Eine einzige grüne horizontale Linie mit wenigen ebenfalls grünen vertikalen Strichen, die teilweise in roten Punkten endeten. So sah das Bild einer Teilnehmerin von Cris Pinks Malkurs auf Mallorca zum Thema „Garten des ganzen Lebens" aus. „Über der Wiese schwebte ein unidentifizierbares, deformiertes Wesen", erinnert sich die 63-jährige Kursleiterin. „Ein Wal", platzte es aus einer anderen etwas vorlauten Teilnehmerin bei der Besprechung der Bilder in der Gruppe heraus. Dem wollte Pink schnell etwas entgegensetzen und warf das Wort „Fötus" in den Raum. Die Frau, die das Bild gemalt hatte und in der Gruppe zuvor kaum ein Wort verloren hatte, brach in Tränen aus. „Als sie sich wieder beruhigt hatte, erzählte sie uns, dass sie vor 30 Jahren eine Fehlgeburt erlitten hatte. Weil sie angeblich unfruchtbar sei, hatte die Familie ihres damaligen Partners sie heftig beschimpft", erzählt Cris Pink.

Seit zehn Jahren gibt die in Koblenz geborene Künstlerin nun schon Kunsttherapie-Kurse auf Mallorca, vor allem für Frauen. Dabei hat sie bereits unter anderen mit Häftlingen, anorexiekranken Mädchen, Seniorinnen, Musliminnen und Jugendlichen zusammengearbeitet. Während ihr die Kunst, wie sie scherzhaft sagt, schon durch ihren Nach­namen in die Wiege gelegt wurde, schlug die ehemalige Mode- und Kunststudentin die ­therapeutische Richtung erst später ein. Nachdem sie nach Kurzaufenthalten auf dem spanischen Festland 1984 auf Mallorca gelandet war, machte sie sich zunächst einen Namen in der zeitgenössischen Kunstszene der Insel. 1994 gründete sie die Designschule Blau. „Während meiner Zeit dort habe ich morgens Studenten ausgebildet, nachmittags kamen Arbeitslose zu uns, die das Soib, das balearische Arbeitsamt, vermittelt hatte. Ich habe sie einen ganzen Monat lang begleitet und mit ihnen etwa Blumen und Kränze gebunden", sagt Pink. Dabei sei ihr aufgefallen, wie sehr sich die Menschen in der kurzen Zeit verändert hatten. „Ihr Ausdruck, die Haltung, sie wirkten wieder viel motivierter", so die 63-Jährige.

Nur Mittel zum Zweck

Von 2011 bis 2014 absolvierte die Spanien-Liebhaberin dann an der Schule der Psychoanalytikerin Laura Grignoli in Italien eine Kunsttherapie-Grundausbildung. „Trotzdem bin ich noch längst keine klassische Therapeutin", sagt Pink. Wenn sie in ihren Kursen merkt, dass bei einer Teilnehmerin starke Gefühle aufkommen, bietet sie ihr nach der Stunde ein Einzelgespräch an und verweist sie an einen ausgebildeten Psychologen.

„Die meisten Frauen rechnen gar nicht ­damit, dass sie durch das kreative Arbeiten ­etwas Persönliches von sich preisgeben. Schließlich können sie ja, das sagen alle immer, auch gar nicht malen", so Pink. In der Kunsttherapie gehe es aber gar nicht um das Ergebnis, sondern den persönlichen Ausdruck und den Prozess, der in Gang gesetzt wird. „Kunst ist nur Mittel zum Zweck", erklärt Pink. Also beobachtet sie die Frauen schon beim ­Arbeiten ganz genau: Benutzt eine Teilnehmerin direkt ­einen dicken Pinsel und wirkt damit entschiedener oder greift sie erst einmal zu ­einem dünneren? Wie viel Raum nimmt sie gegenüber den anderen Teilnehmerinnen auf der bemalbaren Riesenfläche ein? Verhält sie sich übergriffig?

Wenn die Teilnehmerinnen die Bilder anschließend in der Gruppe gemeinsam besprechen, hat Pink meist schon eine Vorahnung, welche Themen die Frauen beschäftigen. „Ich spüre sofort, wenn bei jemandem schlechte Erinnerungen hochkommen. Kunsttherapie ist wie ein offenes Buch. Ich frage sie dann, ob sie darüber sprechen möchte", so Pink. Wenn emotionale Themen angesprochen werden, entstehe unter den Frauen sofort eine große Solidarität - trotz einer Gruppengröße von oft 20 Personen. Momentan gibt Pink neben Privatkursen hauptsächlich in einigen Dörfern Kurse, die vom Inselrat finanziert werden. Dabei arbeitet sie oft auch mit Stoffen oder im Falle von älteren Menschen, deren Sehfähigkeit beeinträchtigt ist, mit Gewürzen. Abseits der Kurse malt die Künstlerin, die mittlerweile besser Spanisch als Deutsch spricht, abstrakte Gemälde. Seit 2012 arbeitet sie fest mit der Galerie Hengevoss-Dürkop in Hamburg zusammen. Das Institut d'Estudis Baleàrics unterstützt sie dabei, auch in Deutschland auszustellen. Die Bilder heißen „Da, wo alles entsteht", „Blaues Geflüster", „Camino de nubes" (Wolkenweg) oder „Herbstzeitlose". Einige von ihnen stehen in ihrem Atelier auf ihrer Finca in Biniali. „Vor vier Jahren habe ich mir den Traum, auf dem Land zu leben, endlich erfüllt", sagt Cris Pink. „Anfangs fand ich sogar Mallorca viel zu klein, um hier zu leben. Schließlich war ich immer in Großstädten zu Hause. Jetzt bekommt mich aus dem Dorf niemand mehr weg", schwärmt Cris Pink.

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