Eine Gruppe Spaziergänger an der Promenade in Cala Ratjada bleibt stehen, liest die Schilder außen an einem Restaurant am Hafen. „Beste Bar im Umkreis von 0,5 Metern“ steht handschriftlich in Weiß auf schwarzem Grund. Daneben: „Wir sind so schlecht...das muss man erlebt haben!“ Eine Frau runzelt die Stirn, ihr Begleiter lacht. Ja, das Anno 66 sorgt für Gesprächsstoff und Lästereien im Küstenort. Dabei hat es gerade erst eröffnet.

„Anders, verrückt, einzigartig“ lautet der Slogan auf dem betriebseigenen Bulli – und in etwa so lässt sich auch Inhaber Jürgen Ortmann beschreiben. Es reichen wenige Minuten mit ihm, um zu merken, dass sein Vorhaben, aus dem Anno 66 Cala Ratjadas verrückteste Bar zu machen, tatsächlich gelingen könnte. Als die MZ ihn am Donnerstagvormittag (17.3.) – einen Tag vor der Eröffnung – trifft, herrscht Chaos im Lokal. Reinigungskräfte, Getränkelieferanten und konfuse Mitarbeiter wirbeln durcheinander, jeder will etwas von Jürgen Ortmann, und doch hat er dem MZ-Interview spontan zugesagt – dabei sollte eigentlich jeden Moment auch noch das Kamerateam von Vox auftauchen, um für die neuen Folgen von „Goodbye Deutschland“ zu drehen. Und das Herzstück der Bar – die Zapftheke – ist immer noch nicht geliefert. Doch Ortmann nimmt’s gelassen. „Dann gibt’s halt erst einmal Flaschenbier.“

Jürgen Ortmann liebt das Spontane, er liebt Lachen und das Leben. Für Sorgen oder Trübsal ist da kein Platz. So zumindest versucht er sich zu präsentieren. Wirklich greifbar ist der 55-Jährige nicht. Doch man kann ihn sich gut als Alleinunterhalter vorstellen, vor allem wenn Alkohol fließt. Seinen Job als Postbote aufzugeben und in die Gastronomie zu gehen, habe er damals aus einer Bierlaune heraus entschieden. „Das war vor elf Jahren“, sagt er, „samstags beim Fußballgucken in unserer Heimat Bad Salzuflen, mit meinem Drillingsbruder Uwe.“ Am darauffolgenden Montag hätten sich die beiden eine leer stehende Bar im Zentrum angeschaut, am Donnerstag sei bereits die Eröffnung gewesen. „So einfach ging das damals“, sagt Ortmann. Ganz glauben mag man das nicht.

Über sich selbst lachen kann man im Anno 66 (oder Año 66 für die Spanier) auf jeden Fall. Ballermann-Niveau will man aber nicht. | FOTO: SOPHIE MONO SOphie Mono

Das Anno 66 ist in Ostwestfalen längst zu einer Institution geworden – und es zieht Publikum an, das gern lacht. Sei es, wenn Bruder Uwe mal wieder in Lack und Leder auftritt, sei es, wenn Jürgen selbst bei einem der zahlreichen Mottoabende zur „Animatöse“ mutiert, wie er selbst sagt. „Wer Sarkasmus nicht versteht, ist hier falsch“, stellt Ortmann denn auch klar. Und das gilt genauso für das neue Anno 66 in Cala Ratjada. „Humor statt Krieg auf der Welt“, ist an einer Fensterscheibe zu lesen. „Wer ständig säuft, führt auch ein geregeltes Leben“, steht auf einem Schild. Vor diesem Hintergrund überrascht, wie vehement sich Jürgen Ortmann vom nahe gelegenen Feiertempel Bierbrunnen und anderen Sauf-Oasen im Ort distanziert. „Eimersaufen wird es hier nicht geben und auch keine Billiggetränke“, so Ortmann, plötzlich ungewohnt ernst. Das mag auch an den Lästereien liegen, die in deutschen Residentenkreisen bereits im Vorfeld in den sozialen Netzwerken kursierten. Dort echauffierte man sich über die neue Bar, die im ehemaligen Steakhouse Porto Fino entsteht. „Wir haben mit Ballermann-Niveau nichts zu tun“, stellt Ortmann deshalb noch einmal klar.

Lockeres Auftreten hin oder her – der Westfale scheint es auch sonst ernst zu meinen mit seinem Mallorca-Ableger. Seit Jahrzehnten kennt er die Insel als Urlauber – und die Idee, in Cala Ratjada eine Bar zu eröffnen, spukt auch schon seit acht Jahren in seinem Kopf. Vor einem Jahr besiegelte er den Kauf des ehemaligen Porto Fino per Handschlag, im Januar begann er, das Restaurant komplett umzubauen. Dass hier weit mehr als nur Party geplant ist, zeigt sich auch im Angebot. Morgens gibt es Frühstück, nachmittags Kaffee und Kuchen, mittags und abends Schnitzel, Rippchen, Hamburger und ein paar mexikanische Leckereien. „Und danach können wir dann gerne ein bisschen lustig sein“, so Ortmann.

Zur Seriosität trägt vor allem auch sein Geschäftspartner Markus Rausch bei, der ihm in Cala Ratjada tatkräftig zur Seite steht. Er wirkt neben Jürgen Ortmann bodenständig und organisiert. Bei den für Juni angesetzten Folgen der Auswanderer-Serie „Goodbye Deutschland“ dürfte dann aber vor allem der Kneipenclown selbst zu sehen sein. „Wir haben uns da beworben, und die dachten sich wohl: ‚Die sind so doof, das könnten die Leute gucken‘ “, witzelt Ortmann. Gute Werbung bedeutet die Teilnahme im Trash-TV sicherlich. Ebenso wie die Sprüche im Außenbereich. „Nur mein Drillingsbruder Uwe findet schade, dass ich auf Mallorca bin. Aber einer muss ja in Bad Salzuflen die Stellung halten.“