Ein zum Teil unscharfes Bild, eine wackelige Kamera und davor ein blasser, pummeliger Junge, der Orangen schält und wie ein alter Mann daherschwatzt. Nein, es war nicht abzusehen, dass Miquel Montoro mit seinem Video „Ses taronges" bei Youtube viral gehen würde. Drei Jahre ist das nun her. Aus dem damals zwölfjährigen Kind ist ein Teenager ­geworden, der in den sozialen Medien mehr Follower anzieht als so mancher hipper In­fluencer. Miquel Montoro ist längst ein Medien­phänomen, das über Mallorca hinaus bekannt ist. Jetzt hat der 15-Jährige sein erstes Buch veröffentlicht („Uep! Mis aventuras en el campo", Editorial Planeta, 13,30 Euro) - und wieder ist der Rummel um den Bauernjungen aus Sant Llorenç groß.

Nein, es sei nicht möglich, spontan ein Interview mit ihrem Sohn zu arrangieren, erteilt Miquels Mutter Sandra der MZ eine Absage. „Es sind schon viele Interviews anberaumt, außerdem stehen Dreharbeiten an", wimmelt sie ab. Miquel habe mittlerweile sogar eine ­eigene Pressesprecherin, die die Anfragen managt. Dabei hat der junge Mallorquiner, wenn man ehrlich ist, nichts Weltbewegendes ­geleistet, seit er Ende 2017 seinen Youtube-­Kanal startete. Er ist einfach er selbst, ein ­Junge vom Land, der von der Landwirtschaftund seinem Online-Publikum immer wieder praktische Tipps und Einblicke aus ­seinem Alltag auf dem Familienanwesen im Nirgendwo zwischen Artà und Sant ­Llorenç präsentiert. Doch genau das scheint es zu sein, was seine Fans an ihm lieben.

Gelobt zu werden und positive Aufmerksamkeit zu erlangen war nicht immer das, was Miquels Alltag ausmachte. „Ich wurde gemobbt, die anderen Kinder wollten nichts mit mir zu tun haben, bevor ich bekannt wurde", erzählt Miquel in einem seiner zahlreichen Videoposts. Ist Mitleid sein Schlüssel zum Erfolg? Sicherlich nicht. Vielmehr scheint ­Miquel für viele das zu verkörpern, was das ­ursprüngliche, ländliche Mallorca ausmacht: Er ist ein praktisch veranlagter, bodenständiger Mensch, der trotz seiner Jugend mit den hiesigen Traditionen verwurzelt ist, seiner Familie nahesteht und stolz darauf ist. Oder zumindest ist es das Image, was Miquel in seinen Videos jedes Mal aufs Neue herüberzubringen versucht. „Junge, du erinnerst mich sehr an mich selbst, als ich jünger war. Auch ich bin wie du auf einem Landgut aufgewachsen, und meine Eltern und Großeltern zeigten mir, ein gesundes Leben zu führen", kommentiert ein User am Montag (5.4.) unter Montoros neuestem Post - einer praktischen Anleitung darüber, wie man Erdbeeren pflanzt.

Seit ich drei Jahre alt war, fahre ich selbst Traktor. Als Baby haben sie mich auf dem ­Trecker mitgenommen, weil mich der Lärm beruhigt hat", berichtet Miquel im Januar 2020 bei seinem Auftritt in der Late-Night-Show „La Resistencia", die der Sender Movistar+ spanienweit ausstrahlt. Eine halbe Stunde lang plaudert der damals 13-Jährige mit Moderator David Broncano über - ja, was eigentlich? Über sich selbst, seine Familie - die große Schwester Laura, die das Posten bei Youtube und Insta­gram übernimmt („ich selbst habe es nicht so mit diesen Dingen") - und über mallorqui­nische Traditionen. „Er ist ein Symbol für das, ­worauf wir Mallorquiner stolz sein können", lobten Fans daraufhin. Die „Resistencia"-Folge mit Miquel Montoro wurde mit über sieben Millionen Klicks zum meistgesehenen You­tube-Video in Spanien im Jahr 2020.

Kein Wunder: Nach besagtem Orangen-­Video, bei dem Miquel vor allem durch seine altbackenen Gesten und Ausdrucksweisen begeisterte, und kurz vor dem Auftritt in der Late-Night-Show war Montoro erneut viral gegangen. Diesmal mit einer ebenso unspektakulären, aber gleichermaßen authentischen Frequenz, in der der Junge auf dem Herd seiner Mutter eines seiner Lieblingsgerichte ­köcheln sieht - Hackfleischbällchen - und verzückt ausruft „Hòstia, pilotes! Oh, que són de ­bones! M'encanten!", was frei übersetzt etwa heißt: „Hammer, Hackbällchen! Die sind so was von lecker! Ich liebe sie!"

Tatsächlich scheint es eben jene Authentizität zu sein, die selbst die mitreißt, die nichts mit Mallorca und seinen Traditionen am Hut haben. Der spontan-euphorische Ausspruch Miquels verwandelte sich in geflügelte Worte, selbst Möbelriese Ikea pries seine Hackbällchen auf den Balearen zeitweise mit dem Zitat des Jungen an - übrigens ohne ihn vorher zu fragen. Seine Bekanntheit nutzt er lieber für nachhaltigere Kampagnen. Der Inselrat spannte Miquel für eine Werbeaktion zum Kauf von Inselprodukten vor den Karren, auch UNICEF warb mit ihn. Zudem ist er regelmäßig in einer Landwirtschaftssendung auf dem Regionalsender IB3 zu sehen.

Bodenständige Authentizität und Spontaneität - das sind die Dinge, die Montoro in der Yuppie-Welt der hippen, schönen Influencer bei Youtube zu etwas Besonderem machen. Doch es ist schwer bis unmöglich, diese As­pekte angesichts der erlangten Bekanntheit aufrechtzuerhalten oder gar zu planen. Auch ­Miquel scheint sich mittlerweile darüber bewusst zu sein, was die Menschen von ihm sehen wollen. Ab und an fragt man sich in seinen neuesten Videos, was noch der echte Bauernjunge ist und was selbst auferlegte Masche. Gleichzeitig droht Montoro gelegentlich, sich lächerlich zu machen: bei einem Musikvideo mit dem Youtuber Lo Pau de Ponts beispielsweise, der den Jungen zur Melodie des Pophits „La Bamba" mit einer Heugabel Luftgitarre spielen lässt.

Die größte Kritik üben viele Insulaner jedoch an seiner Sprachwahl: Statt wie anfangs auf breitestem mallorquín redet Montoro mittlerweile Spanisch in seinen Posts. „Viele haben mich darum gebeten", rechtfertigt Miquel. Authentizität sieht anders aus. „Du verleugnest dich selbst", finden viele User. Bei seinem neuen Buch umgeht der Teenager das Minenfeld: Es erscheint in beiden Sprachen.

Miquel Montoro auf Youtube finden Sie hier.