Haben Sie Ihr Ticket nach Barcelona gebucht? Dann empfehle ich Ihnen einen Besuch des Stadtviertels Gràcia. Auf zur Königin unter den Plazas: Plaça de la Virreina. Dort erlebt man den Himmel auf Erden oder, so will man zumindest glauben, das wahre Leben der katalanischen Hauptstadt. Die Zugehörigkeit zu dieser Region wird durch das Heraushängen vieler Fahnen bekundet. Zum Frühstückscafé, solo natürlich, kommt man per Fahrrad. Mit zunehmendem Alter tauscht man dieses gegen einen Rollator ein. So sitzt man allein bei Zeitungslektüre oder zu zweit bei einem Arbeitstreffen. Kleine Stärkungen werden gereicht. Alles bio – was denken Sie denn. Niemand lässt sich von den Bauarbeitern und deren Lärm stören, die auf abenteuerliche Weise gleich nebenan eine altertümliche Steinbank erneuern. Jedoch bleibt die Reparatur nicht im Verborgenen. Langsam aber sicher kommen die Experten heran. Ältere Männer begutachten die Qualität der Arbeit, kommentieren den Fortschritt, nähern sich immer mehr.
Damen der gleichen Altersgruppe sind forscher und hinterfragen die Verrichtungen an der Bank. Sie ist wichtig, sie ist alt, da habe ich schon als junges Mädchen darauf gesessen. Die Bauarbeiter beantworten Fragen, machen Scherze und setzen ihre Tätigkeit mit beeindruckender Gelassenheit fort. Gleich wird der lokale Fernsehsender auftauchen und eine Reportage über die schönste Bank des Platzes filmen. Doch nein, die Männer packen ihr Werkzeug zusammen, laden es auf einen Bauwagen und sind plötzlich weg. Vorsichtig werden erste Sitzproben durchgeführt, dann wird die Bank in Beschlag genommen. Alles wie vorher, ein Mädchen lernt Fahrrad fahren, eine Señora fächelt sich Luft mit einem beeindruckenden Fächer zu, eine weitere Zeitung wird gekauft, Menschen eilen über die Plaza, der Kellner macht sich bereit für den Ansturm der Mittagspause. Dann legt sich Siestaruhe über den Platz.
Am späten Nachmittag kehrt das Leben zurück. Jugendliche spielen Fußball, Mädchen lassen Seifenblasen steigen. Skateboards werden von geschickten Jungs zwischen den Menschen durchgesteuert. Omas erkunden mit ihren Enkeln, was man hier so alles machen kann. Treffpunkt: Wasserstelle am Turm, mittendrin, plötzlich wird eine Wasserpistole gezückt. Fröhliches Vollspritzen ist angesagt, woher auf einmal all diese Spritzvorrichtungen gezaubert werden, wer weiß. Die Eltern kommen von der Arbeit zurück, man schaut nach den Schulkindern, wie haben sie den Tag wohl verbracht. Erst einmal einen Kaffee auf der Plaza. Da sitzt ja die Nachbarin, hallo, wie geht’s. Schau mal, da ist Pilar. Komm, setz dich zu uns. Die Tische füllen sich. Die Kinder holen sich eine Cola ab, schnell wird der Mund abgeputzt, die Hose hochgezogen und wieder ab zum Spielen. Die Bänke rund um die Plaza werden bevölkert. Auch die heute gerade reparierte. Jung und alt, bunt gemischt. Die zierliche Rentnerin ist zunächst noch ganz allein, bald hat sie das Kind ihrer Nachbarin auf dem Schoß. Für Augenblicke vergisst sie, dass ihr Mann letzten Monat gestorben ist. Ein Pärchen teilt sich ein Brot aus der Papiertüte und macht Platz für einen Mann, der sich mit seiner Mutter im Rollstuhl dazugesellt. Ein Angestellter mit Aktenordner hastet über den Platz. Hallo, Francisco, dich habe ich lange nichtgesehen. Der Stress ist vergessen, er nimmt sich Zeit für ein Glas Wein auf der Plaza mit einem Freund. Väter umarmen ihre Familien, das Abendessen liegt noch in weiter Ferne, man lehnt sich zurück mit einem Bier in der Hand. Grüppchen stehen zusammen, der Tag perlt ab und das Leben übernimmt die Oberhand. Hier auf der Plaza ist es schwer sich allein zu fühlen, Einsamkeit hat keine Chance.
Sollte das Wetter nun doch langsam schlapp machen, kann man sich auch in alle Lokalitäten reinsetzen. Und abends geht’s mit dem Flieger wieder zurück nach Mallorca.
Dort treffen wir uns nächste Woche.
Also dann: Auf Wiederlesen!
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