Bekannt wie ein bunter Hund - diese Redewendung beschreibt Britta Hurter in Portocolom ganz gut. Kaum jemand in dem Küstenort im Osten von Mallorca kennt die Deutsche nicht, die mit ihrer kontaktfreudigen Mischlingshündin Trudy und der selbst bemalten Kleidung täglich durch den Küstenort streift. „Für viele bin ich wohl die verrückte Künstlerin", sagt Hurter munter. Auch ihr Haus nahe der Promenade ist ein Hingucker: Bunt bemalte Schaufensterpuppen erklimmen die Fassade und haben den Balkon im ersten Stock besetzt. „Irgendwie muss man ja auffallen, hier in zweiter Meereslinie." Die 54-Jährige strahlt Lebenslust aus, es ist unterhaltsam, der Rheinländerin zuzuhören, die mit unverkennbarem Dialekt und losem Mundwerk schwatzt. Nichts deutet darauf hin, dass Hurter schwere Schicksalsschläge erlitten hat, die sie bis heute zeichnen.

Wer die Art Boutique von Hurter aufsucht und eine sterile Galerie erwartet, der wird enttäuscht. Das Ladenlokal am Carrer Capità Barceló 28 ähnelt eher einem Deko-Laden. Bunte Kissen, geschmackvolle Kerzenständer, Holzmöbel, ein bequemes Sofa und Lampen ziehen die Blicke auf sich. Die Gemälde an den Wänden sowie die bemalten Taschen und Accessoires fügen sich ein in das gemütliche Ambiente. „Ich verkaufe hier nur Sachen, die ich mir auch selbst aufstellen würde", sagt Hurter. Im hinteren Teil ihres Ladenlokals herrscht kreatives Chaos. Hier verbringt Hurter Stunden damit, neue Farbe auf die Leinwand zu bringen - oder auf jegliche andere Gegenstände, die ihr in die Finger kommen.

„Das Malen war für mich immer eine Art Work-out. Andere gehen Joggen, ich setze mich vor die Staffelei", berichtet Hurter. So war es zumindest, als ihre Welt noch in Ordnung war. Die studierte Designerin hat einen Lebenswandel hinter sich, der auch ihr kreatives Schaffen grundlegend verändert hat.

Vieles in ihrem Leben ist nicht so gelaufen, wie sie es sich vorgestellt hätte. „Ich hasse Spiele, weil ich als Kind immer meine geistig behinderte Tante gewinnen lassen musste", sagt Hurter. Trotzdem nahm sie als junge Frau nach ihrem Studium eine Festanstellung bei der Spielefirma Ravensburger an. Gut sechs Jahre lang arbeitete sie sich hoch, kümmerte sich um Design und Packaging großer Spielereihen, wurde zur Expertin im Metier. „Bei Ravensburger lernte ich auch meinen Mann Martin kennen. Ich wollte nie heiraten oder so etwas Spießiges tun, wie ein Haus zu kaufen. Aber wir machten beides, und es war gut."

Auch Mallorca hatte in ihrem Kopf nie eine Bedeutung. „Ich war immer eher Italien-Fan", sagt sie. Doch als das Paar vor 13 Jahren bei einer Kreuzfahrt Palma erkundete, verliebten sich beide in die Insel. 2011 kauften sie eine Ferienwohnung in Cala Murada. „Es war unser Ruhepol." Das Berufspensum des kinderlosen Ehepaares war damals enorm. Mittlerweile hatte sich Britta Hurter mit ihrer Ideenfabrik selbstständig gemacht, ihr Mann hatte eine Führungsposition bei ThyssenKrupp im Rheinland angenommen. „Ich war rund 250 Tage im Jahr unterwegs, habe fast nur aus dem Koffer gelebt, es war aufregend, aber anstrengend", erinnert sie sich. Bis heute war sie insgesamt 93 Mal in Hongkong, kennt auch andere asiatische Städte wie ihre Westentasche. „So ist das nun mal, wenn man in der Spielzeugindustrie verkehrt. Von Ravensburger abgesehen produzieren fast alle großen Firmen in Fernost."

Auf Mallorca tankte das Paar gemeinsam Energie - bis Martin Hurter im Oktober 2011 die Diagnose bekam: Mundhöhlenkrebs. Es sei ein langer Kampf gewesen, in dem sie ihm in den letzten Monaten fast rund um die Uhr zur Seite gestanden habe, erzählt Britta Hurter. Als Martin im Fe­bruar 2013 starb, brach für Hurter eine Welt zusammen. „Es war die große Liebe." Sechs Wochen später starb ihr Vater, innerhalb weniger Monate kamen weitere Verwandte und Freunde ums Leben. „Ich habe gefühlt die ganze Zeit auf Intensivstationen und in Rettungswagen zugebracht."

Danach war Hurter nicht in der Lage, Farbe aufs Papier zu bringen, wie sie erzählt. Sie flüchtete sich nach Mallorca, hatte Glück, dass Freunde sie abwechselnd besuchten, ihr beistanden.

Es brauchte gut ein Jahr, bis sie es schaffte, sich wieder vor die Leinwand zu setzen. „Ich musste mich entscheiden, ob ich den Kopf in den Sand stecke oder das Leben weiterlebe", resümiert Hurter. Sie entschied sich für Letzteres. Ihre Bilder seien seitdem nicht düsterer geworden, sondern im Gegenteil, dekorativer. „Sonst würde es mich zu sehr run-

terziehen. Früher baute ich gesellschaftskritische Komponenten in meine Werke ein, aber das Verkopfte in der Kunst ist nicht mehr meins. Heute male ich schöne Dinge, und Mallorca inspiriert mich dabei."

Obst und andere Lebensmittel beispielsweise, ausgelassene Menschen am Strand, Tiere. Nur zufällig wurde die Malerei von Hobby und Selbsttherapie zum Business. Freunde erzählten Betreibern eines Lokals in Cala Murada, dass Hurter malt. Sie waren begeistert, hängten Bilder auf. „So habe ich mich wieder eingegroovt." Mittlerweile ist die Malerei zu einem festen Standbein Hurters geworden. Noch immer ist sie mit ihrer Ideenfabrik selbstständig in der Spielzeugbranche tätig, lebt aber seit drei Jahren fest auf Mallorca und fokussiert sich auf den Verkauf in ihrer Art Boutique in Portocolom, über der sie mittlerweile auch wohnt. „Von Frühjahr 2019 bis Juni 2020 hatte ich einen zweiten Laden in Palma, aber wegen Corona musste ich den aufgeben." Im Januar 2020 verwüstete das Sturmtief Gloria zudem ihre Wohnung in Cala Murada. Aus der Bahn geworfen hat sie das aber nicht - zu krisenerprobt ist die 54-Jährige mittlerweile.

Zwei bis drei Tage pro Woche ist Britta Hurter derzeit für die Hilfsorganisation Hope Mallorca unterwegs, hilft bei der Ernte von Inselprodukten und gibt Lebensmittel an Krisenopfer aus. Und sie genießt die landschaftliche Schönheit Mallorcas. Seit einigen Wochen ist sie bei ihren Inseltouren nicht allein unterwegs: Auf einem Online-Blog postet die Künstlerin regelmäßig Fotos mit ihrer Lieblingsschaufensterpuppe, Malola - eine lebensgroße, sprunghafte Erscheinung in Regenbogenfarben. Mal präsentiert Malola den Lesern die Mandelblüte, mal die Idylle von Portocoloms Hafen. „Ich will den Menschen in Deutschland ein Stück Insel nahebringen. Viele haben Sehnsucht danach. Und ich bin sicher: Es kommen wiede­r bessere Zeiten."