Es ist zehn Uhr morgens - Frühstückszeit im Speiseraum des Vereins "Associació Tardor" in Palma de Mallorca, einer Anlaufsstelle für Obdachlose und Bedürftige. Zwölf Männer und eine Frau sitzen an Tischen. Manche lesen ein Buch oder die Zeitung, andere sitzen in einer Ecke des Raums und schauen Fernsehen. Alle bedienen sich zwischendurch an den bereitgestellten Teigwaren.

Um sieben Uhr morgens sind die freiwilligen Helfer Carlos und Xema losgefahren und haben das Essen vom Vortag bei verschiedenen Bäckereien abgeholt. In der Küche wird währenddessen schon unter der Leitung von Gabriel das Mittagessen vorbereitet. Der Koch hat früher in einem Hotel gearbeitet. Jetzt ist der 72-Jährige ehrenamtlich für den Verein tätig. „Pro Mahlzeit geben wir rund 170 bis 190 Portionen aus. Im Winter ist manchmal die Hölle los. Da können es gut bis zu 300 Portionen sein", sagt Christine Löhrer, die seit Dezember letzten Jahres als ehrenamtliche Mitarbeiterin Teil des 15-köpfigen Teams ist.

Angefangen hat alles vor dreieinhalb Jahren. Die vier Freunde Jonny, Marga, Ascen und Toni waren zusammen Essen gegangen und zählten auf dem Nachhauseweg 500 Obdachlose. Daraufhin beschlossen sie, einen Speisesaal aufzubauen, in dem dreimal täglich warme Mahlzeiten kostenlos zur Verfügung gestellt werden. Sie nahmen Kontakt zu Hotels auf, drei konnten sie überzeugen, mitzumachen. Dort holen sie übriggebliebenes Essen von den Buffets ab. „Allerdings nur unter der Bedingung, dass wir als Verein die Haftung für eventuelle Lebensmittelvergiftungen übernehmen", sagt Löhrer. „Wir hatten aber noch nie eine Magenverstimmung. Unser Koch kontrolliert das Essen. Was nicht gut riecht, kommt sofort weg." Neben den Hotels stellen auch der Supermarkt Mercadona und der Großhandel Mercapalma Lebensmittel bereit, mit denen frisch gekocht werden kann.

Der Verein ist von Spenden abhängig. Das komplette Team arbeitet unentgeltlich. „Wir müssen jeden Monat schauen, dass wir irgendwie über die Runden kommen. Monatlich können durch Miet-, Strom- und Gaskosten sowie die beiden Autos des Vereins zur Abholung des Essens rund 8.000 Euro anfallen", sagt Löhrer. „Wird es einmal knapp, müssen wir in die eigene Tasche greifen." Die 71-Jährige hat sich zu ihrem letzten Geburtstag eine Waschmaschine gekauft. Die steht jetzt in der Küche von Tardor. Toni, einer der Mitbegründer, hat zuerst sein Auto und dann sein Motorrad verkauft. Jetzt fährt er Fahrrad. Das Geld ist komplett in den Verein geflossen. Momentan muss das Team aufgrund einer Auflage das Vereinsgebäude behindertengerecht umbauen. Jemand hat sie angezeigt und sie wurden kontrolliert. „Die Nachbarn legen uns gerne mal Steine in den Weg. Nicht jeder mag randständige Leute", sagt Löhrer. Laut den Anwohnern hätten ihre Wohnungen durch die Anwesenheit der Obdachlosenhilfe an Wert verloren. Das hält die Pensionistin für Unsinn. „Wir machen keinen Lärm und schließen schon um 20 Uhr."

„Ein guter Zusammenhalt im Team ist das A und O", so die Schweizerin. „Du kannst nicht in solch einer Einrichtung arbeiten, wenn das Team dich nicht trägt." Auch wenn sie als ehemalige Juristin darin geübt sei, die Geschichten der Menschen möglichst nicht mit nach Hause zu nehmen, sei es immer schwierig, sich von den Schicksalsschlägen abzugrenzen. „Wir unterstützen uns gegenseitig. Wir können über Fälle, die uns belasten, reden." Das gilt auch für die Besucher. So ist ein ehemaliger Trapezartist beim Trainieren gestürzt und hat sich den Rücken verletzt. „Er hat alles verloren", weiß die Auswanderin, die zuvor fünf Jahre in Shanghai gelebt hatte. „Er arbeitet hier und dort und lebt in einem besetzten Haus. Er versucht wieder auf die Beine zu kommen, um seine Frau und Kinder zu versorgen."

Es kommen auch immer wieder Deutsche zu Tardor. Mike ist vor 15 Jahren ausgewandert. Er hatte „keinen Bock" mehr auf Deutschland. Dem 35-Jährigen wurde dort „zu viel getratscht". Zuvor lebte er in Granada und auf Ibiza. Momentan ist er auf Mallorca. Seit ungefähr fünf Wochen isst er bei Tardor täglich zu Mittag. „Man schreibt seinen Namen in ein Buch, erhält eine Nummer und wartet, bis seine Nummer auf der Anzeigentafel erscheint", erklärt der Aussteiger. „Man braucht nicht viel. Essens ist doch das Wichtigste." Und das sei gut hier. Es gäbe jeden Tag etwas anderes. Gleichzeitig würde das Essen vor dem Müll gerettet.

Tardors Einsatz geht über die Essensausgabe hinaus. „Toni ist sozusagen unser Sozialarbeiter", sagt Löhrer. „Er unterstützt die Bedürftigen bei der Arbeits- und Wohnungssuche." Marga, seine Frau, ist Psychologin und bietet den Leuten kostenlose Beratungen an. Ein anderer Deutscher und ehemaliger Flughafenmitarbeiter sei sechs Monate lang täglich bei Tardor zu Gast gewesen. Er hatte eine Zeit lang auf der Straße gelebt. „Jetzt hat er einen Job in einem Callcenter gefunden. Er kommt jetzt nicht mehr zu uns."

Im Speisesaal sitzt ein Mann und faltet Servietten für das Mittagessen. Tardor bietet Alkoholikern die Möglichkeit, als Volontäre in der Küche auszuhelfen. „So erhalten sie wieder eine Tagesstruktur. Wir holen sie von der Straße und versuchen sie wieder in den Arbeitsprozess zu integrieren", erklärt Löhrer. Als Entlohnung für die Arbeit bekommen die Volontäre kostenlos ein Zimmer von Tardor zur Verfügung gestellt.

„Das Sozialsystem ist hier die große Schwierigkeit", sagt die ehrenamtliche Helferin. „Wenn du obdachlos bist, erhältst du für sechs Monate eine Notunterkunft. Danach stellt man dich ohne Unterstützung wieder auf die Straße." Die Alters- und Invalidenrenten seien viel zu niedrig. „Es kommen Leute zu uns mit 300 Euro Rente im Monat. Wie soll man sich davon eine Wohnung leisten und dazu noch Essen kaufen?" Sie wünscht sich EU-weite Mindeststandards für Sozialhilfe, die an den Lebensstandard der Bevölkerung angepasst sind.

Die Associació Tardor kann neben Spenden jede helfende Hand gebrauchen. Interessierte können persönlich vorbeikommen.

Associació Tardor

Calle Reina Constanza, 10 07006 Palma de Mallorca

Tel.: 643-21 71 56

Täglich 9.30-20 Uhr geöffnet