Masio Vicenç schaut prüfend einen Baum an, nimmt die große Anzahl der weißen Blüten wahr und lächelt: „Dieses Jahr wird die Ernte gut." Sofort spannen sich seine Gesichtszüge aber wieder an: „Es sei denn, im Februar gibt es noch einmal richtig Frost, denn dann sterben die Blüten schnell wieder ab." Der Baum, unter dem der Touristenführer steht, hat gerade angefangen, seine volle Pracht zu entfalten.

In wenigen Tagen beginnen die ersten Hotels mit ihren Mandelexpeditionen. Sie bringen die Urlauber zu den schönsten Ecken auf Mallorca. Die MZ durfte schon vor dem offiziellen Start mit Vicenç und dem deutschen Mandelführer Heiko Felsberg hinaus in die Natur fahren. Vicenç nennt sich „Leiter der Sektion Natur" und arbeitet für die Kette Grupotels. Er ist gebürtiger Mallorquiner und liebt die Insel über alles. Mit großer Leidenschaft erzählt er von seiner Heimat, er will die Besucher fesseln, ihnen das „andere Mallorca" zeigen. Touren mit ihm können locker einen ganzen Tag dauern, es gibt immer wieder Neues zu entdecken.

Es geht zunächst von Can Picafort aus in Richtung Colònia de Sant Pere im Nordosten der Insel. Auf einmal ruft Vicenç: „Hier halten wir an und gehen da drüben in die Finca. Da stehen viele Mandelbäume und man hat einen herrlichen Blick auf den Puig de Ferrutx." Majestätisch erhebt sich in wenigen Kilometern Entfernung der steil abfallende Felsen. Davor zeigen die Mandelbäume schon vereinzelt Blüten und färben die Landschaft weiß. „Wenn jetzt noch die Sonne scheinen würde, wäre der Kontrast der weißen Blüten zum blauen Himmel fantastisch." Nun ja, das Wetter kann Vicenç an diesem Tag leider nicht beeinflussen.

Auf die mallorquinischen Mandeln hält er besonders große Stücke. „Die schmecken vorzüglich und werden deshalb auch in die ganze Welt verkauft." Mallorca ist als Anbaugebiet für die süßen und bitteren Früchte geradezu prädestiniert, sagt Vicenç, der in Pollença wohnt. „Mandeln brauchen Kalzium, Eisen und Sonne. Und was haben wir auf Mallorca vor allem? Kalzium und Eisen im Boden und Sonne. Eine Supermischung."

Die meisten Mandelbäume blühen weiß, aber immer wieder stehen da auch Bäume mit rosafarbenen Blüten in der Landschaft. Sind das auch Mandeln? „Ja, das sind die bitteren", erklärt Vicenç. Warum es zwei Sorten gibt, erzählt eine Legende. Einst war Mallorca aufgeteilt in von Mauren und von Christen beherrschte Seiten. Es kam aber, wie es kommen musste: Ein Maure verliebte sich in eine Christin. Sie trafen sich im Verborgenen, bis eines Tages der Bruder des Mädchens die beiden ertappte und den „Skandal" publik machte. Von da an durften sich die beiden Liebenden nicht mehr sehen, weshalb die junge Christin Tränen in Strömen vergoss und schließlich an Liebeskummer starb. Dort, wo ihre Tränen im Boden versickerten, wurde er bitter und mit ihm die Mandelbäume, die an dieser Stelle wuchsen. Als der Maure erfuhr, dass seine Geliebte am Kummer zugrunde gegangen war, nahm er einige Setzlinge der bitteren Mandelbäume und verteilte sie auf der gesamten Insel. Deshalb gibt es neben süßen auch immer wieder bittere Mandeln.

Solche Geschichten erfährt nur, wer mit einem Einheimischen die Insel erkundet. Während wir durch weiße Blütenhaine streifen, erzählt Vicenç, dass der Bestand an Mandelbäumen in den vergangenen Jahrzehnten auf der Insel drastisch zurückgegangen sei. „In den 60er Jahren gab es noch sieben Millionen Bäume, inzwischen sind es nur noch gute vier Millionen." Die Gründe? „Die sind vielfältig. Viele sind der Infrastruktur oder dem Hausbau zum Opfer gefallen. Außerdem haben viele Familien den Anbau aufgegeben und sich stattdessen auf Oliven spezialisiert, weil diese subventioniert wurden."

Der Mallorquiner berichtet mit großer Begeisterung von den almendras. Was fasziniert ihn denn so an diesen Bäumen? Die Antwort überrascht: „Ihr Deutschen wart es, die die Mandeln so berühmt gemacht haben. Ihr habt den Bäumen diese mystische Bedeutung gegeben und einen kleinen Hype daraus gemacht. Wenn es nach mir ginge, würde der Schwerpunkt eher auf dem Affodill oder der Mimose liegen. Die beiden blühen so herrlich."

Die deutschen Reiseveranstalter bestätigen die Begeisterung der alemanes für die Mandelblüte. Anja Braun von Tui Deutschland berichtet von einem „positiven Buchungsverhalten" und bewertet die Blüte als ergänzendes Nischenangebot. Sie macht die guten Buchungszahlen aus Deutschland im Winter auch daran fest, dass viele deutsche Medien über das Phänomen der Mandelblüte berichten und damit die Urlauber anlocken. Manuel Morales von Rewe-Touristik spricht ebenfalls von einem „sehr hohen Stellenwert". 20 Prozent der Wintergäste auf Mallorca nähmen an den Ausflügen zu den Mandelbäumen teil, schätzt er.

Die Tour geht weiter, und Vicenç findet im Feld plötzlich eine kleine Keramikscherbe. „Das ist ein Überbleibsel der talayotischen Zeit hier auf Mallorca, 2.500 bis 3.000 Jahre alt." Und dann zeigt er uns eine Kultstätte aus dieser Zeit. Massive Steinböcke aufgeschichtet zu einem iglu-förmigen Rundbau. „Das ist das andere Mallorca. Es ist eigentlich gar nicht so schwierig zu finden."

Auf einmal müssen die Mandelbäume hintanstehen und wir klettern durch eine kleine Öffnung in das steinerne Rund. Einst diente der Bau als Treffpunkt des Stammesobersten mit seinem Schamanen. Für alle anderen war der Zutritt streng verboten. Es ist völlig still innen, nur ein paar Vögel sind zu hören – eine magische Atmosphäre. Noch einmal geht es ein paar hundert Meter weiter. Von dieser Stelle aus bietet sich ein herrlicher Blick auf den Puig de Ferrutx, das Meer und die Mandelblüte im Tal. „Bei schönem Wetter kann man von hier aus bis nach Menorca schauen", sagt Vicenç.

Geselliger Abschluss der Tour ist eine kurze Einkehr in eine Bar in Can Picafort. Dort gibt es typisch mallorquinische Fideua, eine Nudelsuppe mit Hühnchen. Zum Nachtisch, wie könnte es anders sein, gibt es Mandeln. Natürlich welche aus dem vergangenen Jahr. Süß sind sie und groß. Das liegt am Kalzium, am Eisen und an den zahlreichen Sonnenstunden, die sie genossen haben, wie wir dank der Mandelexkursion von Masio Vicenç gelernt haben.