Tom Rhys Harries hatte bei den Dreharbeiten zu „White Lines" auf der Festung Sa Fortalesa bei Pollença wohl keine Probleme, in seine Rolle zu finden. Der britische Darsteller spielte den Star-DJ Axel, der sich im großen Stil zu seinem Geburtstag feiern lässt. „Axel, Axel", schreien Hunderte Statisten, während die Kamera läuft. Doch auch in den Drehpausen lässt die Begeisterung nicht nach. „Die Frauen belagerten ihn förmlich", sagt Mar Granel. Die 26-Jährige konnte sich einen der begehrten Statisten-Plätze sichern. „Sie haben ihn so lange nach der Telefonnummer und dem Instagram-Account gefragt, bis er sich in einer stillen Ecke fast schon versteckt hat."

Die zehnteilige Serie, die auf Mallorca und Ibiza sowie in Madrid, Almería und Manchester gedreht wurde, ist ab Freitag (15.5.) bei Netflix zu sehen. Im Mittelpunkt steht Axel. Der DJ ist in den 90er-Jahren verschwunden. Als seine Leiche 20 Jahre später auftaucht, beginnt seine Schwester Zoe (Laura Haddock) zu recherchieren, was damals geschehen ist. „Sie hatte eine enge Beziehung zu ihrem Bruder", erzählt Haddock. „Doch als er nach Ibiza zog, brach der Kontakt ab."

Schon mit "Haus des Geldes" Erfolge gefeiert

Álex Pina, der zuvor bei Netflix mit der Serie „Haus des Geldes" einen Welterfolg landete, hat „White Lines" geschrieben und produziert. „Die Handlung wechselt ständig zwischen den Jahren 1996 und 2020. Einerseits geht es darum, den Mord an Axel aufzuklären. Andererseits ist es aber auch eine Art Selbstfindungstrip von Zoe", erklärt Pina. Die Schwester verlässt ihr sicheres Umfeld in Manchester und begibt sich in der Nachtclubszene von Ibiza auf Spurensuche. „Zoe hat ihren älteren Bruder vergöttert", sagt der Schauspieler Daniel Mays, der einen Freund des DJs darstellt. „Dabei war er ein schrecklicher Mensch. Es gab viele Menschen, die ein Motiv hatten, ihn umzubringen."

Obwohl die Handlung meist auf Ibiza spielt, ist ein Großteil der Szenen auf Mallorca gedreht. Das hinge hauptsächlich mit den auf der Insel relativ unkompliziert zu erhaltenden Drehgenehmigungen zusammen, verrät Pina. Auf der Insel arbeitete die Produktionsfirma Left Bank Pictures mit Palma Pictures zusammen. „Es ist das wichtigste Projekt unserer Geschichte", sagt dessen Chef Germán Traver. „Vielleicht sogar das lukrativste Filmprojekt jemals auf den Balearen." Das Budget der Serie habe sich auf etwa 20 Millionen Euro belaufen.

Für viel Aufsehen auf der Insel sorgte schon der Aufruf zum Casting. 4.000 Bewerber standen im April 2019 Schlange, um einen Platz als Statist in der Serie zu ergattern. „Ich hatte nichts Besseres zu tun und stellte mich an", sagt Mar Granel. Nach acht Stunden durfte sich die Mallorquinerin fotografieren lassen und gab ihre Daten ab. „Sie fragten zudem, wie freizügig ich mich bei den Dreharbeiten zeigen würde. Da ich zu dem Zeitpunkt einen Freund hatte, lehnte ich es ab, mich auszuziehen." Das beeinflusste die Gage, die die Statisten letztlich bekamen. „Pro Drehtag gab es 100 Euro. Frauen, die sich oberkörperfrei filmen ließen, bekamen 200 Euro. Für Sexszenen gab es noch einmal mehr."

Im September meldete sich das Drehteam bei der 26-Jährigen. Die Informationen hielten sich in Grenzen. Sie sollte Klamotten im 90er-Jahre Stil mitbringen und sich bei einem Treffpunkt in Palma einfinden. „Mit Bussen wurden wir in ein Basiscamp nach Pollença gebracht. Dort gab es Frühstück - das war ziemlich kläglich für so ein reiches Unternehmen." Nach der Maske wurden die Statisten auf die Festung kutschiert. „Die Regie sagte uns, dass wir auf einer Geburtstagsfeier von einem erfolgreichen DJ sind, der dort stirbt. Im Zentrum stand eine vielleicht acht Meter große Plattform. Ringsherum Pools, in die die Statisten je nach Freizügigkeit und Aufgabe eingeteilt wurden. Unsere einzige Anweisung war, möglichst natürlich auszusehen."

Jeder wollte ins Bild

Danach begann der Kampf um die beste Pool-Position. „Ich hatte keine Badesachen und gehörte zur Gruppe, die sich frei um den Pool bewegen durfte", sagt Granel. „Wenn ich schon mitspiele, will ich mich später auch sehen. Daher habe ich stets versucht, mich in den Vordergrund zu drängen." Mar Granel war bei diesem Unterfangen nicht die Einzige. Ein beliebter Punkt war die Plattform, von welcher der DJ in den Pool sprang - ein echter Brite eben. „Irgendwann wurde es der Regie zu bunt, und sie hat die Leute von der Plattform weggeschickt." Die Mallorquinerin mogelte sich zurück in den Rücken von Axel und sah eine Schlüsselszene hautnah. „Es war eine Art Mutprobe, bei der sich der DJ selbst einen Zahn rauszieht. Ich habe versucht, ein angewidertes Gesicht zu ziehen." Die Szene ist groß im Trailer zu sehen. Auch eine andere Statistin darf sich als Siegerin fühlen. „Axel hat während des Drehs spontan mit ihr geknutscht."

Das Produktionsteam hat Mar Granel im Oktober noch ein zweites Mal für einen Dreh in Muro gebucht. „Dort haben sie bei einer Party eine Christusstatue abgefackelt." Da beide Drehs ausführlich im Trailer zu sehen sind, hofft die Mallorquinerin, sich oft in der Serie wiederzuentdecken. Im September will Netflix auf die Insel zurückkehren, um die zweite Staffel zu drehen. „Bis zu drei Staffeln sind möglich", sagt Germán Traver. Inwiefern die Dreharbeiten von der Corona-Krise beeinträchtigt werden, sei derzeit nicht abzusehen. Mar Granel würde gern wieder als Statistin dabei sein. „Ich habe mich für einen Augenblick als Schauspielerin gefühlt. Das fetzt!", sagt sie. „Wobei ich mich nicht unbedingt noch einmal acht Stunden anstellen will."