"Todo un tipo" nennen Spanier oftmals Mitmenschen, die sich abseits alltäglicher Mainstream-Etikette einer ganz besonderen Popularität erfreuen. Raúl Bassi ist einer dieser Typen. Jemand, den man auch nach einer flüchtigen Begegnung nicht so schnell wieder vergisst. Flüchtige Begegnungen sind nämlich Bassis Spezialität.

Seit mehr als zwölf Jahren arbeitet der 69-jährige Argentinier als Torwächter im Yachthafen Club de Mar in Palma de Mallorca. Ein Beruf, den es in Zeiten von Näherungssensoren, automatischen Schranken und Scan-Kameras eigentlich gar nicht mehr geben sollte. Doch im Club de Mar ticken die Uhren von jeher anders. Seit seiner Eröffnung vor knapp 50 Jahren gilt der an Palmas Westufer gelegene Hafen als Kuriosum unter seinesgleichen. Und das nicht nur auf den Balearen, sondern im gesamten Mittelmeerraum.

Die längsten und teuersten Yachten der Welt

Yachten

Zum Verständnis muss man dafür ein klein wenig zurück in die Vergangenheit blicken. 1970. Côte d'Azur. Grace Kelly. Brigitte Bardot. Saint-Tropez. Die größten und teuersten Privatyachten der Welt steuerten damals auf ihrem Weg durchs Mittelmeer die französische Riviera an - und sorgten dank prominenter Besatzung für Schlagzeilen im Ausland sowie Umsatz in der Region.

Genau das rief Javier de la Rosa auf den Plan. Zusammen mit befreundeten mallorquinischen Unternehmern sowie dem Wohlwollen des damaligen Franco-Regimes baute der katalanische Investor die Überreste einer ehemaligen brachliegenden Verladestation für kleinere Handelsschiffe in Palma zum anfänglich benannten „Club de Mar Mallorca" aus. Der anschließend unter Privatkonzession geführte Yachthafen bot nach seiner Eröffnung 1972 - und dank einer mehr als 300 Meter langen Anlegemole - einen der bis heute größten Parkplätze Europas für die längsten und teuersten Yachten der Welt. Dank ihm verwandelte sich Palma de Mallorca in einen neuen, bis dahin weitgehend außer Acht gelassenen Vergnügungspark für die maritime High Society im Mittelmeer.

Promis inkognito

Die Liste der illustren Persönlichkeiten, die im Club de Mar im Laufe der Zeit an Land gingen, ist lang. Einer der ersten VIPs war Don Juan de Borbón, Vater des spanischen Altkönigs Juan Carlos I., und Besitzer der Segelyacht „Giralda", für die der Club viele Jahre zum Heimathafen wurde. Ihm folgten später unter anderen der Schah von Persien, Christina Onassis, Aga Khan sowie Monarchen aus halb Europa. Fest machten im Club de Mar zudem weltbekannte Luxus- und Megayachten wie die „Lady Moura" des saudi-arabischen Milliardärs Nasser ar-Raschid, die Segelyacht „Creole" der italienischen Mode-Dynastie Gucci oder die futuristische Motoryacht „Venus" des verstorbenen iPhone-Erfinders Steve Jobs.

Natürlich hatte auch Raúl Bassi im Laufe seiner Tätigkeit als Portier immer wieder mal eine Begegnung mit prominenten Hafenbesuchern. Auch wenn er diese nicht immer sofort als solche erkannte. „Vor ein paar Jahren stoppte eine schwarze Stretchlimousine neben meinem Häuschen. Der Chauffeur bat mich etwas schroff um eine Zufahrtserlaubnis für den Stegbereich, um zu einer dort wartenden Yacht zu gelangen", erzählt Bassi. „Ich antwortete ihm, dass er mir dafür erst einmal den Namen des Charterkunden sowie der Yacht nennen müsste. Daraufhin glitt die abgedunkelte Fensterscheibe am hinteren Ende des Wagen herunter. Auf dem Rücksitz saß ein unrasierter Typ mit Cowboyhut und lächelte mich an. Der war mir so sympathisch, dass ich dem Fahrer eine Chipkarte für die Schranke in die Hand drückte und ihn durch winkte." Wie sich später herausstellte, handelte es sich bei dem Cowboy um US-Rocksänger Bruce Springsteen.

Begegnung mit dem spanischen König Felipe I.

Ein ähnliche Begegnung hatte Raúl Bassi auch mit Spaniens Staatsoberhaupt. „Da rast doch eines Tages ein unscheinbarer blauer Seat an mir vorbei, um kurz danach abrupt in die Bremsen zu steigen. Ich also raus, um den Fahrer zu fragen, ob er irgendein Problem habe", erzählt Bassi. Hinter dem Lenkrad ein hochgewachsener Jüngling, der sich gleich mehrmals dafür entschuldigte, am Schrankenhaus nicht angehalten zu haben. „Ist schon in Ordnung", antworte Bassi, drehte sich um - und blickte in die Augen einer Handvoll ernst dreinschauender Bodyguards, die hinter dem heutigen spanischen König Felipe I. aus ihren Eskorte-Fahrzeugen gestiegen waren. „Am Ende haben wir alle gelacht", sagt Bassi.

Er selbst kam zu seinem Job im Hafen wie die Jungfrau zum Kind. „2006 habe ich einen Verwandten auf Mallorca besucht. Die Insel, die Leute, aber vor allem die Sicherheit, mit der man hier lebte, waren letztendlich der Grund, mit meiner Frau und den zwei Kindern ganz herzuziehen." Seinen ersten Job fand er in einem Hotel in Arenal. Als Nachtportier. Zwei Jahre später bot ihm ein Bekannter an, die Urlaubsvertretung für einen der damaligen Schrankenwärter im Club de Mar zu übernehmen. Der kam nie wieder. Bassi dafür blieb.

Stoppen für ein kurzes Schwätzchen

„Ich habe von Booten, Yachten, Segeln oder so einer Art von Wassersport keine Ahnung. Ich kann noch nicht einmal schwimmen", sagt er. Dennoch fühlt er sich hier wie in seinem Element. „Die meisten Menschen, die hier täglich rein- und rausfahren, sind im Laufe der Jahre zu guten Bekannten geworden." Zwar seien seine Schranken an der Einfahrt in der Regel stets oben. Dennoch stoppten viele dieser bekannten Hafenbesucher oftmals neben Bassis Glashaus, um mit ihm ein kurzes Schwätzchen zu halten.

„Ich grüße grundsätzlich jeden, der hier vorbeifährt. Mit der Hand, mit einem Lächeln oder in Zeiten von Corona-Masken mit einem Augenzwinkern", sagt Bassi. Gleiches erwarte er natürlich von den vorüberfahrenden Hafenbesuchern. Manche jedoch würdigten ihn kaum eines Blickes. „Die mit den teuersten Autos schauen meist am traurigsten drein. Irgendwann werde ich ja vielleicht mal herausfinden, warum das so ist." Vor wenigen Tagen habe ein dicker Porsche vor seiner Tür angehalten. Der Fahrer, ein Ausländer, habe ihn gefragt, warum Bassi stets so freundlich grüße, wenn er vorbeifahre. „Weil ich möchte, dass Sie sich anschließend etwas schlechter fühlen", lautete die schnippische Antwort des Argentiniers. „Daraufhin hat der Mann gelacht. Und grüßt jetzt immer freundlich."

Die Stunden als Schrankenwärter sind gezählt

Wie oft Bassi das noch machen wird, ist fraglich. Seine Stunden als Schrankenwärter sind gezählt. Der Club de Mar steht vor einer Komplettsanierung. 60 Millionen Euro sollen bis 2023 investiert werden, um den Hafen von Grund auf zu sanieren, die bestehenden Gebäude abzureißen, um an ihrer Stelle neue zu bauen sowie alle Kai- und Steganlagen zu modernisieren. Das kleine Schrankenwärterhäuschen von Bassi wird es dann nicht mehr geben. „Na und?", sagt der Argentinier mit seinem so typischen schelmischen Lächeln. „Mich werden die deswegen nicht los. Denn mal ehrlich: Wer, wenn nicht ich, soll in Zukunft weiterhin die Hafenbesucher gebührend in Empfang nehmen?" Wie gesagt: Todo un tipo!