Zwei kleine Kinder, verheiratet, Gärtner - eigentlich ist Joan Vanrell ein ganz normaler Mann Anfang 30. Er macht gerne Sport, geht wandern oder Rad fahren. Doch in diesem Jahr kann man ihn gut und gerne als wichtigsten Bürger von Pollença im Norden von Mallorca bezeichnen. Ja, gewissermaßen noch wichtiger als Bürgermeister Miquel Àngel March. „Mehr Stimmen als er habe ich auf jeden Fall", sagt Vanrell. Auf gleich mehreren Volksfesten spielt er in diesem Jahr die Hauptrolle - mit einer Leidenschaft, die höchstens ein Schützenkönig in einer deutschen Landgemeinde nachvollziehen kann.

Bereits als kleiner Junge hatte Vanrell diesen einen großen Traum: einmal den Protagonisten bei der Schlacht der „Moros y cristianos" in Pollença zu spielen. Also jenen Joan Mas zu verkörpern, der 1550 die erfolgreiche Verteidigung Pollenças gegen maurische Piraten befehligt haben soll. Jeden 2. August wird das in dem Städtchen an der Nordküste nachgestellt. Und Joan Vanrell führt das große Getümmel an. Ein Ausdruck kindlicher Begeisterung tritt auf Vanrells schneidiges Gesicht, wenn er davon erzählt. Sein Traum ist in Erfüllung gegangen. Wenn auch nach mehreren Anläufen.

Joan Mas soll ein frommer Christ (cristiano) gewesen sein, der eines Morgens aufwachte und als Erster bemerkte, dass eine ganze Schar arabischer Piraten (moros) in die Stadt gelangt war. Er alarmierte die Nachbarn und organisierte die Verteidigung. Noch heute erinnert eine große Bronzestatue in Pollença an den tapferen Kämpfer, der die Eindringlinge schließlich in die Flucht schlug. Jedes Jahr ist es ein anderer junger Mann, der den Joan Mas darstellen darf. „In anderen Orten wollen kleine Jungs Batman werden, hier ist es der Superheld Joan Mas", sagt Vanrell.

Und doch: Nur acht Kandidaten bewarben sich in diesem Jahr. „Man muss mindestens 27 Jahre alt sein. Und es erfordert viel Pflichtbewusstsein. Um das zu verstehen, muss man es gesehen haben", sagt Vanrell. Er holt sein Smartphone hervor und ruft ein Youtube-Video vom vergangenen Jahr auf. Der große Moment, bei dem die Augen der ganzen Gemeinde auf den in altertümliche Nachtgewänder gekleideten Joan Mas gerichtet sind, dauert nur wenige Minuten: Mas und sein Widersacher, der Piraten-Kapitän Dragut, taxieren sich mit Blicken, dann mit Schwertern - bis Joan Mas ein Zeichen gibt und Christen und Mauren aufeinander zustürmen. An der Schlacht beteiligt sich gefühlt das ganze Dorf. „Mittlerweile sind es etwa 2.500 moros und 800 cristianos", so Vanrell. Jeder, der älter als 16 Jahre ist, kann sich ins Getümmel stürzen.

Auf welcher Seite man steht, hat dabei meist mit der Familie zu tun. Die Vanrells sind seit Menschengedenken cristianos. Dass sie letztlich immer gewinnen, gibt die Geschichte vor. Auch durch welche Straßen die Massen ziehen und wo die finale Schlacht stattfindet, ist jedes Jahr gleich. „Instruktionen im Vorfeld gibt es nicht, eigentlich weiß jeder aus Erfahrung, wie es abläuft. Aber das bei so vielen Menschen zu koordinieren, die teilweise betrunken sind, ist alles andere als leicht", sagt Vanrell. Es sei eine große Ehre, Joan Mas verkörpern zu dürfen, aber auch eine „wahnsinnige Verantwortung". Wenn etwas schiefgeht, ist der Darsteller von Joan Mas schuld. „Und im Dorf vergisst man nicht schnell."

Eine Verantwortung, die allein unmöglich zu schultern ist. Wer sich als Kandidat aufstellen lasse, der brauche eine Gruppe enger Bekannter - „so 70 bis 100 Leute", die bereit sind, sich unters Volk zu mischen und aufzupassen, dass alles stimmungsvoll, aber reibungslos abläuft. „Allein deshalb stellen sich eigentlich nur Männer zur Wahl, die auch wirklich aus Pollença kommen."

Schon drei Mal war Vanrell bei der Wahl angetreten. Beim vierten Mal war das Ergebnis überwältigend: Von knapp 3.500 Wahlberechtigten - mitmachen konnte jeder Einwohner Pollenças ab 16 Jahren - stimmten 1.541 für ihn. „Das sind 46 Prozent." Mehr als der Bürgermeister bekommen hat - und das bei höherer Wahlbeteiligung als bei der Kommunalwahl. „So viel zum Thema Stellenwert des Fests", sagt Vanrell, ohne seinen Stolz in der Stimme zu verbergen.

Dass er schon jetzt ein Held ist, bezeugen auch Videos vom Wahltag am 13. Juli. Gespannt verfolgten Hunderte von Menschen die Stimmauszählung und trugen Vanrell danach auf Schultern über den Platz. „Ein älterer Herr sagte mir, dass er seit Jahrzehnten in Frankreich lebt, aber extra zur Wahl heimgekommen sei, um mich zu unterstützen", erzählt Vanrell.

Sein Erfolg kommt nicht von ungefähr: Bei einem ebenso wichtigen Dorffest, dem Kiefernklettern zu Sant Antoni, hatte er im Januar schon einmal einen großen Auftritt. „Dieses Jahr ging alles schief, der Stamm brach entzwei und jemand hatte ihn mit Schweinefett eingerieben, sodass keiner bis nach oben kam", erinnert sich Vanrell. Schließlich hätte der Bürgermeister ihn gebeten, es zu versuchen, um die Peinlichkeit zu beenden. Als Gärtner und geübter Baumkletterer schaffte Vanrell es. „Dabei hatte ich das Kiefernklettern eigentlich schon 2009 hinter mich gebracht."

Kletterkönig, Joan Mas - auf seiner Liste mit Lebenszielen hat er nun alles Wichtige abgehakt, denn auch beim dritten bedeutenden Dorffest, der Les-Àguiles-Feier, hat er bereits eine der wichtigen Tanzrollen übernommen. „Tja, nach der Piratenschlacht ist mein Leben dann praktisch vorbei", sagt Vanrell und lacht. „Vielleicht bewerbe ich mich dann auf das Bürgermeisteramt."

Los geht das große Gedränge am Donnerstag (2.8.) um 19 Uhr. Tipp: Ein bis zwei Stunden früher da sein und Plätze mit Fluchtwegen in der Nähe suchen. Bequemer: Der Sender IB3 überträgt das Spektakel live im Fernsehen.