Wenn es auf Cabrera im Gebüsch raschelt, hat das meist nur einen Grund: Eidechsen. Und auf der Inselgruppe südlich von Mallorca raschelt es ziemlich häufig im Gebüsch. Immer wieder zeigen die Kinder auf die blitzschnellen lagartijas, die über den staubigen Weg huschen – und geben das Zählen angesichts der Menge bald wieder auf. Die Eidechsen sind fast zutraulich. Ebenso wie die Fische an der Platja s´Espalmador. Die dicken Exemplare im Wasser lassen sich vom Klassenausflug nicht beeindrucken und drehen ihre Runden um die Beine der Badenden.

So wird die Erfolgsgeschichte dieses Nationalparks schnell offensichtlich: In den 20 Jahren seit der Gründung hat sich die Tier- und Pflanzenwelt auf Cabrera und den 18 Inselchen des Archipels, vor allem aber im umliegenden Meer, weitgehend erholt. Ob Ausflügler, Yachteigner, Fischer oder Sporttaucher – jeder muss strenge Auflagen beachten, wenn er das mehr als zehn Hektar große Gebiet des einzigen balearischen Nationalparks besucht. Kritik gibt es zwar an der finanziellen Ausstattung und den Verwaltungsstrukturen. Dennoch ist Cabrera ein Erfolgsmodell und sollte nach Meinung von Umweltschützern ausgeweitet werden.

Für die mehr als hundert Kinder, die an diesem Donnerstag auf den zwei Ausflugsbooten übersetzen, ist Cabrera zunächst jedoch eine willkommene Abwechslung zum Schulalltag. Als die Schiffe nach der rund einstündigen Überfahrt von Colònia de Sant Jordi gegen elf Uhr vor Anker gehen, ist der kleine Hafen im Nu von Kindergeschrei erfüllt.

Das sei zu dieser Jahreszeit fast täglich so, sagt Josep Amengual, im balearischen Umweltministerium für den Nationalpark verantwortlich: Die Überfahrt sei subventioniert, das Wetter berechenbar, und die Kinder dürfen sich auf den anschließenden Strandbesuch freuen. In Gruppen geht es über die Insel, hoch zum Kastell und ab zum Strand. Amengual führt in der Zeit eine Gruppe südamerikanischer Touristik-Studenten und erklärt ihnen, wie viele Urlauber ein Nationalpark verkraftet.

Die Lösung im Fall Cabrera: nicht mehr als 95.000 Ausflügler im Jahr. Die Zahl lässt sich durch das Angebot der Plätze für die Überfahrt leicht kontrollieren. Zum anderen ist nur ein kleiner Teil der Insel zugänglich – vor allem auf den Nachbarinselchen stört niemand die Vögel beim Brüten. Grundsätze, die sich im Netz der insgesamt 14 spanischen Nationalparks bewährt hätten, so Amengual.

Vor einem Jahr hat die spanische Zentralregierung die Zuständigkeit für den Park an die balearische Landesregierung abgegeben. Die Insel-Politiker begrüßten diesen Schritt. Naturschützer und auch Parkwächter sehen ihn jedoch kritisch. So bleibe am Ende weniger Geld für den Park über, kritisiert etwa Gerald Hau, Sprecher des balearischen Umweltschutzverbands Gob. Die Landesregierung zwacke Geld für andere Umwelt-Projekte ab.

Im balearischen Umweltministerium ist nur von punktuellen Abzweigungen in dringlichen Fällen die Rede. Wobei das Budget in den vergangenen Jahren gekürzt worden ist, wie ein Sprecher bestätigt: von 4,8 Millionen im Jahr 2009 auf 4,3 im Jahr 2010 auf schließlich 4,1 Millionen für das laufende Jahr. Schuld seien die Haushaltsprobleme im Zuge der Wirtschaftskrise.

Amengual spricht zudem von Koordinationssproblemen zwischen der Parkbelegschaft und Angestellten des Umweltministeriums. „Die neue Landesregierung muss da dringend etwas unternehmen." Im Übrigen habe es auch Nachteile, dass sein Vorgesetzter nun vor Ort in Palma sitze. Habe früher kaum jemand versucht, auf dem Beschwerdeweg über das Madrider Ministerium Park-Auflagen zu umgehen, sei es nun auf Mallorca leichter, seinen Einfluss geltend zu machen – die Insel sei schließlich klein, und man kenne sich.

Mehr Geld würde etwa für die Bekämpfung von Pflanzen und Tieren gebraucht, die auf dem Archipel im Laufe der Jahrhunderte von Menschen eingeschleppt wurden. Bei den Tieren seien das im Prinzip alle Säugetiere bis auf die Fledermäuse. Unerwünscht sind verwilderte Hauskatzen und die Ginsterkatze genauso wie Hausratten. Zudem stehen rund 15 Pflanzen auf der Schwarzen Liste, darunter der niedrige Sauerklee (vinagrella) oder der Strauchtabak.

Bis auf die Hauptinsel sei Cabrera inzwischen rattenfrei, sagt Amengual. Für jeden Eindringling muss eine eigene Strategie entwickelt werden, um das restliche Ökosystem nicht in Mitleidenschaft zu ziehen: Gegen Tabakpflanzen kommen lokal dosiert Herbizide wie Glyphosat zum Einsatz. Katzen werden in Fallen gelockt und eingeschläfert. Mit mehr Geld ließe sich jedoch effektiver und vor allem schneller gegen die unerwünschten Arten vorgehen.

Zu Wasser ist die Parkverwaltung vor allem damit beschäftigt, die Einhaltung der Auflagen zu kontrollieren. Diesen Job teilen sich Angestellte der öffentlichen Körperschaft „Espais de Natura Balear" der Landesregierung, der öffentlich-privaten Firma Tragsa von der Zentralregierung sowie Angestellte des balearischen Umweltministeriums. „Wir kontrollieren die Fischer per GPS auf dem Bildschirm", sagt Parkwächter Javier Torres, für Kontrollfahrten liegen drei Boote im Hafen. Ab und zu müsse man einen Ausflügler verwarnen, der seine Angel ins Meer halte, Verstöße gegen die Auflagen seien jedoch inzwischen selten.

Das kann auch Umweltschützer Hau bestätigen – schließlich drohten hohe Strafen. „Es fehlt allerdings Personal, um die Fischer auch nachts zu kontrollieren." Nur 50 örtliche Boote sind zugelassen, sie fischen mit traditionellen Fangmethoden statt industriellen Schleppnetzen. Der Vorteil für die Fischer: Sie haben Cabrera für sich, auch die Erholung der Bestände mache sich in ihrer Bilanz bemerkbar.

Das merkt auch Fischer Biel. Wirklich zufrieden sind er und seine zwei Mitarbeiter, die im Hafen von Cabrera gerade die Netze der „Xoriguer" aufwickeln, dennoch nicht. Sie kritisieren den Wegfall von Subventionen der spanischen Regierung. Zudem werde auf Mallorca ohnehin lieber der billigere Importfisch aufgetischt. „Uns rettet vor allem der mero (Zackenbarsch)", sagt Biel. Der riesige Fisch sei praktisch täglich im Netz und werde gut bezahlt. Ansonsten könne man nur mit Tricks überleben – um nicht zu viel Diesel zu verbrauchen, übernachten die Fischer auf Cabrera und werfen am nächsten Tag gleich wieder ihre Netze aus.

Die Bestände der Zackenbarsche haben sich vor allem wegen des Verbots der Unterwasserfischerei erholt. „Die Fische brauchen keine Angst mehr zu haben", sagt Hau, „man kann sie fast streicheln."

Die Zutraulichkeit der meros sei ein sicheres Zeichen, dass die Auflagen eingehalten würden und sich die Meereswelt erholt habe. „Cabrera ist merolandia", sagt auch Park-koordinator Amengual. Abgesehen von den Zackenbarschen hätten sich aber auch viele andere Fischarten erholt.

Der Zustand des Ökosystems lässt Tierschützer sogar hoffen, die vom Aussterben bedrohte Mönchsrobbe wieder einzuführen, die vor einigen Jahren wieder an der Nordküste Mallorcas gesichtet wurde. Amengual hält die Pläne jedoch nicht für realistisch. „Wenn sie von selbst kommt, heißen wir sie willkommen", so der Parkkoordinator. Doch gebe es weltweit so wenig Exemplare, dass völlig unklar sei, wo man die Tiere für ein solches Experiment hernehmen solle. Und eine einzelne Robbe diene vielleicht als Touristen­attraktion, sei aber unzureichend für eine Wiedereinführung.

Problemlos zu sehen bekommt man hingegen Delfine – zumindest, falls man auf einem Fischkutter mitfährt. Die Fische im Netz locken die Delfine an, wie Fischer Biel erzählt. „Wenn wir Urlauber mitnehmen dürften, hätten sie eine Garantie auf Delfin-Sichtungen." Und mit viel Glück lassen sich auch Wale beobachten, wie zuletzt im März dieses Jahres. Nach Einschätzung des balearischen Umweltministeriums ist die Sichtung besonders relevant, weil sie zeige, dass die Gegend bei Cabrera für sie mehr als eine Durchgangsstation zwischen dem Atlantik und dem Ligurischen Meer im Norden von Korsika sei.

Die Unterwasserwelt von Cabrera lässt sich auch im Besucherzentrum und Aquarium des Nationalparks in Colònia de Sant Jordi erkunden. Auf dem Dach des Gebäudes in Talayot-Form können Besucher bei gutem Wetter bis Cabrera schauen.

Doch an dem Zentrum, das der frühere Balearen-Premier Jaume Matas in seiner Zeit als spanischer Umweltminister angestoßen hatte und das wegen seiner Baukosten in Höhe von 21 Millionen Euro für Schlagzeilen sorgte, scheiden sich die Geister. Der „Turmbau zu Babel" binde viel Geld, das dann im Park fehle, kritisiert Umweltschützer Hau. Ein abgespecktes Zentrum mit Schautafeln wäre ausreichend gewesen, und für den Besuch von Schulklassen hätte sich auch ein Abkommen mit dem Palma Aquarium auf die Beine stellen lassen. Es fehle ein schlüssiges Konzept, „Matas wollte sich ein Denkmal setzen".

In der Parkverwaltung denkt man ähnlich – zu viele Show­elemente à la Disneyland und zu hohe Unterhaltskosten, sagt Amengual. Er wünscht sich eine Überarbeitung der Ausstellung, um das Ökosystem von Cabrera besser abzubilden. Immer wieder diskutiert wird zudem die Frage, ob man in Zukunft Eintritt verlangen soll. Das sei zumindest für das Aquarium denkbar, sagt Amengual – eine allgemeine Abteilung müsse aber weiterhin kostenlos zugänglich sein.

Auf Cabrera lässt unterdessen benötigtes Geld für die Reparatur von Booten auf sich warten, wie Parkwächter Torres erzählt. Funktionsuntüchtig ist zudem seit rund einem Jahr die Photovoltaik-Anlage, die einen Teil der erforderlichen Energie auf der Insel liefert. Die Batterien würden nun ausgetauscht, sagt Amengual. Stattdessen sind derzeit Generatoren im Betrieb, die pro Jahr rund 50.000 Liter Diesel schlucken. Sie stehen hinter schall­isolierten Wänden, so dass die passierenden Parkbesucher nur ein leises Brummen vernehmen. Ganz ohne Generator gehe es aber ohnehin nicht, sagt der Parkkoordinator – schon aus Sicherheitsgründen. Der Dieselverbrauch soll zumindest auf die Hälfte reduziert werden.

Den Umweltschützern ein Dorn im Auge sind zudem mögliche Manöver auf Cabrera. Diese sind unter strengen Auflagen erlaubt, das heißt, mit weniger als 300 Mann und ohne Artilleriefeuer. Die militärische Nutzung wurde erst mit einem Beschluss im März dieses Jahres endgültig geregelt, und Organisationen wie Greenpeace sprechen von einer verpassten Gelegenheit, das Militär zu verbannen. „Es ist nicht unbedingt das größte Problem", räumt Umweltschützer Hau ein, der von Zeltlagern der Militärs zu Urlaubszwecken spricht. Parkkoordinator Amengual hält das Thema ganz und gar für aufgebauscht. In der Praxis sei nur die Guardia Civil vor Ort, Militärs marschierten höchstens zu Fuß über die Insel, und ihre Präsenz habe im Laufe der Jahre immer weiter abgenommen. „Die Umweltschützer haben keinen Grund zur Klage."

Trotz der Kritikpunkte ist Hau in der Tat voll des Lobes für den Park, dessen Gründung letztendlich auch auf Initiativen des Gob gegangen sei. Neben dem französischen Port-Cros sei Cabrera der beste Meeres-Nationalpark im Mittelmeer.

Und weil er sich so bewährt hat, will die Meeresschutzorganisation Oceana in der nächsten Verwaltungsratssitzung am 10. Juni eine Ausweitung des Parks fordern. Die Umweltschützer haben in den vergangenen Jahren das Meer im Umkreis des Parks untersucht und dort Ökosysteme unter anderem mit schützenswerten Korallen und Algen ausgemacht, die etwa Opfer der Schleppnetzfischerei würden. Die Ausweitung sei eine einmalige Gelegenheit, die sich ökologisch wie auch wirtschaftlich auszahle.

„Auch wir fordern eine Ausweitung", sagt Hau vom Gob. Das habe allerdings nur dann Sinn, wenn auch gleichzeitig die Mittel für die Überwachung der Schutzzone aufgestockt würden. „Es gibt schon zu viele Meeresschutzgebiete, die nur auf dem Papier stehen."

In der Printausgabe vom 2. Juni (Nummer 578) lesen Sie außerdem:

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