Es gibt den Blick von außen. Wer bislang montags, mittwochs oder freitags durch den Carrer de la Mar in Santanyí geht, sieht ab frühmorgens eine lange Reihe von Menschen, die geduldig vor dem Tor einer Garage Schlange stehen. Hier geben die Helfer von Hope Mallorca Lebensmittel aus. Wer regelmäßig vorbeikommt, sieht vielleicht, dass die Schlange jede Woche ein bisschen länger wird. Dass die Mienen der Wartenden eine Mischung aus Sorge, Scham und Dankbarkeit widerspiegeln. Und dass es inzwischen bis weit nach 12 Uhr dauert, bis auch die letzten mit einer gefüllten Einkaufstasche davonziehen.

Und es gibt den Blick von innen. Auf das Netzwerk von Helfern, die sich seit der Gründung im Lockdown im Frühjahr die tägliche Arbeit aufteilen. Auf den logistischen und administrativen Aufwand, mit dem die Spenden aufgetrieben, aufbereitet und verteilt werden. Und auf die ehrgeizigen Pläne von Hope Mallorca, das System der Hilfen weiter auszubauen sowie auf andere Orte auszudehnen - eine Art Franchise der Hoffnung.

8.30 Uhr, Placa des Pou im kleinen Nachbarort Es Llombards. „Hier geht immer der ganze Wahnsinn los", sagt Heimke Mansfeld. Die Mitgründerin von Hope Mallorca ist an diesem Freitag (20.11.) mit dem großen Lieferwagen gekommen. Denn heute ist nicht nur Verteiltag, es steht am Nachmittag auch ein Umzug in neue Räumlichkeiten an. In der Bäckerei Forn d'es Molí, wo Heimkes Mann Joan hinter der Verkaufstheke steht, gibt es drei Kisten mit frischen Backwaren abzuholen, aber nicht nur das. Auch Frischkäse von der örtlichen Molkerei in Llombards liegt in Plastikbeuteln abgepackt bereit. Und aus einem Gefrierschrank hinten im Haus hievt Mansfeld eine schwarze Box mit praktisch fangfrischem Fisch - ebenfalls eine regelmäßige Spende -, den sie und ihr Mann am Vorabend zerteilt, portioniert und eingefroren haben. Weitere Helfer holen gleichzeitig Spenden aus der Backstube Santanyí ab.

Warten auf Sozialhilfe

Rund 50 Freiwillige sind es inzwischen, die jede Woche unentgeltlich Aufgaben übernehmen, für die sich keine staatliche Stelle in Spanien zuständig fühlt. Mit dem fast vollständigen Wegbruch von Mallorcas Tourismusgeschäft durch Corona in diesem Jahr stehen immer mehr Menschen ohne Job da, warten vergeblich auf Arbeitslosen- und Sozialhilfe - ERTE-Gelder lassen zum Teil Monate auf sich warten - und sind auf Tafeln angewiesen. Rund 900 Menschen im Raum Santanyí erreicht Hope Mallorca derzeit.

Als der Transporter gegen 9 Uhr im Carrer de la Mar vorfährt, reicht die Schlange der Menschen schon um die Straßenecke, obwohl es noch eine Stunde bis zur Ausgabe dauert. Sie begutachten Winterjacken, die an einer Kleiderstange hängen und heute mit ausgegeben werden, auch ein gespendeter Kinderwagen weckt das Interesse. „Distancia social, distancia social!", ruft Mansfeld in scharfem Ton - der Corona-bedingte Abstand zwischen den Wartenden wird wieder größer.

Trotz der Disziplin geht es trubelig zu, was nicht allen Anwohnern gefällt. Im Haus gegenüber blickt eine Frau aus dem Fenster im 1. Stock skeptisch herunter. So einige Nachbarn hatten sich in den vergangenen Monaten beschwert, auch wenn es zuletzt etwas mehr Verständnis gegeben hat. Aber ohnehin ist es der letzte Ausgabetag in der Garage, dessen Eigentümer Miquel Simonet für Hope Mallorca Platz geschaffen hatte. Die neuen Räumlichkeiten stellt jetzt das Rathaus von Santanyí.

Dorthin düst Mansfeld weiter, nachdem Fischbox, Brotkisten und Frischkäsebeutel abgeliefert sind. Vor dem Gemeindezentrum von Santanyí im Carrer Bernat Vidal i Tomàs, 72 rücken an diesem Freitagmorgen weitere Helfer mit Putzeimern an, um alles für den Umzug vorzubereiten. Tische und Truhen werden geschoben, Steckdosen gesucht, ein Wasserkocher in Auftrag gegeben. „Man muss nicht immer auf andere warten", sagt Mansfeld. „Dann geben eben wir Gas."

So funktioniert das System

Wie viel System hinter der Initiative steckt, wird klar, als die Lebensmittelausgabe im Carrer de la Mar beginnt. Die Kirchturmuhr schlägt zehn, und das Garagentor öffnet sich. Hinter einer Plexiglasscheibe steht Alina und nimmt die mitgebrachten noch leeren Einkaufstüten entgegen. Währenddessen gleichen Cintia und Ute die Personendaten mit einer Tabelle auf dem Laptop ab - niemand darf öfter als einmal pro Woche kommen. Mustafa sortiert an einer Tischreihe Obst und Gemüse in die Einkaufstüten ein, Christina derweil Nudeln, Reis und Kichererbsen auf der anderen Seite des Raums. Alina packt dann auf Wunsch noch Eier, Brot, Fisch oder Frischkäse obendrauf. Und im Hintergrund räumt Heike Sachen umher und macht sauber. Sie alle zusammen sind heute das Freitagsteam - und dabei bleibt es auch, denn wegen Corona ist das Wechseln in andere Teams verpönt.

„Wie viele seid ihr zu Hause?", fragt Cintia eine Frau mit Einkaufstrolley. Es sind vier Personen, aber es fehlt eine aktuelle Bescheinigung vom Rathaus über die Bewohnerzahl. „Heute ist das kein Problem, aber beim nächsten Mal musst du eine aktuelle Bescheinigung mitbringen", sagt die Mexikanerin. Auch bei einem jungen Mann, der für die verhinderten Nachbarn Lebensmittel abholen will, gibt es eine Ausnahme. „Ihnen geht es wirklich schlecht", beteuert er und kann schließlich mit vollen Taschen die Garage verlassen.

Der 30-Jährige ist Hotelkoch und wohnt mit seiner Frau und zwei Kindern im Alter von zwei und zehn Jahren in Cala d'Or. Weil die Tourismussaison fast vollständig ausgefallen ist, habe er in diesem Jahr überhaupt keinen Job gefunden, erzählt Alejandro. Seiner Frau, die draußen vor der Ausgabestelle gewartet hat, erging es nicht viel besser. Gerade mal einen Monat habe sie in diesem Jahr als Zimmermädchen arbeiten können, so Susana. Von der im Frühjahr beantragten Sozialhilfe sei bislang nichts auf dem Konto eingegangen. „Man wird nach vielen Unterlagen gefragt, und am Ende bekommt man nichts." Mit der Miete seien sie bereits vier Monate im Rückstand. Und vielen anderen Familien in Cala d'Or ergehe es ähnlich. Wie soll man da über den Winter kommen? Alejandro wendet sich ab, damit man seine Tränen nicht sieht.

Heimke Mansfeld hat schon viele solche Geschichten gehört. Den Pessimismus lässt die Hair- und Make-up-Stylistin an sich abprallen. „Vielleicht geht es mir morgen schlecht, und ich brauche dann Hilfe", sagt sie dem Paar aus Cala d'Or, als es sich von Herzen bedankt, und deutet auf den Friseursalon direkt gegenüber. „Wenn ich mit meinen Kunden über unser Projekt spreche, muss ich wenigstens nicht übers Wetter reden." Und die Dankbarkeit der Menschen erweist sich als eine enorme Motivation. Zum Beispiel wenn eine Familie per WhatsApp ein Foto vom Eintopf schickt, der dank der Hilfe auf den Tisch kommt.

Elan und Ordnung

Die Hilfe vor Ort ist eine Seite der Medaille, die andere Seite ist Strategie und Organisation. Während Mansfeld Kontakte klarmacht und alle mit ihrem Elan vor sich hertreibt, bringt ihre Freundin, Jasmin Nordiek, Ordnung in das Projekt - sie kümmert sich um die geschäftlichen Dinge im Hintergrund. „In der Anfangszeit hatten wir noch keine festen Prozesse und Strukturen", sagt die Unternehmensberaterin. Doch das hat sich inzwischen gründlich geändert. Statuten, Datenschutz, Versicherungsschutz - alles muss bedacht sein. Auch um Charity-Events, Marketing und soziale Netzwerke kümmert sich Nordiek. Bereits seit Juni ist Hope Mallorca als wohltätiger Verein (asociación no lucrativa) registriert, mit Mansfeld als Präsidentin und Nordiek als Vizepräsidentin. Ihr System sehen sie als eine Art Franchise-Projekt, das sich jetzt auf andere Orte der Insel übertragen lässt. Eine Ausgabestelle in Portocolom ist inzwischen beschlossene Sache, weitere Standorte sind noch in Vorbereitung.

„Wir sind immer wieder erstaunt, wie viele Menschen aufspringen und mithelfen", sagt Nordiek - über alle Schichten und Nationalitäten hinweg. Die Erfahrung zeige: Viele Bedürftige wollen nicht nur Schlange stehen, sondern selbst bei dem Projekt mit anpacken.

Nicht nur bei der Ausgabe der Lebensmittel, auch bei der nötigen Beschaffung wächst das Projekt. Seit zwei Wochen geht es samstags mit Helfern aufs Feld bei Manacor. Nachdem das Gemüse bei Hotels und Restaurants zu wenig Absatz findet und die Ernte untergepflügt werden müsste, darf Hope Mallorca zum Abernten kommen. Gerade in Corona-Zeiten seien die Menschen auf Vitamine angewiesen und dürften sich nicht nur von Reis und Nudeln ernähren, betont Mansfeld.

Dienstags und donnerstags treffen sich dann in Santanyí die Sortierteams: Ein Lkw des Lions Club Palma liefert aussortierte Produkte der Lidl-Filialen an, hinzu kommen gespendete Lebensmittel der Banco de Alimentos sowie Sachspenden von Privatleuten. Die noch brauchbaren Lebensmittel von denen zu trennen, die im „Schweineeimer" landen und von einem Bauern abgeholt werden, ist Arbeit für neun Freiwillige - allein das Karton-Kleinmachen ist ein Fulltime-Job. Darüber hinaus werden an jedem Ausgabetag dank Spenden fehlende Produkte für rund 800 Euro zugekauft, beispielsweise Babynahrung.

Foodtrucks für Schüler

Die Maschinerie der Tafel läuft rund, und Hope Mallorca hat inzwischen weitere Projekte am Laufen oder in Vorbereitung. Da wären die Schulen: Immer mehr Kinder werden vom Mittagstisch abgemeldet, deswegen soll ein Foodtruck an den Start gehen, der warmes Essen verteilt - freiwillige Köche stehen schon bereit. Da wäre die steigende Zahl von Obdachlosen in Palma: Sie sollen Kleiderspenden aus Deutschland wie etwa Skihosen erhalten. Und da wäre vor allem die Frage, wie die Menschen auf Mallorca ihren Job behalten oder wieder in Arbeit kommen können. Helfen soll unter anderem ein Branchenverzeichnis für lokale Unternehmen mit inzwischen 16 Kategorien (hope-mallorca.com).

Trotz aller Projekte soll Santanyí der Dreh- und Angelpunkt von Hope Mallorca bleiben - die Menschen brauchen zunächst etwas zu essen. Das Team von diesem Freitag hat inzwischen fast alle Menschen versorgt, und auch die letzten Wartenden dürfen sich als Kunden statt als Bittsteller fühlen. Die Details machen viel aus. „Zwei Erwachsene, ein Hund", lautet noch einmal die Ansage von Cintia - es gibt obendrauf eine Portion Trockenfutter.

Die Menschen ziehen mit ihren Einkaufstaschen allmählich davon, der Geräuschpegel sinkt vor der Ausgabestelle. Wie auf Kommando nähern sich jetzt starke Helfer für den Umzug. Hope Mallorca hat für alle sichtbar eine große Welle der Solidarität auf der Insel losgetreten. „Wir retten Mallorca", sagt Mansfeld. Und ein wenig stimmt das wohl auch.