Die verliebte Ariadne gab ihrem Theseus eine Rolle Garn mit auf dem Weg, als er ins Labyrinth aufbrach, um den Minotaurus - ein Ungeheuer halb Mensch, halb Stier - zu töten. Der Faden wurde am Eingang befestigt und half dem Gefährten nach vollbrachter Heldentat wieder aus dem Irrgarten herauszufinden.

Von Hella Strehlke

Auch Unterwasser-Höhlenforscher verlegen Seile, an denen sie sicherheitshalber noch Pfeile Richtung Ausgang anbringen. Für die Erkundung von Sa Gleda, der größten Unterwassergrotte Europas, brauchten Xisco Gràcia, Juanjo Lavergne und Bernat Clamor bislang über zehn Kilometer Nylonschnur, die sie als ihre ýNabelschnur zur Außenwelt" bezeichnen.

1997 begannen die drei Mitglieder des mallorquinischen Höhlentaucherclubs Grup Nord, die Höhle systematisch zu vermessen. Vor drei Monaten gelangten sie an ihre technischen Grenzen: Wenn sie vom Einstiegsbereich zu den am weitesten entfernt gelegenen Punkt tauchen, brauchen sie dafür etwa anderthalb Stunden. Da der Sauerstoffvorrat maximal drei Stunden reicht, müssen sie sofort wieder umkehren. Welches die endgültigen Abmessungen der Höhle sind, ist daher - noch - unbekannt.

50 Millionen Peseten seien erforderlich, um die Forschungsarbeiten vorantreiben zu können, sagt der Katalane Juanjo Lavergne, der hauptberuflich Tauchlehrer und ýUnterwasserhöhlenführer" ist. Diese Summe bräuchte man für den Kauf einer moderneren Ausrüstung. Dazu gehören unter anderem Unterwasserscooter, spezielle mit Propellern versehene Apparate, welche die Fortbewegung unter Wasser enorm beschleunigen. Bisher wurden die Forscher von der balearischen Regierung, dem Inselrat, der Stadt Manacor und dem Spanischen Höhlenforscherverband mit insgesamt 1,6 Millionen Peseten gefördert. Was Sa Gleda betrifft, ein Tropfen auf dem heißen Stein. So liegt das Mammutprojekt derzeit auf Eis und die Forscher widmen sich anderen Projekten.

Ein winziger Teil der heute vermessenen Grotte Sa Gleda wurde bereits im Jahre 1974 durch Francesc Ripoll ausgekundschaftet. Der Mallorquiner wagte sich 30 Meter vor, was für die damaligen technischen Möglichkeiten eine große Leistung war. M. Trias, G. Pulido und Ll. Roca vermaßen zu jener Zeit den Eingangsbereich. In den Neunzigern absolvierte der weltbekannte Unterwasser-Höhlenforscher Martyn Farr eine Reihe von Tauchgängen, bei denen er die Dimension des ersten circa 100 Meter mal 100 Meter großen Saals erfasste.

Die Karte, die die Sa-Nord-Taucher anlegten, zeigt ein Streckennetz von insgesamt 10,5 km. Die größte direkte Entfernung zum Eingangsbereich beträgt 1,7 km. Sa Gleda gleicht einer Unterwasserwelt mit labyrinthischen Gängen und Sälen. Der geräumigste umfasst eine Fläche von fünf Fußballfeldern (500 Meter lang, 70 Meter breit).

Die Gesteinsformationen von Sa Gleda bildeten sich im Quartär, der Erdneuzeit vor 2,5 Millionen Jahren, als die Höhle ýauf dem Trockenen" lag. So tauchen die kühnen Forscher in einer surrealen Landschaft aus Stalaktiten, Stalagmiten und Steinsäulen. An den Felswänden finden sich Fossilien und Markierungen, die auf Schwankungen des Mittelmeerwasserspiegels hindeuten. Für diese Oszillationen interessieren sich Wissenschaftler aus Rom und Palma, mit denen Gràcia, Clamor und Lavergne in Verbindung stehen.

Die Abteilung für das Historische Erbe des Inselrats wird mit den archäologischen Funden aus den Tauchgängen bedacht. Scherben von antiken Keramiken beispielsweise, die 28 Meter unter der Erdoberfläche im Inneren von Sa Gleda entdeckt wurden. An dieser Stelle befand sich vor etwa 1.800 Jahren noch eine Verbindung zur Außenwelt. Vermutlich diente sie den Menschen damals zum Wasserholen. Dabei muss ihnen wohl ab und an ein Krug entglitten sein...

Was für Gràcia, Clamor und Lavergne ein faszinierendes und interessantes Hobby ist, dem sie ihre Wochenenden und sogar ganze Urlaube widmen, ist für die meisten Menschen wohl eher eine alptraumhafte Vorstellung: Über einen Brunnen oder eine Erdspalte hinabzusteigen ins innere der Erde und dann tauchenderweise in unbekanntes Terrain vorzudringen. Wenn Lavergne im engen Taucheranzug mit mehreren Sauerstoffflaschen versehen durch enge Gänge und Schluchten schwimmt, fühlt er sich privilegiert: ýDurch den Strahl meiner Lampe wird eine märchenhafte Landschaft zum Leben erweckt, die niemand vor mir jemals gesehen hat."