Eine beinahe beklemmende Stille herrscht auf dem Gelände, direkt hinter der Ausfahrt aus Porreres, auf der Landstraße nach Felanitx. Sechs oder sieben Autos parken vor der Fabrik der Firma Munar, die seit rund 75 Jahren ­Sobrassada und Leberpastete aus Schweinefleisch herstellt. Jaume Munar, der Direktor des Familienunternehmens in dritter Generation, öffnet die Eingangstür zu den Büro­räumen. Auch hier kein Geräusch. Was auch immer hinter den Wänden passiert, bleibt dem Besucher verborgen.

In einem Konferenzraum hängen Auszeichnungen an der Wand. Ein deutsches Gastromagazin etwa hat die Firma lobend erwähnt. Ein paar Prämierungen von Messen. Dazu Bilder von Würdenträgern wie dem emeritierten König Juan Carlos oder dem ehemaligen balearischen Ministerpräsidenten Gabriel Cañellas. Auf einer Kommode liegen Erinnerungs­stücke an vergangene Tage. Etiketten von früher, handgeschriebene Kundenbücher.

Vom Philosophie-Student zum Firmenboss

Jaume Munar hat vor zehn Jahren angefangen, in der Firma zu arbeiten. Eigentlich hatte er Philosophie studiert. Später lebte er zwei Jahre in Kolumbien und half in einem Straßenkinder-Projekt. Zurück auf Mallorca arbeitete er als Lehrer. „Es war nicht unbedingt mein Wunsch, die Firma zu übernehmen. Aber andererseits haben wir hier auch ein Traditionsunternehmen, dessen Produkte schon mehrere Generationen von Mallorquinern konsumiert haben. Und ich habe mich schon immer für Lebensmittel interessiert. Also habe ich mich dafür entschieden. Mich reizt es, etwas herzustellen, das Teil der Identität der Insel ist." Seit zwei Jahren ist er alleiniger Direktor des Unternehmens. Es ist sein Brotjob. Nebenbei ist Munar auch Dichter, zwei Bände hat er veröffentlicht.

„Embutidos Munar" ist eine kleine Firma, auch wenn Jaume Munar über die Details wie Produktionsmenge oder Anzahl der Mitarbeiter lieber schweigt. Sein Großvater, der den gleichen Namen trug, hatte die Firma 1944 gegründet. „Das war damals nicht so einfach", sagt Jaume Munar. Spanien hatte in den ersten Jahren der Diktatur eine strenge Planwirtschaft. Opa Munar kaufte die Lizenz für die Schlachterei in Asturien. Damit das möglich war, musste der Verkäufer vorgeben, auf die Balearen zu ziehen. Erst auf Mallorca konnter er Munar die Firma übergeben.

Zollkontrolle in Valencia

Ursprünglich produzierte Embutidos Munar in Felanitx, später siedelte die Firma nach Porreres um. Im Eingangsbereich der Wurstfabrik hängt ein Foto, das die Verhältnisse jener ersten Jahre verdeutlicht. Es zeigt eine Kontrolle des Zolls am Hafen von Valencia. Damals durfte man nur jene Produkte in andere Regionen Spaniens exportieren, die dort nicht hergestellt wurden. Für Munars Opa hieß das, dass er nur Sobrassada aufs Festland schicken durfte. „Am Hafen nahm der Zoll die Kisten auseinander, um sicherzugehen, dass sie keinen doppelten Boden hatten und nicht doch ein paar Dosen Paté enthielten", sagt Munar.

Wenn man sich Jaume Munar so anschaut, würde man nie darauf kommen, dass er erst 36 Jahre alt ist. Es sind nicht die grauen Haare, die die Seiten und Teile des Bartes eingenommen haben. Auch nicht seine Kleidung - grüner V-Kragen-Pulli über blauem Hemd und dunkelblaue Jeans zu braunen Chelsea-Boots. Vielmehr ist es seine ruhige Art. Er redet stets reflektiert, und selbst wenn er sich über etwas empört, wirkt er dabei nie überhetzt, nie gereizt, immer in sich ruhend, fast schon weise. Und wenn Munar eine Frage nicht beantworten will, kommt ein so eindringliches Schweigen, dass man reflexartig die nächste stellen will. „Ach, die Sache mit dem Alter", sagt er. „Nach meinem zehnten Geburtstag habe ich meine Eltern gebeten, dass wir das nicht mehr feiern. Ich brauche keine Erinnerung daran, dass schon wieder ein Jahr vergangen ist."

Eine neue Art Mallorquiner

Munar ist einer, der den Mund aufmacht, wenn er was zu sagen hat. Für die MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca" schreibt er regelmäßig eine Kolumne, auf dem öffentlich-rechtlichen Radiosender IB3 nimmt er gelegentlich an einer Nachmittagstalkshow in der Sendung „Multiplex" teil. Er ist für seine gut fundierten, wenngleich häufig zugespitzten Meinungsbeiträge bekannt. „Wir Mallorquiner hören ja eigentlich lieber weg und halten uns raus, bevor wir uns irgendwie Probleme einhandeln können. Ich vertrete eine andere Einstellung: Ich will ein Mallorquiner sein, der sich einmischt und debattiert."

Auch mit seinem aktuellen Buch will er anecken. In „El futur. Poesia de la inexperiència" fragt er nach dem heutigen Sinn der Poesie und kritisiert die ­Mechanismen der Kulturpolitik. Eine zentrale These: die Abschaffung der Literaturpreise. „In keinem anderen Bereich der Politik würde man akzeptieren, dass Ministerien mit den gleichen völlig subjektiven Kriterien Geld verteilen. Genauso wie es ein Unding ist, dass Kultur und Bildung nicht in einem Ministerium untergebracht sind. Ohne Bildung gibt es keine Kultur."

Eine neue Kulturpolitik gestalten

Wenngleich Unternehmer, sei er kein Markt­liberaler. „Außer in der Kultur. Der Staat sollte Theater und Bibliotheken und Kulturzentren finanzieren, aber keine Künstler subventionieren. Denn für mich lautet die Frage: Bis zu welchem Punkt unterstützen die Subventionen lohnenswerte Projekte - und ab wann werden Kulturprojekte geschaffen, um an Subventionen zu kommen?" Könnte er sich denn vorstellen, in die Politik zu gehen, vielleicht eine neue Art der Kulturpolitik gestalten helfen? „Oh Gott, nein", sagt Munar und macht ein Gesicht, als hätte die Frage gelautet, ob er sich vorstellen könnte, seine Lieblingstante zu Wurst zu verarbeiten.

Es ist kurios, dass einer, der so gern umschweifend ausholt, sich in seiner schriftstellerischen Tätigkeit für die Poesie entschieden hat, ein Genre, das in seinem Wortumfang eher beschränkt ist. „Dies ist eben die Herausforderung. Genauso wie Tennis ohne die weißen Linien und das Netz wenig Sinn machen würde, machen für mich die engen Grenzen der Dichtung den Reiz aus." Das Spiel mit der Sprache ist seine Leidenschaft. Munar schreibt auf Katalanisch. „Nicht nur, weil es meine Muttersprache ist. Sondern weil ich der Meinung bin, dass wir der Sprache mehr dienen, wenn wir sie einfach benutzen, anstatt dass wir darüber reden, dass wir sie benutzen müssen."

Sein erster Gedichtband erschien 2005, der zweite 2016. „Ich setze mich nicht hin, um zu schreiben. Manchmal kommen mir Ideen, die notiere ich dann. Mit der Zeit entstehen so die Gedichte." Sein erstes Buch handelte von seinen Erfahrungen in der Jugend. Sein zweites behandelt seine Erfahrung mit der ­Bürokratie. In Kolumbien hatte er seine ­jetzige Frau kennengelernt. Sie wollten gemeinsam nach Mallorca ziehen. Aber es dauerte zwei Jahre, bis die spanische Botschaft die Ehe anerkannte. „Da saß ein Beamter, der darüber zu entscheiden hatte, ob ich meine Partnerin ausreichend liebe." Da habe er begriffen, dass Bürokratie das wahre Machtinstrument ­unserer Tage ist.

Wie ein Junge bei Ferrari

In den vergangenen Wochen tauchte Munar ab und zu in der Zeitung auf, nicht als Kolumnist, sondern im Zuge von Protesten gegen Mietpreiserhöhungen in Sozialwohnungen in Palma. Sein Blick verfinstert sich bei dem Thema. „Wir Mallorquiner sind ja schon daran gewöhnt, dass wir vor den Schaufenstern der Immobilienmakler wie ein kleiner Junge vor einem Ferrari-Händler stehen und wissen, dass wir uns das niemals werden leisten können. Selbst ich als Unternehmer kann mir kaum ein Haus auf der Insel leisten."

In den vergangenen Jahren habe das Problem eine neue Qualität angenommen. „Wenn Familien mit Kindern sich keine Wohnung in Palma leisten können, dann ist das ein Problem, das die Grundrechte einer demokratischen Gesellschaft angreift." Für Munar ist die Mietpreisexplosion ein Beispiel für das Versagen der Politik. „Hier haben wir doch ein Thema, wo es einen parteiübergreifenden Konsens braucht. Und worüber reden die Politiker stattdessen? Über die katalanische Sprache, ein Thema, über das in der Bevölkerung kaum Diskussionsbedarf besteht."

Schuld an der Gentrifizierung

Munar selbst wohnt - von den zwei Jahren in Kolumbien einmal abgesehen - seit seiner Jugend in Palma. Seit einigen Jahren im Stadtteil Sa Gerreria, das immer mehr gentrifiziert wird. „Ich gehörte zu denen, die mit der ersten Sanierungswelle ins Viertel kamen. Ich habe mich damals schlecht gefühlt, auch wenn ich ja eigentlich keine Schuld hatte. Und jetzt sehe ich, wie meine Nachbarn durch die nächste Welle vertrieben werden. Dass Leute, die gerade mal 1.200 Euro im Monat verdienen, 800 Euro oder mehr an Miete zahlen müssen. Innerhalb von 20 Jahren wird die Bevölkerung des Viertels zweimal ausgetauscht."

Dass die Menschen in Palma so passiv auf diese Entwicklung reagieren, erstaunt Munar. „In der Wirtschaftskrise hat sich viel Protest geregt. Aber gleichzeitig wurden uns in damals Bedingungen auferlegt, die nicht akzeptabel sind, aber die zur Normalität geworden sind. Nehmen wir zum Beispiel das Thema der Sharing Economy. Da werden systematisch Arbeitnehmerrechte unterwandert, für die jahrhundertelang gekämpft wurde."

Enttäuscht von der Linksregierung

Munar, der sich selbst eher dem linken Spektrum zuschreibt, ist enttäuscht von der ­Legislaturperiode des Linkspaktes. „Anstatt für die Rechte der Bevölkerung zu kämpfen, hat man sich in Oberflächlichkeiten verloren. Wie kann man zwei Jahre darüber diskutieren, ob das Denkmal im Park de Sa Feixina gesprengt wird? Wie kann man fordern, dass der Tourismus reguliert wird und dann nicht in der Lage sein, diese Regulierungen durchzusetzen? Vielleicht wäre es besser, seine eigenen Beschränkungen zu kennen und ein bisschen mehr Real­politik zu machen."

Mit seiner Firma zumindest will Munar auf dem Boden der Tatsachen bleiben. „Wir sind ein Familienunternehmen und deshalb nicht auf größtmögliches Wachstum aus. Wir versuchen, ordentlich zu wirtschaften. Überschüsse werden nicht ausgezahlt, sondern kommen aufs Firmenkonto. Wir wollen, dass unsere Kunden immer das gleiche Produkt vorfinden. Deshalb ist schon so etwas wie eine Erneuerung des Etiketts ein Schritt, der gut überlegt sein will." Nein, dieser Mann lässt sich nicht aus der Ruhe bringen.