Wenn Ginés Díez von Arbeitnehmerrechten in der Hotellerie spricht, weiß er, wovon er redet. Der bald 64-jährige Generalsekretär der Hotelbranche der Gewerkschaft Comisiones Obreros (CCOO) auf Mallorca kam im Alter von zwölf Jahren aus Murcia auf die Insel und begann bereits mit 14 Jahren im inzwischen abgerissenen Hotel Jamaica in Magaluf zu arbeiten. 14, 15 Stunden täglich, unter Zuhilfenahme des Aufputschmittels Optalidón, das später aufgrund von starken Nebenwirkungen im freien Verkauf verboten wurde. Er habe den ganzen Tag unter Drogen gestanden, um die endlosen Tage durchzuhalten, so wie die meisten seiner Kollegen, sagt Díez. Mitte der 70er-Jahre, kurz bevor die Diktatur endete, war Ginés dabei, als sich auf Mallorca die CCOO etablierte. Seither hat er 15 Tarifverträge ausgehandelt, fast immer in seinem Markenzeichen, einem Hawaiihemd. Ende März geht er in den Ruhestand und gibt seinen Gewerkschaftsposten ab.

Herr Ginés, wie viele Hawaiihemden besitzen Sie?

Eine riesige Auswahl, viel mehr als Anzüge. Ich fühle mich darin wohl und trete sicher auf, wenn ich sie trage. Das rote habe ich übrigens nur einmal, es ist mein Favorit.

Wie haben die Hoteliers reagiert, als Sie zu den Tarifverhandlungen im Hawaiihemd anrückten?

Sie wussten nicht, wie sie sich mir gegenüber verhalten sollten. Aber sie konnten mich auch nicht zwingen, etwas anderes anzuziehen. Irgendwann haben sie sich dran gewöhnt. Es blieb ihnen gar nichts anderes übrig. Dasselbe passierte mit meinem Bart.

Was war mit Ihrem Bart?

Als ich anfing, im Hotel zu arbeiten, trug ich keinen Bart. Niemand trug Bart, das machte man einfach nicht. Ich war allerdings fijo discontínuo, arbeitete also in den Wintermonaten nicht und fing dann im Frühjahr wieder an. Im Winter ließ ich mir immer einen Bart stehen, den ich normalerweise vor dem ersten Arbeitstag abrasierte. In einem Jahr ließ ich dann mal den Oberlippenbart stehen. Mein Chef sagte zu mir, einen Tag vor Öffnung des Hotels: Du wirst es nicht wagen, morgen mit dem Schnauzer zu erscheinen. Ich wagte es. Dadurch animiert, ließ ein Bekannter in einem Fünf-Sterne-Hotel ebenfalls seinen Bart stehen. Der Hoteldirektor strafte ihn da­raufhin ab. Der Direktor selbst trug Schnauzer. Der Angestellte gewann vor Gericht. Ich erzähle das, weil es in jener Zeit kleine Revolutionen waren, die zu Veränderungen in der Gesellschaft und dem Selbstbewusstsein der Arbeitnehmer führten.

„Die Hoteliers verstanden nicht, wieso wir mit Ihnen Dinge aushandeln wollten"

Wie hat sich damals die Gewerkschaft auf Mallorca etabliert?

Hier in dem Gebäude, in dem wir gerade sitzen, nahm die Gewerkschaft ihren Anfang. Zu Franco-Zeiten war hier der Sitz der sogenannten vertikalen Gewerkschaft, der einzigen unter Franco zugelassenen Arbeitnehmervereinigung. Hier waren Vertreter von Gewerkschaften und Unternehmen unter einem Dach zusammengeschlossen. Es war natürlich eine Farce von Gewerkschaft. Wir haben die vertikale Gewerkschaft nach und nach mit unseren Leuten unterwandert und von innen heraus zerschlagen. Die Polizei prügelte auf uns ein und belauschte uns, aber sie konnte nichts mehr machen.

Sie haben 1977 die ersten Tarifverhandlungen mit den Hoteliers auf der Insel geführt. Wie muss man sich das vorstellen?

Die Hoteliers verstanden erst einmal überhaupt nicht, wieso wir plötzlich mit ihnen Dinge aushandeln wollten. Sie waren vorher schließlich die unangefochtenen Chefs in ihren Häusern. Aber es gab zum Glück doch ein paar Vernünftige unter ihnen, die sich flexibel zeigten und mit sich reden ließen. Diese haben dann die angesteckt, die zunächst eher wenig begeistert von unseren Ideen zur Mitbestimmung waren.

Welche wichtigen Verbesserungen der Arbeitsbedingungen haben Sie seitdem ausgehandelt?

Zunächst mal, dass die Leute zu einem würdigen Gehalt arbeiten. Wir haben es auch geschafft, die Wochenarbeitszeit von 48 Stunden zunächst auf 44 und dann auf 40 Stunden herunterzuschrauben. Zudem hat jeder inzwischen ein Recht auf zwei freie Tage pro Woche. Und das Thema Arbeitssicherheit hat auch große Fortschritte gemacht.

Wie haben sich die Hoteliers im Lauf der Jahre gewandelt?

Sie haben verstanden, dass sie mit uns verhandeln müssen und dass es Verbesserungen für die Arbeitnehmer geben muss. Heutzutage besteht das Hauptproblem darin, dass sich manche Hoteliers nicht an die Vereinbarungen halten. Darauf müssen wir noch strenger achten.

War es in den 70er-Jahren einfacher, Leute für einen Streik zu mobilisieren?

Die allgemein verbreitete Meinung darüber ist: Ja. Das trifft aber meiner Erfahrung nach nur bedingt zu. Sicher, es gab nach der Diktatur sehr viel aufzuarbeiten, die Arbeitnehmer im Hotelgewerbe verdienten katas­trophal wenig, sie hatten kaum Rechte. Aber auch heute gelingt es, die Leute auf die Straße zu bekommen. Es kommt eben sehr auf das Thema an. Das Tolle ist: Heutzutage geht es viel einfacher und schneller, dank Facebook und WhatsApp.

Sie haben in Ihren Anfängen vor wenig zurückgeschreckt.

Oh, wenn ich das erzähle, wirkt das immer wie in einem Film. Aber ich habe es wirklich erlebt. Wir haben uns damals wirklich in der Kirche Sant Miquel eingeschlossen, uns an Ampeln im Zentrum von Palma gekettet und ein Verkehrs­chaos ausgelöst, Parolen an Wände geschmiert, wofür ich sogar festgenommen wurde und eine Nacht im Gefängnis verbracht habe, und sind wild entschlossen als Streikposten durch die Urlaubsorte gezogen. Daran erinnere ich mich besonders gerne. Bei einem der Generalstreiks sind wir durch Palmanova und Magaluf gezogen und haben radikal alle Geschäfte und Hotels geschlossen. Tische und Stühle flogen durch die Luft, wir machten vor nichts Halt. Manche Angestellten, die nicht streiken wollten, versteckten sich aus Angst in Kühltruhen, aber wir stöberten sie auf. Gewalt gegen Personen allerdings war für uns tabu. Das gab es nie.

Da haben Sie aber selbst ein höchst undemokratisches Verhalten an den Tag gelegt.

Wir haben sogar mit diesen drastischen Maßnahmen noch lange nicht denselben Druck ausgeübt wie die Hoteliers. Die haben teilweise mit terroristischen Methoden gearbeitet, wie ich das nenne. Ich habe über die Jahre so viele Fälle angezeigt bekommen, in denen Hoteliers ihre Angestellten Verträge über zwei oder vier Stunden am Tag unterzeichnen und sie dann zwölf Stunden arbeiten ließen. Wir mussten uns ja deren Methoden ein Stück weit annähern, sonst hätten wir gar nichts erreicht. Damals wurden Leute gefeuert, die nichts anderes taten, als für ihre Rechte als Arbeitnehmer einzustehen. Das waren die Hoteliers eben nicht gewohnt.

Der Meliá-Chef kündigte Díez. Es dauerte zwei Jahre, bis er sich wieder eingeklagt hatte

Und wie sind die Urlauber mit den Streiks umgegangen?

Wir haben damals Flugblätter in verschiedenen Sprachen gedruckt, darunter auch Deutsch. Die meisten Deutschen haben uns verstanden. In ihrem Land, genauso wie in England oder den nordeuropäischen Staaten, waren Streiks ja schon länger etwas völlig Normales. Ich erinnere mich, dass es sogar Deutsche gab, die sich als Souvenir aus dem Urlaub die ­Gewerkschaftsflaggen mit nach Hause nahmen, die wir bei den Demonstrationen trugen. Etwas besorgter waren da schon die deutschen Reiseveranstalter und Investoren, die die Hotels an der Playa mit Urlaubern füllen wollten.

Wie hat der deutsche Tourismus Mallorca verändert?

Der größte Verdienst der Deutschen war meiner Meinung nach, dass sie einen neuen Blickwinkel auf die Insel gebracht haben. Sie haben vor allem das Thema Umwelt und Naturschutz überhaupt erst einmal in das Bewusstsein der Mallorquiner gebracht. Die Deutschen lieben Mallorca und haben außerdem den Qualitätstourismus auf die

Insel gebracht.

Damit können Sie aber kaum die Playa de Palma meinen.

Natürlich gibt es auch Orte, wo die Menschen einfach saufen. Aber es ist trotzdem etwas anderes als in Magaluf, wo es deutlich weniger friedlich zugeht. Der Playa-Urlauber kommt, weil er ein bisschen anbandeln will - und weil er vielleicht auch mal auf der Suche nach einem Abenteuer ist. Es ist witzig, ich habe das selbst beobachtet. Es war öfter so, dass in der einen Woche eine Gruppe von Männern an die Schinkenstraße kam, und in der Woche darauf eine Gruppe von Frauen. Sie waren die Ehefrauen dieser Männer.

Sie sind seit Jahrzehnten bei der Hotelgruppe Meliá angestellt, auch wenn Sie seit Langem wegen der Gewerkschaftsarbeit beurlaubt sind. Wie ist der Umgang mit den millionenschweren Besitzern?

Ich habe mit dem Seniorchef Gabriel Escarrer nie persönlich gesprochen, und das obwohl er mich mit allen Mitteln loswerden wollte, weil ich Gewerkschafter war. Sie haben mir sogar gekündigt. Ich war daraufhin zwei Jahre arbeitslos, nutzte die Zeit aber, um mich wieder in die Firma einzuklagen. Mit Erfolg. Das Unternehmen musste mir sogar nachträglich meinen Lohn für die zwei Jahre zahlen.

Nahm Ihnen Escarrer das übel?

Viele Angestellte und Vorgesetzte haben mich danach schief angeschaut. Und Gabriel Escarrer, der immer wieder in seinen Hotels nach dem Rechten sah, hat immer versucht, mir auszuweichen, wenn er mich sah. Er wollte mich auf keinen Fall grüßen müssen. Ich glaube, er hat nie verwunden, dass er mich nicht rausschmeißen konnte. Mit seinem Sohn, dem derzeitigen Vorstandschef, habe ich hingegen ein korrektes Verhältnis.

Der anstehende Tarifvertrag: „Über weniger als fünf Prozent müssen wir gar nicht reden"

Welches Fazit ziehen Sie nach vier Jahrzehnten Gewerkschaft?

Ich bin enttäuscht, denn dieses Land, diese Gesellschaft, ist nicht das, wofür wir in der transición gekämpft haben. Nato-Mitgliedschaft und neoliberale Wirtschaftsabkommen mit Europa - das ist nicht, was wir uns vorgestellt haben.

Ihr Nachfolger, der am 30. März gewählt werden soll, wird sich ab Januar 2018 um den neuen Tarifvertrag mit den Hoteliers kümmern müssen. Was sind da Ihre Forderungen?

Elementar sind aus unserer Sicht Gehaltserhöhungen von mindestens fünf Prozent. Über weniger müssen wir gar nicht reden. Die Hoteliers haben in den vergangenen Jahren immense Gewinne erzielt. Da muss jetzt etwas bei den Angestellten landen. Aber es geht auch um andere Themen wie Arbeitssicherheit, Fortbildungen und vieles mehr.

Werden Sie es sich auf dem Sofa gemütlich machen und die Beine hochlegen, wenn Sie Ende März Ihr Amt als Generalsekretär abgeben?

Ich werde mich zumindest für keinen Posten mehr bewerben. Wenn man mich braucht, bin ich aber gerne bereit zu helfen. Wenn nicht, dann eben nicht. Ich werden eine neue wichtige Aufgabe haben: Meine Enkelin ist acht Monate alt, die werde ich tagsüber hüten, wenn meine Tochter wieder arbeiten geht.

Und ihr Ihre Überzeugungen einimpfen?

Ich hoffe doch stark, dass aus ihr auch mal eine richtige Kämpfernatur wird!