So schwierig wirtschaftliche Prognosen in Zeiten von Corona sind, in einem sind sich die Experten einig: Der bevorstehende Winter auf Mallorca wird hart. Im Tourismus und allen angrenzenden Branchen haben schon im Sommer Zehntausende Mitarbeiter kürzertreten müssen oder ihre Arbeit gar nicht erst aufnehmen können. Die geringen Rücklagen, die alljährlich für den Winter angehäuft werden, sind in vielen Haushalten bereits aufgebraucht. Corona macht die Schattenseite der Abhängigkeit der Insel vom Tourismus deutlicher denn je. Welche kurzfristigen Maßnahmen sollte die Politik ergreifen, um die Krise abzuschwächen?

Arbeit statt Hilfsgelder

Es ist unproduktiv, auf staatliche Hilfen zu ­setzen. Da fließt das Geld links rein und rechts wieder raus", findet Álvaro Middelmann. Der Luftfahrtexperte war jahrelang Vorsitzender des Fomento de Turismo, ist Mitglied des spanischen Unternehmerverbands Círculo de ­Empresarios und für seine politisch konservative Haltung bekannt. Dass die sozialistisch geführten Regierungen in Madrid und auf den Balearen derzeit mit Priorität daran arbeiten, in den kommenden Monaten das Kurzarbeitergeld sowie andere finanzielle Hilfen auszubauen, hält er für falsch. „Die Wirtschaft muss ­angekurbelt werden, und dafür sollten die Regierungen Arbeitsplätze schaffen", sagt der langjährige Air-Berlin-Manager und Airline-­Berater. „Der Konsum ist enorm zurückge­gangen, weil die Menschen Angst haben, und die kann man ihnen nur durch Produktivität nehmen."

Es gebe genug Baustellen, die angegangen werden müssten. Das fange bei der Verbesserung des Straßennetzes an oder bei der Säuberung der Wälder, um die Waldbrand­gefahr zu verringern. Ebenfalls dringend ­notwendig sei die Instandhaltung und Erneuerung der Kläranlagen. „Und für all das braucht es Arbeitskräfte", sagt Middelmann. Weitere Jobs könnten in Landwirtschaft, ­Kultur oder sogar in der Industrie entstehen. „Das sind Branchen, die jahrelang vernachlässigt wurden." Andere Großprojekte, wie den Technologiepark Parc Bit, sieht Middelmann als gescheitert an. „Dem wurde nie genug Priorität eingeräumt, um große Software­firmen langfristig für die Insel zu interessieren."

Nachhaltig und Strategisch

Auch Carles Manera, ehemaliger balearischer Wirtschaftsminister für die Sozialisten (PSOE), Professor für angewandte Ökonomie an der Balearen-Universität und Mitglied im Direktorium der spanischen Zentralbank, befürwortet Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen, um die kränkelnde Wirtschaft anzukurbeln. Gelder dafür seien durchaus vorhanden - zumindest theoretisch. „Spanien sollen durch EU-Fördermittel kurzfristig 140 Milliarden Euro zukommen, aber der Geldregen fällt nicht einfach so vom Himmel. Er ist gekoppelt an den European Green Deal, also an nachhaltige Projekte. Dafür müssen aber in Madrid der Haushalt verabschiedet und auf den Balearen konkrete Initiativen vorgestellt werden, die den Anforderungen entsprechen."

Auch ihm mangelt es nicht an Ideen. Er denke zum Beispiel an das bereits 2007 bis 2011 konzipierte Projekt einer Tram entlang der Bucht von Palma. Es sei schon weit gediehen gewesen, als die konservative Volkspartei (PP) es nach einem Regierungswechsel wieder zu den Akten legte. „Dort könnten Arbeitskräfte ebenso eingesetzt werden wie in Initiativen für mehr Solarenergie auf den Inseln, dem Bau von Fahrradwegen oder der Wasseraufbereitung. Und all dies würde dem European Green Deal entsprechen."

Carles Manera war einer von rund 40 Wissenschaftlern, die zwischen 2017 und 2020 im Wirtschafts- und Sozialrat Mallorcas (CES) ein gut 500 Seiten langes Strategiepapier mit mehr als 400 konkreten Vorschlägen zur Wirtschaftsförderung auf den ­Balearen erarbeitet haben. Leider sei es von der Politik nur wenig beachtet worden. „Dabei braucht es gerade in der Krise strategische ­Ansätze, die der Frage nachgehen, in welche ­Richtung Mallorca sich in den kommenden Jahren bewegen will", sagt Manera.

Dass der Tourismus weiterhin der wirtschaftliche Motor der Insel bleibt, sei dabei nicht nur wahrscheinlich, sondern auch wünschenswert. Schließlich verfügten die Inseln in diesem Bereich über viel Know-how und eine große Wettbewerbsfähigkeit. „Im Idealfall strahlt das auf andere Sektoren aus, beispielsweise über Innovationsprojekte zum Thema Tourismus, wie sie im Parc Bit bereits Realität sind."

Anders als Middelmann findet der Wirtschaftswissenschaftler durchaus Lob für die Strategie seiner regierenden Parteifreunde. „Das Kurzarbeitgeld zu verlängern, ist auf jeden Fall richtig und neben der Ankurbelung der Wirtschaft dringend nötig. Nur so kann verhindert werden, dass diese Stellen gänzlich verloren gehen, was wiederum verheerend für den Arbeitsmarkt wäre."

Im balearischen Arbeitsministerium wollte man sich auf MZ-Anfrage noch nicht über konkrete Pläne für den Winter äußern, die über Hilfsgelder hinausgehen. Man sei dabei, Arbeitsbeschaffungsmaßnahmen zu planen, so ein Sprecher, diese würden aber erst in den kommenden Wochen spruchreif.