Die Katastrophe war praktisch nicht vorherzusehen. Von einem Moment zum anderen verfinsterte sich der bis dahin strahlend blaue Himmel über Mallorca in eine Art Horrorfilmszenario. Es türmten sich meterhohe Wellen im Hafenbecken auf, sintflutartiger Regen prasselte gegen die Außenscheiben des Frachters, der kurz zuvor von seinem Liegeplatz an Palmas Westmole abgelegt hatte. Jetzt steckt er in ernsten Schwierigkeiten.

Die von allen Seiten über das Vorschiff schlagenden Brecher lassen das knapp hundert Meter lange Schiff aus dem Ruder laufen - und danach auf zwei gegenüberliegende Kreuzfahrtschiffe zusteuern, die auf den meterhohen Sturmwogen entlang der Kaimauer von Palmas Hafen ebenfalls wie Jahrmarktsattraktionen auf und ab schaukeln.

Und es kommt noch schlimmer. Viel schlimmer. Auf der gegenüberliegenden, fensterlosen Seite der Kommandobrücke schlagen gleich mehrere Kontrollbildschirme laut piepsend Alarm. Irgendwelche Seeventile haben sich geöffnet. Meerwasser dringt in den Maschinenraum. Die Stromversorgung an Bord steht kurz vor dem Kollaps. Der Frachter beginnt zu sinken. Oder anders ausgedrückt: Der Kapitän ist gerade nicht zu beneiden.

Die scheinbare Wetter-Apokalypse in Palmas Fährhafen ist natürlich nur eine Computersimulation, ähnlich wie bei einem Videospiel mit der Play Station, und der große Saal mit dem imposanten Schlecht-Wetter-und-andere-Katastrophen-Simulator eines der Klassenzimmer in der öffentlichen Berufsfachschule für kommerzielle Schifffahrt, CIFP Nàuticopesquera. Allerdings findet der meteorologische Weltuntergang über Mallorca nicht vor einem Fernseher statt, sondern auf drei nebeneinander hängenden Monitoren mit einer Gesamtprojektionsfläche von knapp 15 Quadratmetern. Beeindruckend ist vor allem die Detailtreue, mit der das Katastrophen-Szenarium in Porto Pi dargestellt wird, beispielsweise auch ein sturmumtostes Castell Bellver am Horizont sowie noch weitere Gebäude im und um Palmas Fähr- und Containerhafen.

Gesteuert wird der Frachter auch nicht über einen Joystick, sondern an einem „echten", fast drei Meter breiten Schaltpult mit unzähligen Knöpfen, Instrumenten und Hebeln, so wie man es auch an Bord größerer kommerzieller Schiffe vermutet. Zusammen mit der nahezu realitätstreuen Computergrafik hat man in diesem Raum nach kürzester Zeit den Eindruck, auf der Kommandobrücke eines Frachters oder Hochsee-Trawlers zu stehen. Und das ist auch Absicht.

Immer mehr Bewerbungen

Seit mehr als 200 Jahren werden im CIFP Nàuticopesquera an Palmas westlicher Hafenmole Schüler für eine künftige Tätigkeit an Bord von kommerziellen Schiffen wie Frachter, Fähren oder Fischtrawlern getrimmt. „Die Ausbildung dauert zwei Jahre und umfasst alle theoretischen und praktischen Kenntnisse, die es braucht, um auf, in oder an einem mehrere Tausend Bruttoregistertonnen schweren Schiff sein Geld zu verdienen", erklärt Schulleiter Toni Mulet.

Rund 180 Schüler werden derzeit bei ihm unterrichtet. Es könnten auch mehr sein. „Die Nachfrage steigt seit Jahren. Auf einen Ausbildungsplatz erhalten wir mittlerweile fast ein Dutzend Bewerbungen", sagt Studienleiter Felipe Esteve, der zusammen mit Direktor Mulet seit dem Jahr 2010 in dem vom balearischen Bildungs- und Kulturministerium finanzierten Ausbildungszentrum tätig ist.

Für die Aufnahme sind neben dem Notendurchschnitt bei Schulabschluss vor allem gute Englischkenntnisse ausschlaggebend. Doch genau an denen hapere es in den meisten Fällen. „Wer in der internationalen Schifffahrtsbranche arbeiten will, muss einfach sehr gut Englisch sprechen. Wir legen den Schülern deshalb nahe, neben dem hier dozierten Englischunterricht zusätzliche Sprachkurse zu belegen", so Esteve. Oder aber, was noch besser sei, sich eine Engländerin als Freundin zu suchen. Ein kleiner Scherz, fügt er hinzu.

Schrauben, schleifen, löten

Nach einer einjährigen Grundausbildung, bei der es vor allem um die Vermittlung nautischer Grundlagen wie Navigations- oder Meteorologiekunde geht, stehen im zweiten Jahr in erster Linie handwerkliche Ausbildungsinhalte auf dem Unterrichtsplan. „Größere Schiffe benötigen auf hoher See ein konstantes Handling. Motoren müssen rund um die Uhr überwacht, mechanische Verschleißteile ausgetauscht und mitunter an Bord angefertigt, elektrische Anlagen repariert oder elektronische Bauteile ausgetauscht werden", sagt Esteve. „Schrauben, Schweißen, Löten, Drechseln, Sägen, Schleifen, Schreinern oder Verkabeln gehören auf einem Schiff, das oftmals tage- oder gar wochenlang auf hoher See unterwegs ist, zu den permanenten Arbeitsanforderungen." Wobei Esteve einräumt, dass nur die wenigsten seiner Schüler irgendwann als Mechaniker, Elektriker oder gar als Kapitän in See stechen. „Die Mehrzahl findet an Land eine Anstellung. Auf einer Refit-Werft wie beispielsweise Astilleros de Mallorca in Palma, die schon einige der bei uns ausgebildeten jungen Leute in den vergangenen

Jahren unter Vertrag genommen hat".

Ähnlich fern der Realität seien natürlich auch dramatische Unwetterkatastrophen wie die von ihm per Mausklick inszenierte, anfangs beschriebene Computersimulation in Palmas Hafen, wie Esteve noch klarstellt.

„So etwas gibt es nur in Hollywood-Filmen."