„Casa Ciclista" steht auf einer kleinen Kachel am Eingang des Hauses von Marcel Wüst in Cala Murada. Es ist ein unnötiger Hinweis. Vor der Tür und im Eingangsbereich des großen Bungalows stehen, liegen und lehnen alle möglichen Rennräder nebst Zubehör. Die Laune ist gut, der ehemalige deutsche Profi beherbergt in seinem Haus eine Gruppe von acht Hobby-Sportlern. Dem MZ-Redakteur gelten zunächst verstohlene, skeptische Blicke. Ob der mit seinen Turnschuhen wohl in der Lage sein wird, uns einigermaßen zu folgen? Alle wirken recht fit.

Heute steht eine Tour auf den Klosterberg Sant Salvador an. Schnell spürt der Laie, dass hier ambitionierte Menschen am Werk sind. Es wird nicht lange ­gefackelt, das Tempo ist von Beginn an hoch. Aus Cala Murada geht es hinaus auf die Ma-4014 in Richtung Portocolom. Im Neunerpulk ist es gar nicht so einfach, die Autofahrer nicht zu behindern. Aber die Mallorquiner reagieren gelassen. „Was bleibt ihnen auch übrig?", sagt Marcel Wüst. „Wenn sich mal jemand über uns aufregt oder hupt, sind das so gut wie immer Deutsche."

Ein Stück fahren wir auf der Landstraße Felanitx-Portocolom, bevor wir auf die Ma-4012 nach s´Horta abbiegen. Kleine Straßen ohne Verkehr, eine liebliche Hügellandschaft und die obligatorisch klingelnden Schäfchen prägen das Bild. Die Gruppe zieht die Geschwindigkeit noch einmal an. Wüst könnte natürlich auch noch schneller. Aber er ist ein Genießer. „Warum soll ich denn so rasen? Schnell fahren tut weh und das habe ich jahrzehntelang während meiner aktiven Zeit gehabt." Er hat zweimal die Tour de France, viermal den Giro d´Italia und sechsmal die Vuelta de España durchgehalten.

Durch es Carritxó fahren wir auf die Hauptstraße nach Felanitx. Obwohl es bergab geht, habe ich Mühe zu folgen. Jörg, der in Köln Radrenntrainer ist, nimmt sich meiner an und schiebt. Durch die kleinen Gassen von Felanitx führt der Weg auf die Landstraße nach Portocolom. Wüst gibt ein wenig Radfahr-Nachhilfe: „Wenn wir im Pulk fahren, sind wir wie ein Lastwagen mit Anhänger, dann fahren wir als eine Einheit. Auch an Kreuzungen darf dann niemand aus der Gruppe anhalten, wenn sich der vorderste Fahrer entschlossen hat, loszufahren."

Direkt hinter Felanitx beginnt die Herausforderung des Tages: der Aufstieg auf den Klosterberg Sant Salvador. Fast 400 Höhenmeter und 5.250 Meter Steigung liegen vor uns. Wüst schnappt sich seinen Kollegen Jörg und rast los. Schon nach wenigen hundert Metern sind sie außer Reichweite.

Mein Ehrgeiz ist geweckt. Über scheinbar endlose Serpentinen kämpfe ich mich mit zwei Fahrern aus der Gruppe Kurve um Kurve nach oben. Leider hat das 4.500-Euro-Fahrrad keine 30 Gänge, sondern nur 20, ein empfindlicher Unterschied. Ich muss einen mittleren Schweinehund überwinden. Aber immerhin leisten mir die beiden Mitfahrer Gesellschaft. Während wir dem Ziel immer näher kommen, unterhalten wir uns über das Recycling von Grünabfällen in Hamburg. Der Puls ist am Anschlag, Schweiß fließt in Strömen, und die Beine werden schwer. Aber es gibt kein Zurück mehr.

Nach 23 Minuten ist der Gipfel erreicht. Nur vier Minuten langsamer als Wüst, der inzwischen noch einmal ein Stück wieder bergab gefahren ist, um einer gestürzten älteren Dame zu helfen. Sein Lob kommt aber sofort: „Du bist ja kein Würstchen mehr, sondern schon fast eine morcilla (Blutwurst)."

Der Tag ist gerettet. Jetzt kommt der Schluck aus der „Heldenquelle", wie Wüst den Brunnen am Kloster nennt, gerade recht. Eine kleine Pause im reizvollen Innenhof des santuari und dann geht´s wieder bergab. Das letzte Stück nach Cala Murada fährt sich nach dem Aufstieg ohne Probleme. 50 Kilometer und gute zwei Stunden reine Fahrtzeit später sind wir wieder an der Casa Ciclista.

Informationen zu Marcel Wüsts Programm unter www.casaciclista.de