Es ist nur ein simples Video, in dem Kike Martí seine Oma auffordert, „ein Quadrat mit drei Linien" zu zeichnen. „Wenn du es nicht schaffst, bekomme ich 50 Euro", hört man den 19-Jährigen darin sagen. Die Frau zeichnet los, legt mehrmals kurz den Stift weg, überlegt. Es gelingt ihr kein Quadrat, ohne vier Linien zu verwenden. Dann tauchen Martís Hände im Bild auf. Er zeichnet ein gewöhnliches Quadrat und malt drei Striche in dessen Inneres. „Du Dummkopf", entgegnet ihm seine Großmutter und lacht. 2,1 Millionen Menschen haben sich das Video in dem sozialen Netzwerk Tik Tok angeschaut, fast 225.000 haben auf „Gefällt mir" geklickt, 446 Mal wurde es kommentiert. „Ich hätte niemals gedacht, dass so ein Quatsch-Video viral werden kann, wenn wir für andere Clips 20 Minuten lang eine Choreografie einstudieren", sagt Martí. Seinem Profil @whoismartii folgen mittlerweile 418.300 Menschen. Zusammen mit seiner Freundin Carla Alegría (@carlaalegria) ist er damit einer der bekanntesten Nutzer auf den Balearen.

Tik Tok kommt aus China, in der App fusionierten 2016 die Programme Douyin und Musical.ly. Von den weltweit über 800 Millionen Nutzern sollen 5,5 Millionen aus Deutschland und 3,5 Millionen aus Spanien stammen. Während andere Plattformen wie Facebook oder Instagram zunehmend in die Jahre kommen, tummeln sich bei Tik Tok vor allem Teenies und junge Erwachsene. Anfangs konnten sie dort nur Playback-Videos aufnehmen, mittlerweile sieht man in den bis zu 60 Sekunden langen Videos vor allem Tanzeinlagen, nützliche Lifehacks, Flechtfrisuren-Erklärvideos oder sportliche Challenges. Bei den Challenges fordern sich die Nutzer gegenseitig - immer unter Benutzung eines entsprechenden Hashtags (#) - zu verschiedenen Aufgaben heraus, etwa per Shuffletanzstil die Treppen hinaufzusteigen oder bestimmte Fingerbewegungen in einer vorgegebenen Reihenfolge auszuführen.

Hauptsache unterhaltsam

„Die Inhalte der App sind extrem spielerisch", erklärt Meliz Winter den Erfolg der App. Sie betreibt in Deutschland die Social-Media-Agentur Social Melon. Tik Tok sei deutlich kreativer, verrückter und vor allem unterhaltsamer als andere Plattformen. „Bei Instagram etwa kommt es sehr auf Ästhetik an. Bei Tik Tok läuft ein Video gut, wenn es witzig ist", so die 27-Jährige. Die Möglichkeiten, ohne großen Aufwand mit besonderen Videoschnitten und Effekten kreative Clips aufzunehmen, seien enorm.

Vergleicht man die Videos von Alegría und Martí mit denen anderer Nutzer, stechen sie nicht einmal durch ihre Kreativität hervor. In einem filmte sich das junge Paar, während es mit jeweils einem Leckerli in der Hand neben einem Hund sitzt. Im Hintergrund läuft „Uptown Funk" von Bruno Mars. Nach der Songzeile „Stop" stoppt die Musik plötzlich, Alegría und Martí erstarren. Sieben Sekunden Pause. Währenddessen krallt sich der etwas verwirrte Hund mit seiner Schnauze das Leckerli. Die Musik geht wieder an. Die beiden Jugendlichen lachen.

Während Martís erste Videos den 19-Jährigen ausschließlich oben ohne zeigen, während er singt und tanzt, ist er in den neueren Clips immer häufiger an der Seite seiner 17 Jahre alten Freundin Carla zu sehen. „Mit den Oben-ohne-Videos habe ich sehr schnell vor allem immer mehr weibliche Fans dazubekommen. Von einigen Nutzern wurde ich wegen meines Körperbaus oft aber auch als Spaghetti oder Skelett bezeichnet", sagt Martí. „Dass wir nun stattdessen häufig als Paar auftreten, macht sicher auch einen Großteil unseres Erfolgs aus. Die Nutzer interessiert, was wir erleben und wie wir als Paar miteinander umgehen."

Unvorhersehbare Clicks

Ob ein Video gut oder schlecht ankomme, können die beiden nie vorhersagen. „Ich bin jedes Mal aufs Neue überrascht von den Reaktionen", so Martí. Neben Natürlichkeit spiele auch die Community eine Rolle, die er sich seit seinen ersten Veröffentlichungen aufgebaut habe. Mit zwei viral gewordenen Clips habe er es in nur wenigen Tagen nach seiner Anmeldung auf 35.000 Fans gebracht, sagt der 19-Jährige, der von den Werbeeinnahmen etwa von Diablito oder Hyundai leben kann. Auch wer sich mit Familienmitgliedern zeigt und damit Einblicke in sein Privatleben gibt, gewinnt bei Tik Tok an Sympathie.

Er wisse, dass der Hype auch schnell wieder vorbei sein könne, mit 30 werde er sicherlich etwas anderes machen, sagt Martí. Zumal er den Hype um seine Person auf der Plattform noch immer nicht ganz verstehe. „Manchmal, wenn mich Teenies auf der Straße sehen, fangen sie an, zu kreischen oder sogar zu weinen", erzählt er. „Und mich halten sie manchmal für seinen Bodyguard und fragen, ob sie ein Foto machen dürfen", sagt Felipe Herrera, Martís Anwalt, der zum Interview mitgekommen ist.