Dass der Tod zum Leben dazugehört, zweifelt niemand an. „Trotzdem ist das Thema gerade in Spanien für viele Menschen noch ein Tabu", sagt Glynis German. Die Britin lebt seit fast 30 Jahren auf Mallorca, ist Sterbebegleiterin und Trauerrednerin und sieht sich immer wieder damit konfrontiert, dass viele das Thema als unangenehm empfinden und meiden. Deshalb hat sie nun das erste Festival „Dando vida a la ­muerte" (in etwa: Den Tod beleben) gegründet, das vom 1. bis 7. November auf Mallorca und dem Festland stattfinden soll.

Beruflich hat German den Tod in den verschiedensten Facetten kennengelernt.Und mitbekommen, dass Trauernde auf Mallorca in ihrem Schmerz zwar häufig auf professionelle Hilfe zählen können, nicht aber auf private. „Man male sich das schlimmste Szenario aus: Eltern verlieren plötzlich ihr Kind, durch einen Autounfall oder eine Gewalttat. Und kurz darauf wenden sich Freunde und Angehörige von den Trauernden ab - einfach, weil sie nicht wissen, was sie sagen sollen. Das kommt immer wieder vor und muss sich ändern."

Deshalb richte sich das Festival auch nicht nur an Menschen, die einen schweren Verlust zu verarbeiten oder bevorstehen haben, sondern vor allem auch an jene, die mit dem Thema Tod bisher keine oder wenige Erfahrungen gemacht haben. Und das nicht nur, um im Notfall für Trauernde Freunde oder Verwandte da zu sein, sondern auch für sich selbst. „Wenn man sich der Sterblichkeit bewusst wird, kann man das meiste aus dem Leben herausholen", findet German. Ganz nach dem Motto: Lebe jeden Tag so, als sei es dein letzter.

In ihrer Heimat Großbritannien, erzählt die Mallorca-Residentin, die perfekt Spanisch spricht, seien Veranstaltungen wie das „Festival of Death and Dying", an dem sich ihr spanischer Ableger orientiert, ein fester Termin im Kalender vieler Bürger. Auch ihre Weiterbildungen nehme sie stets in Großbritannien wahr. „Dort ist man in dem Bereich etwas weiter als in Spanien", findet sie. Zwar sei es schön, dass zu Allerheiligen alle am 1. November auf den Friedhof gingen. „Aber man sollte dem Tod mehr Platz im Leben einräumen als nur einmal im Jahr."

Auf der einen Seite will German erreichen, dass die Leute eine für sie angenehme und natürliche Art und Weise finden, über den Tod nachzudenken und zu sprechen. Gleichzeitig will sie aber auch all jene Menschen sichtbar machen, die auf Mallorca helfen, den Übergang vom Leben zum Tod menschlich zu gestalten. „Ich rede von Bestattern, Palliativ-Medizinern, Psychologen, Hospizmitarbeitern, Krankenschwestern, Trauerbegleitern und

vielen anderen Profis, die Sterbenden oder Hinterbliebenen in dieser Zeit mit Herz zur Seite stehen." Das Netzwerk auf Mallorca und in ganz Spanien sei groß und gut ausgebaut, das habe sie zuletzt während des Lockdowns festgestellt, als in der ersten Welle der Pandemie so viele Menschen starben und betreut werden mussten. Nur an öffentlicher Anerkennung für die Helfer fehle es noch.

Am 6. November ab 12 Uhr gebe es deshalb eine moderierte Gesprächsrunde, in der sich Menschen vorstellen, die sich beruflich mit dem Tod beschäftigen. „Wegen der Pandemie werden wir es via Youtube ins Internet übertragen, dort ist es dann live zu sehen", so German. Ein ähnlicher runder Tisch soll vor Präsenz-Publikum zudem am 7. November von 10 bis 14 Uhr in der Misericordia in Palma stattfinden.

Auch das Programmkino CineCiutat beteiligt sich am Festival: Am 3. November läuft dort um 19 Uhr die Dokumentation „Los demás días" über den Alltag in einer Abteilung für unheilbar Kranke in einem Krankenhaus in Madrid. Am 5. November wird um 19 Uhr der Film „Ulu" gezeigt, über Menschen, die Veränderungen wagen, um ihr Leben auszukosten.

Unter dem Motto „Living with Loss" (Leben mit Verlust) werden am 2. November um 17 Uhr auf Youtube zwei Mütter, die ihre Kinder verloren haben, ihre Geschichte öffentlich erzählen. Im Anschluss können die Zuschauer Fragen stellen - darüber, wie man mit dem Tod eines nahestehenden Menschen umgeht und darüber, wie man Hinterbliebenen am besten beistehen kann. „Durch die Pandemie gibt es viele Menschen, die geliebte Personen verloren haben, ohne sich richtig von ihnen zu verabschieden. Das hat viele Traumata hervorgerufen, die aufgearbeitet werden müssen."

Zudem will Glynis German auf der Insel eine Idee aufgreifen, die 2015 in den USA entstanden ist. Unter dem Motto „Before I die" (Bevor ich sterbe) schreiben Menschen persönliche Gedanken zum Thema Leben und Tod mit Kreide an öffentliche Wände. Reflektiert werden soll über die eigene Sterblichkeit und das wirklich Wesentliche im Leben. Auf Mallorca entsteht eine solche Reflexionsmauer im Kulturzentrum Can Gelabert in Binissalem. Ab dem 2. November kann jeder sie von montags bis freitags bis Ende des Jahres betrachten und erweitern. Auch in Sa Pobla soll ein solches Gemeinschaftskunstwerk entstehen.

Die meiste Aufmerksamkeit erhofft sich Glynis German allerdings mit einer Großauflage des „Death Café" (Todes-Café). Auch diese Institution kennt die Britin ursprünglich aus ihrem Heimatland, doch schon seit 2015 lädt sie auch auf Mallorca monatlich zu dieser Gesprächsrunde. „Zuerst gab es nur eins in meiner Wahlheimat Binissalem, zuletzt hatten wir bis zu zehn Gruppen über die Insel verteilt", berichtet German. Auch hier sei jeder willkommen - unabhängig davon, ob er unmittelbar mit dem Tod zu tun habe oder nicht. „Die monatlichen Treffen entwickeln sich

immer unterschiedlich. Teils weinen wir, teils lachen wir, aber es ist für die Teilnehmer immer befreiend."

Seit Beginn der Corona-Pandemie sind die Präsenz-Treffen auf die Online-Plattform Zoom verlegt worden. „Am 7. November wollen wir mit Teilnehmern aus ganz Spanien das größte Death Café weltweit veranstalten", so German. Zwischen 17 und 19 Uhr können User sich zuschalten und per Videoanruf mit anderen Teilnehmern sprechen. „Natürlich nicht alle zusammen, ich erwarte mehrere Hundert Teilnehmer. Aber wir werden parallel verschiedene digitale Räume für je zehn bis maximal zwölf Personen eröffnen." Sollten sich genug Deutsche anmelden, sei es auch möglich, eine rein deutschsprachige Gruppe zu gründen. „Bei den bisherigen Death Cafés waren kaum Deutsche dabei, das ist schade", so German.

Mehr Infos: www.dandovidaalamuerte.org