Florencia Olivares kann nicht mehr gehen, nicht mehr stehen, seit einiger Zeit redet sie nicht einmal mehr. Wenn ihre Tochter Eva Grimaldi sie morgens weckt, legt sie meist die Lieblingsmusik der 75-Jährigen auf. Sie umarmt sie, hält ihre Hand, gibt ihr ein Gefühl von Nähe - ohne wirklich zu wissen, ob es zu ihrer Mutter durchdringt. „Sie merkt es, doch, ich bin mir ganz sicher, dass sie es merkt", sagt Eva Grimaldi und kämpft mit den Tränen.

Florencia Olivares hat Alzheimer im fortgeschrittenen Stadium, muss 24 Stunden am Tag betreut werden. Ihr Ehemann - selbst schon gebrechlich - kümmert sich um sie, aber vor allem ist es ihre Tochter Eva, die jede freie Minute der Pflege widmet. Vor Jahren, als die Krankheit fortschritt, zog Eva mit ihren beiden Kindern bei ihrer Mutter ein. „Klar haben wir überlegt, ob sie in einem Seniorenheim besser aufgehoben wäre. Aber da könnte man ihr niemals diese Nähe geben."

Zu Hause alt werden, trotz Pflegebedürftigkeit - das wollen auch auf den Balearen viele Menschen. „In einer Studie von 2018 haben das 85 Prozent der Senioren bestätigt", berichtet Javier de Juan. Er ist der Leiter der Sozialbehörde IMAS, die Mallorcas Inselrat untersteht - und zugleich jemand, der seit Jahren darum kämpft, die Pflege alter Menschen in ihren eigenen vier Wänden auszubauen. Seit inzwischen knapp vier Jahren stellt das IMAS ambulantes Pflegepersonal, das zu den Senioren nach Hause kommt.

Alles begann als Pilotprojekt. Bis dato waren die Zuständigkeiten klar aufgeteilt: Das IMAS kümmerte sich ausschließlich um die Verwaltung von Tageszentren und Seniorenheimen, während die Unterstützung pflegebedürftiger Menschen in ihrer Wohnung Sache der Sozialdienste der Rathäuser war. „Aber wir vom IMAS wollten da unterstützen", sagt de Juan." Auch weil der demografische Wandel mittelfristig einen Kurswechsel fordere. „In 20 Jahren werden 30 Prozent der Menschen auf den Balearen älter als 65 Jahre sein. Sie können nicht alle in Seniorenheimen unterkommen." Corona hat die Argumente gegen den dortigen Aufenthalt noch verstärkt. „Nicht einer unserer ambulanten Patienten hat sich während der Pandemie angesteckt."

Bislang beschränkte sich das Projekt auf die Gemeinden Alaró, Artà, Binissalem, Campos, Capdepera, Consell, Felanitx, Inca, Lloseta, Porreres, Sant Llorenç, Son Servera, Santanyí, Ses Salines und Santa Maria. 60 Mitarbeiter des IMAS kümmern sich um 130 Patienten. Die Rückmeldungen seien durchweg positiv gewesen, so de Juan. Anfang 2021 sind daher auch Alcúdia, Búger, Campanet, Selva, Bunyola, Puigpunyent, Santa Margalida und Pollença hinzugekommen. Bis Ende des Jahres sollen außerdem Andratx, Banyalbufar, Deià, Escorca, Esporles, Estellencs, Fornalutx, Mancor, Muro, Sa Pobla, Sóller und Valldemossa in das Programm aufgenommen werden. Und bis Ende 2023 dann alle restlichen Insel-Gemeinden, inklusive Palma.

„Es ist ein ambitioniertes Ziel. Aber unsere Pflegekräfte sind nicht nur medizinisch besser ausgebildet, als es bei vielen Mitarbeitern der örtlichen Sozialdienste der Fall ist, sondern sie können auch besser umfassende Fragen koordinieren." Beispielsweise, wenn eine Person kurzzeitig in einer Pflegestelle des IMAS untergebracht werden muss, weil die Angehörigen in Urlaub fahren. Oder wenn es um die Beschaffung von Pflegehilfsmitteln geht.

„Es ist ein ganz anderes Arbeiten", sagt Maria de los Llanos. Die ausgebildete Pflegerin kennt den direkten Vergleich: Früher arbeitete sie in einem öffentlichen Seniorenheim, seit zweieinhalb Jahren ist sie als ambulante Pflegerin des IMAS unterwegs und geht fünf Senioren täglich zur Hand - beim Waschen, beim Einkaufen, beim Spazierengehen, beim Treffen mit Bekannten im Café. „Ich empfinde den Kontakt, den ich zu den Patienten aufgebaut habe, als viel vertrauter als damals in der Residenz. Wahrscheinlich, weil ich ihr Leben, ihr Zuhause kennenlerne und mich in der Zeit, in der ich bei ihnen bin, auch zu 100 Prozent auf sie konzentrieren kann."

Wie lange die Fachkräfte des IMAS bei ihren Patienten sind, hängt von ihrer Pflegebedürftigkeit ab, maximal aber fünf Stunden am Tag. Auch wenn Javier de Juan für die Zukunft eine 24-Stunden-Betreuung anstrebt. Alle sechs Monate wird ein neuer Pflegeplan für jeden Nutzer aufgesetzt, um zu klären, was anfällt und inwiefern die Hilfe des Pflegedienstes gebraucht wird. Die 75-jährige Alzheimer-Patientin Florencia Olivares beispielsweise bekommt nur eine Stunde täglich Besuch von den Pflegekräften.

„Mehr ist auch nicht nötig. Seit sie sich gar nicht mehr alleine fortbewegt, reicht es, wenn jemand kommt, der sie morgens wäscht und aus dem Bett in einen Rollstuhl setzt, damit sie dann bei uns im Wohnzimmer oder der Küche sein kann", berichtet Tochter Grimaldi. Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein? „Nein", sagt Grimaldi. Der Austausch mit den Profis im Haus sei Gold wert, der Umgang herzlich. „Es hilft ungemein, wenn man einfach die Möglichkeit hat, mit jemandem, der sich auskennt, in Kontakt zu sein."

Auch Horst König ist mit dem IMAS-Pflegeservice zufrieden. Der 97-jährige Berliner lebt seit 40 Jahren auf Mallorca, und ihm fällt nicht im Traum ein, seine Finca bei Son Servera zu verlassen, um in eine Seniorenresidenz zu ziehen. „Gerade jetzt in der Pandemie hat sich doch deutlich gezeigt, dass das die beste Entscheidung war", sagt er. Noch immer kocht der Senior allein. Hilfe durchs IMAS bekommt er beim Einkaufen, Spazierengehen und Wäschemachen. „Natürlich muss ich mich jeden Tag aufraffen, alles zu regeln. Aber ich bin ein Naturbursche und wäre in einem Heim nicht glücklich", sagt er. Auch die Gemeinschaft, die eine Residenz mit sich bringen könnte, vermisst er nicht. „Ich bin alleine, aber nicht einsam. Das ist eine Lebenseinstellung. Ich lese, schaue den Kätzchen und Vögeln draußen zu und fühle mich ausgefüllt."

Wenn IMAS-Leiter de Juan sein Ziel erreicht, könnten bis Ende 2023 tausend Personen auf ganz Mallorca von der ambulanten Pflege des IMAS profitieren. Darauf hat Anrecht, wer mindestens seit fünf Jahren als Resident in Spanien gemeldet und dessen Pflegebedürftigkeit offiziell bescheinigt ist. „Bei diesem ersten Schritt sind die Sozialdienste der Rathäuser der erste Ansprechpartner", so de Juan. Ist die Pflegebedürftigkeit amtlich, prüfen Mitarbeiter des IMAS, ob die baulichen Gegebenheiten eine ambulante Pflege ermöglichen - und unterstützen gegebenenfalls bei der Organisation kleinerer Umbauten. Einen von der Rentenhöhe abhängigen Anteil der anfallenden Kosten für die Pflege übernimmt die öffentliche Hand. „Es ist etwa halb so günstig wie der Aufenthalt in einem Wohnheim. Sowohl für uns als auch für den Nutzer."