dass so gut wie jeder ­expatriate - so der neudeutsche Ausdruck für ins Ausland entsandte Arbeitnehmer- einen Gemütszustand durchlaufen hat, dem sich Schadl in seiner Arbeit widmet: dem Kulturschock.

Es ist ein Konglomerat verschiedenster Gefühle, das da ­aufkommen kann, wenn Menschen aus unterschiedlichen Kultur­kreisen aufeinandertreffen. Und es hat Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit. Schadl verbindet den Kulturschock mit Stressmodell von Richard Lazarus. Vereinfacht gesagt: Stress frustriert. Für die aktuell laufende Befragung bedeutet das: Die ersten beiden Blöcke messen, wie gut die deutschen Arbeitnehmer in Spanien integriert sind, die übrigen, wie zufrieden sie in ihrem Job sind. Sobald die Daten vorliegen, kann Schadl belegen, ob der vermutete Zusammenhang zwischen dem Grad der Anpassung an die neue Kultur und der Zufriedenheit im Beruf besteht.

„Der Kulturschock tritt eigentlich immer auf, die Frage ist, wie man ihn abmildern kann", sagt der Wissenschaftler. Der Verlauf wird häufig mit einer U-Form beschrieben, an der sich Betroffene in vier Stufen entlang hangeln: Sie starten auf dem linken Bogen und fallen dann recht schnell in ein Loch. Ob die „Geschockten" nun eher grundsätzlich gestresst, mit Verlustängsten, Ohnmacht, Verwirrung oder Ablehnung reagieren, lässt sich nicht vorhersagen. „Es kann aber bis zu einem Burnout führen", sagt Schadl. Auf die Krise folgen dann typischer­weise eine Erholung- und eine Anpassungsphase. „Neuere Ansätze der U-Kurven-Hypothese gehen davon aus, dass der linke Teil des U´s wegfällt und der Kulturschock fast unmittelbar eintritt", sagt Schadl.

Die Anthropologin Cora DuBois benannte das Phänomen zum ersten Mal mit diesem Begriff, seither ist es ein wohlbekanntes Konzept unter Austauschschülern und -studenten oder eben expatriates. Doch längst nicht jeder ist auf die Wucht des Schocks gefasst: „Wenn ich mir die Auswanderer-Shows im Fernsehen anschaue, finde ich die Teilnehmer oft erschreckend blauäugig", sagt Schadl. Die Folge: Die anfängliche Euphorie über den Arbeitsplatz an der Sonne schlägt schnell in großen Frust um.

Für den Wirtschafts­psychologen steht das Thema in einer zunehmend globalisierten Welt in einem größeren Zusammenhang. Unternehmen, die ihre Mitarbeiter zeitweise ins Ausland schicken, haben allein schon ein wirtschaftliches Interesse daran, dass diese ihren Aufenthalt nicht frühzeitig abbrechen. „Große Konzerne wie Daimler bereiten ihre Mitarbeiter in speziellen Workshops auf Auslandseinsätze vor, andere lassen sie oft ganz schön allein", sagt Schadl. Auch vielen mittelständischen Betrieben sei das Problem noch nicht ausreichend bewusst oder sie hätten schlichtweg nicht die Kapazität, um ihre Angestellten entsprechend zu schulen.

Noch kann der Wissenschaftler keine konkreten Schlüsse aus seiner Befragung ziehen. So viel verrät er aber doch schon: „Bei den Teilnehmern, die Freunde in Spanien gefunden haben, fällt das Ergebnis ganz anders aus - sie sind insgesamt zufriedener" Ein erster Hinweis darauf, dass nicht zuletzt soziale Bindungen dabei helfen, Stress abzubauen, zumal aus psychologischer Sicht gilt: Stressoren wirken sich auf das grundsätzliche Wohlbefinden aus. „Leute, die sich einigeln, können den Druck nicht so ablassen", sagt Schadl. Doch wer kein Ventil findet, gibt den Traumjob in Spanien womöglich auf und kehrt früher in die Heimat zurück als ursprünglich geplant.

Langfristig kann Mathias Schadl sich vorstellen, sich mit einem Kurskonzept selbstständig zu machen, das expatriats besser auf ihren Einsatz im Ausland vorbereitet. Aber erstmal wird sich der Wahl-Madrider nach den Feiertagen daran machen, die Daten über Statistikprogramme auszuwerten und anhand der Ergebnisse seine Hypothesen zu überprüfen. Auf das Resultat ist er schon gespannt. „Das Thema habe ich auch gewählt, weil es mich selbst betrifft.". Den Kulturschock hat Schadl längst überwunden. „Ich kann mir sehr gut vorstellen in Spanien zu bleiben oder in Lateinamerika zu arbeiten", sagt er.

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