Sarah Corbett (33) ist in einem Brennpunktviertel in Liverpool aufgewachsen. Politik, Religion und Aktivismus bestimmten in ihrer Familie seit jeher die Gespräche am Küchentisch. Im Jahr 2009 fand Corbett ihren eigenen Weg, die Welt zu verbessern: durch Handarbeit. Auf einer Nachhaltigkeitstagung der Fundación Camper in Alaró stand sie der MZ Rede und Antwort.

Würden Sie Ihre Eltern als typische Aktivisten bezeichnen?

Ja, absolut. Mit drei Jahren haben sie mich schon mit nach Afrika genommen zu Anti-Apartheid-Protesten.

Aber Sie haben nie eine Bewegung gefunden, zu der Sie sich wirklich zugehörig fühlten?

Ich hatte immer das Gefühl, dass ich in keine der Aktivistengruppen reinpasse. Ich mag es nicht, Menschen anzuschreien, zu maßregeln oder respektlos zu behandeln, aber das tun viele Aktivisten. Sie sind oft hasserfüllt oder gewalttätig. Aber wenn wir wollen, dass unsere Welt schön und liebenswürdig werden soll, dann muss auch der Aktivismus schön und liebenswert sein.

Im Jahr 2009 haben Sie das Craftivist Collective gegründet.

Eigentlich habe ich nur für mich selbst herausgefunden, dass Handarbeit wie Stickereien und Aktivismus für mich sehr gut zusammenpassen. Ich habe einen Blog darüber geführt. Schnell hatte ich weltweit Anhänger, die selbst Gruppen aus dem Boden stampften. Mittlerweile gebe ich Themenanstöße zu aktuellen Anlässen, die craftivists dann umsetzen.

Das heißt, Sie stellen Handarbeitsartikel her, die kleine Botschaften enthalten. Über Klimaschutz, Globalisierungskritik, Feminismus, Kapitalismuskritik. Können hübsche Deckchen und Stoffe tatsächlich etwas bewegen oder bedarf es doch manchmal handfester Protesten?

Das kommt darauf an. Wenn eine Regierung zum Beispiel ganz schnell ein Gesetz verabschieden will, das man verhindern möchte, dann braucht es vielleicht energisches Vorgehen. Aber auch da gilt: Wenn man den Politikern mit Hass begegnet, dann machen sie dicht. Denn keinem gefällt es, wenn ihm vorgeschrieben wird, was er zu tun hat, auch nicht dem Politiker. Schreien erregt vielleicht schneller mehr Aufmerksamkeit, aber vor allem, wenn Gewalt ins Spiel kommt, liefert das der anderen Seite eine Ausrede, nicht zuhören zu müssen. Deshalb glaube ich, dass Bewegungen, die beleidigend, schnell und laut sind, Weltverbesserungs-Kampagnen hemmen können. Nelson Mandela oder Martin Luther King dagegen haben genau wie wir auf Gewalt in der Sprache verzichtet und viel bewegt.

Hat denn „craftivism" schon mal Wirkung gezeigt?

Ja, zum Beispiel haben wir dem Chef eines großen Unternehmens mühevoll gestaltete Geschenke zukommen lassen. Wir wollten erreichen, dass er seinen Mitarbeitern mehr Lohn zahlt und versuchten, unsere Botschaft so zu gestalten, dass sie ihn berührt. Wir nähten Stofftaschen­tücher mit Sprüchen darauf und verfassten handgeschriebene, verzierte Briefe. Und tatsächlich erhöhten die Verantwortlichen die Gehälter für 50.000 Mitarbeiter, und der Chef gab öffentlich zu, dass ihn der freundliche Protest sehr gerührt habe.

Sie haben Anfang Oktober ein Buch herausgebracht, in dem Sie den „crafitvists" Tipps geben. Das klingt nicht unbedingt nach kreativer Freiheit.

Ich will nicht, dass die Menschen einfach nur so sticken und basteln, sondern es soll etwas bewegen, und dafür sind Strategien nötig. Ich lege die Grundlagen, letztlich können die Gruppen lokale Themen behandeln und Details frei gestalten.

Könnte man die netten Weltverbesserer-Nachrichten nicht einfach auf dem Computer tippen, ausdrucken und aufhängen?

Ich glaube, dann vergessen die Menschen die Botschaft viel schneller wieder, als wenn ihnen ein mühsam gestaltetes Stoffkunstwerk ins Auge sticht. Wir leben in so einer digitalisierten Welt, da tut es gut, mal etwas Weiches vor sich zu haben, das die Sinne berührt.

In Deutschland und auf Mallorca ist die Strick-Guerilla im Trend. In Artà sind beispielsweise die Bäume der Fußgängerzone mit Strickwerk verziert. Ist das auch „craftivism"?

Ich würde es nicht so nennen. Meiner Meinung nach muss eine Strategie und ein klares Ziel dahinterstecken und nicht nur dekorative Zwecke.

Als Aktivist kämpft man für eine bessere Welt, beschäftigt sich also auch mit den Dingen, die falsch laufen. Ist es manchmal schwer, weiter den Freundlichkeitskurs zu fahren?

Auf kurze Sicht ist es sicherlich leichter, seine Wut herauszuschreien. Aber auf lange Sicht führt das zu chronischem Stress. Die Handarbeit dagegen ist ein ständiger produktiver Prozess. Man erschafft etwas, und das schützt vor Frust. Und der Fokus auf die positive Botschaft färbt auch auf das eigene Wohlbefinden ab.