Wolfgang Wahlster ist ein Pionier der künstlichen Intelligenz (KI). Der Informatik-Professor aus Saarbrücken beschäftigte sich bereits mit dem Thema, als 95 Prozent der Deutschen sogar das Wort Internet noch unbekannt war. Seit Anfang der 70er-Jahre forscht Wahlster in dem Bereich, schon 1986 bereitete er die Gründung des Deutschen Forschungszentrums für Künstliche Intelligenz (DFKI) in Saarbrücken vor, das inzwischen weitere Niederlassungen in Kaiserslautern, Bremen, Berlin und Osnabrück/Oldenburg hat. Im Februar gab er nach über 30 Jahren als wissenschaftlicher Direktor die Leitung des DFKI mit inzwischen 1.000 Mitarbeitern an seine Nachfolgerin Jana Koehler ab. Er ist aber weiterhin Chefberater für die wissenschaftliche Strategie, etwa im Austausch mit der Bundesregierung. Daneben ist er Mitglied der Datenethik-Kommission der Regierung und sitzt in einem Dutzend technischer Beiräte von Start-ups sowie von großen Industrieunternehmen. Auf Mallorca hat Wahlster bereits mehrfach seinen Urlaub verbracht. Dieser Tage weilt er auf einer Finca nahe Felanitx, wo die MZ ihn besucht hat.

Haben die Menschen Sie 1988 für verrückt erklärt, als Sie mit dem Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz ankamen?

Das Konzept an sich war zwar seit 1956 bekannt, als erstmals in den USA der Begriff Artificial Intelligence geprägt wurde, aber es hatte schon noch einen sehr exotischen Status. Selbst viele Informatik-Kollegen reagierten damals ablehnend darauf. Obwohl es die Visionäre der KI ja schon vor dem Computerzeitalter gab. Und einer von ihnen stammt ja von Mallorca. Der Theologe Ramon Llull war im Jahr 1308 sozusagen der Vordenker der KI. Er wird oft in der Forschung zitiert. Einmal haben wir ein Symposium nur über seine Schriften abgehalten. Mit seiner ars magica und seiner Behauptung, er könne die Wahrheit von Texten anhand einer Maschine herausfinden und neue Ideen mechanisch generieren, lieferte er die Vorlage für die heutige Hochdurchsatzforschung mit Labor-Robotern in der kombinatorischen Pharmazie. Dort werden nach seiner Idee heute in schneller Folge Hunderte von verschiedenen Wirkstoffen wahllos vermischt, und am Ende prüft man, welche neuen Wirkstoffe nützliche medizinische Eigenschaften haben.

Geben Sie uns ein paar Beispiele dafür, was KI heute schon kann.

Es geht los beim Sprachverstehen. Man spricht eine Frage in das Smartphone ein und der Computer beantwortet sie. Heute können KI-Systeme auch Mails und Briefe durchlesen, zusammenfassen und beantworten. Neuer ist das Bildverstehen, das heißt, dass Computer den Inhalt eines Bildes erkennen, bis hin zu den Emotionen der Personen darauf. Gerade arbeiten wir daran, dass die Maschine auch Tätigkeiten von Personen erkennt, die auf Fotos oder in Videos dargestellt sind. Wir haben den größten Lerncomputer in Europa, der derzeit 110 Millionen Youtube-Videos auswertet und so üben soll, die Tätigkeiten zu identifizieren. Inzwischen gibt es Systeme, die an der Stimme erkennen, wenn Menschen schlecht gelaunt sind. Das nutzen Callcenter, die diese Leute weniger in der Warteschleife hängen lassen.

Was tut sich rund ums autonome Fahren?

Wir sind inzwischen nahe dran an der Stufe 4 des autonomen Fahrens. Das bedeutet, der Fahrer muss zwar noch anwesend sein, das Auto kann aber alles allein regeln. In den nächsten vier Jahren wird das kommen. Das wäre auch für Mallorca eine großartige Chance, denn das Verkehrsaufkommen auf der Insel hat ja sehr zugenommen. Ohne neue Straßen könnte man mit dem autonomen Fahren deutlich mehr Verkehr aufnehmen, denn die Autos könnten dann viel dichter auffahren. Bei einer Geschwindigkeit von 80 km/h beispielsweise könnte das Auto bis auf 20 Zentimeter auf den Vordermann auffahren. Das hält natürlich kein Mensch aus, aber man geht davon aus, dass die bestehenden Straßen dank des autonomen Fahrens bis zu 50 Prozent mehr Verkehr aufnehmen könnten. Das wird auch erreicht, indem man Autos wie Zugwaggons aneinanderkoppelt. Wenn nun fünf Autos nach Manacor fahren wollen, koppelt man sie zusammen. Wenn einer abbiegen will, dann schert er aus, die anderen verbinden sich wieder. Zusätzlich spart das viel Sprit oder Strom, wenn wir von Elektroautos sprechen.

Immer wieder taucht die Befürchtung auf, dass KI Arbeitsplätze gefährdet. Inwiefern ist das ein Problem?

Das ist kein Problem - im Gegenteil, durch KI werden Arbeitsplätze erhalten und es entstehen unzählige neue. Deutschland hat die höchste Roboterquote in Europa, aber in der Produktion sehr wenige Arbeitslose. Die meisten Maschinen unterstützen Menschen bei ihrer Tätigkeit, können sie aber nicht ersetzen. Beim Flugzeugbau kommen beispielsweise Roboter zum Einsatz, die Menschen bei der Flügelinstallation unterstützen, einer belastenden Aufgabe, weil kopfüber gearbeitet werden muss. Die Roboter können ihnen das Werkzeug reichen. Auch bei der Unterbodenmontage in der Autoindustrie kommen Roboter häufig zum Einsatz. Wir sind mittlerweile so weit, dass die Maschinen keine Anweisung mehr benötigen, sondern selbst erkennen, worauf der Mensch hinauswill und dementsprechend handeln.

Wie sehr ähneln Roboter heute schon Menschen in ihren Fähigkeiten?

Es gibt ganz verschiedene Roboter mit unterschiedlichen Fähigkeiten. Was ihnen allen natürlich noch abgeht, ist die menschliche Intelligenz, vor allem die soziale Intelligenz. Es gibt aber heute schon Roboter, die ihre Gelenke weich machen können, damit sie Menschen nicht verletzen, wenn sie mit ihnen zusammenarbeiten. Dann gibt es sogenannte Exoskelette, die sich Menschen wie ein Korsett überziehen, um beispielsweise deutlich mehr Gewicht heben zu können. Es gibt auch Exoskelette, die Hirnsignale zur Bewegungsplanung auswerten, womit sogar manche Querschnittsgelähmte wieder laufen können. Weil die Zusammenarbeit von Menschen und Robotern in Deutschland inzwischen so reibungslos klappt, bringen viele Unternehmen ihre vor Jahren ausgelagerten Fabriken wieder nach Deutschland zurück. Durch den effektiven Einsatz der Roboter kann deutlich schneller und damit günstiger produziert und geliefert werden. Im vergangenen Jahr nahm deshalb erstmals seit Jahren der Anteil der in der Fertigung angestellten Menschen in Deutschland wieder zu.

Wie weit ist Spanien beim Thema KI?

Wir pflegen einen engen Austausch mit den Kollegen des KI-Forschungszentrums IIIA in Barcelona. Dort wird sehr gute Arbeit geleistet, die Forschung bewegt sich auf hohem Niveau. Leider ist in Spanien die staatliche Förderung der Forschung zu gering. Es gibt allerdings viele herausragende Forscher, die immer in Brüssel um Fördergelder anklopfen müssen oder das Land verlassen. Wir haben in unseren Zentren viele Spanier angestellt.

Und was tut sich auf Mallorca?

Mallorca wäre sicher eine geeignete Modellregion für das Thema KI. Es gibt sehr gut ausgebaute Straßen, was für das autonome Fahren wichtig ist. Positiv für Elektroautos sind die kurzen Wege, allerdings müssten noch ein paar Schnelllader aufgestellt werden. Zudem gibt es auf Mallorca einen großen Flughafen, an dem getestet werden könnte, wie man den Sicherheitscheck effektiver machen könnte. Der wird nicht wegfallen, aber gerade in Palma sind auf dem Flughafen lange Strecken zurückzulegen. Wenn die Fluggäste auf dem Weg zum Gate im Gehen einer diskreten Sicherheitsüberprüfung durch KI-Systeme unterzogen werden könnten, könnte man sich die Schlange an der Sicherheitsschleuse sparen. Mallorca hätte das Zeug zu einer Smart Island.

Mallorca nennt sich ja bereits so.

Ja, das habe ich gelesen. Aber wie mir scheint, ist noch nicht allzu viel passiert. Man müsste das Thema Smart Island viel aggressiver angehen und Techniken der KI breit einsetzen.

Wie sieht es denn im Bereich Tourismus aus? Könnten hier Roboter nicht viele einfache Tätigkeiten wie Mietwagen-Ausgabe, Hotel-Check-in oder auch Kellnern übernehmen?

Machbar wäre es natürlich, und etwa beim Check-in im Hotel gibt es das schon. Aber ich glaube, dass sich das für Kellner nicht durchsetzt. Die Leute wollen im Urlaub das Erlebnis haben, wollen mit Menschen in Kontakt kommen. Deshalb bin ich da sehr skeptisch. Wir forschen in diesem Bereich momentan auch gar nicht. Was Urlaubsbuchungen angeht, läuft das meiste inzwischen ja schon digital.

Und über KI. Durch unsere Spuren im Internet verraten wir, welche Art von Urlaub wir mögen. Ist das nicht problematisch im Hinblick auf Datenschutz?

Das ist in meinen Augen falsch verstandener Datenschutz. Ich glaube, das ist die Zukunft des Individualtourismus. Die digitalen Vorlieben der Menschen werden abgegrast und daraus entsteht eine individualisierte Reise aus einzelnen Bausteinen. Die Daten sind ja anonym, und wem der Vorschlag nicht passt, der muss ihn ja nicht buchen. Wer andererseits wenig im Internet über sich preisgeben will, kann kein auf ihn perfekt zugeschnittenes Angebot erwarten.

Könnte die KI eine Chance sein, von der Monokultur Tourismus wegzukommen?

Auf jeden Fall. Die KI könnte in vielen Bereichen auf der Insel eingesetzt werden. Etwa in der Landwirtschaft, einem wichtigen Sektor für Mallorca. Es gibt dank der KI sehr gute neue Ernteroboter, die etwa Trauben oder Mandeln behutsam ernten könnten. Unter dem Schlagwort Smart Farming werden alle Errungenschaften in der Landwirtschaft zusammengefasst, die den Bauern die Arbeit erleichtern, so etwa eine Handy-App, die Pflanzenerkrankungen diagnostizieren kann. Der Landwirt muss lediglich ein Handy-Foto von dem infizierten Blatt machen und die App, die Hunderte von Erkrankungen erkennen kann, bringt sofort das Ergebnis - und dazu gleich noch, wie man die Krankheit bekämpft und welche Dosis welches Mittels nötig ist. All das hat auch einen ökologischen Aspekt, denn der Landwirt kann Pestizide viel zielgerichteter einsetzen. Auch Tiererkrankungen können durch KI im Frühstadium erkannt werden.

Wie sieht es etwa für die Baubranche, einen weiteren wichtigen Sektor für die Insel, aus?

Da gibt es schon eine ganze Menge Robotik, die zum Einsatz kommt. Die KI kann dabei helfen, die Mitarbeiter und die Materiallogistik auf einer Baustelle zu koordinieren. Gerade bei größeren Baustellen ist diese Koordination auch mit Hilfe von Drohnen denkbar. Roboter könnten auch beispielsweise beim Mauern helfen und Menschen bei ermüdenden Tätigkeiten entlasten. Die Roboter können dazu beitragen, den Fachkräftemangel auf dem Bau zumindest etwas auszugleichen.

Neben solchen Hilfestellungen lässt sich die KI auch dazu nutzen, Menschen zu überwachen. Zum Beispiel von totalitären Staaten.

Natürlich ist das nicht auszuschließen. Und wir sehen beispielsweise in China schon negative Auswirkungen beim Thema Social Scoring. Dort kontrolliert das Handy praktisch die Menschen. Wer ein paar Mal bei Rot über die Ampel geht, kann etwa kein Zugticket mehr kaufen. Ein Kollege von mir ist vor Kurzem nach China gereist und nach wenigen Stunden über eine rote Ampel gelaufen. Direkt danach kam aufgrund einer Gesichtserkennung der Strafzettel auf das Handy. So etwas ließe sich in Deutschland genau wie im Rest von Europa niemals durchsetzen. Wir arbeiten mit vielen Staaten weltweit zusammen, aber mit China würden wir zum Beispiel derzeit nicht in Sicherheitsbereichen kooperieren.

Was passiert, wenn die KI eines Tages so schlau wird, dass sie die Macht über die Menschen übernimmt?

Als Naturwissenschaftler muss man sagen, dass es kein Naturgesetz gibt, das das komplett ausschließt. Aber momentan sind wir auf jeden Fall noch sehr weit entfernt. Ich glaube, dass diese Gefahr gering ist, einfach, weil wir Menschen es ja nicht wollen. Die KI wird von Menschen für Menschen gemacht und nicht gegen sie. Jeder Roboter hat ein ursprüngliches Ziel, das vom Menschen vorgegeben wird. KI-Systeme, so intelligent sie auch sein mögen, sind alle Fachidioten auf einem Gebiet.