Ein typischer Tagesablauf von Dirk Meinhardt könnte so aussehen: Um sieben Uhr steht er in der Küche der Kulturfinca in Lloret de Vistalegre, bereitet das Frühstück für die Gäste vor. Wenn alle fertig gegessen haben, frühstückt er selbst mit Finca-Besitzer Will Kauffmann und seiner Familie. Anschließend räumt er die Küche auf. Während Kauffmann seine Kinder in die Schule bringt, gießt Meinhardt die Blumen, mäht Rasen, füttert die Pferde und Gänse. Später macht er den Pool sauber, schaut, ob die Sprenkelanlage richtig funktioniert, reinigt die Gästezimmer und repariert vielleicht noch Kauffmanns Auto. Nach getaner Arbeit entspannt er selbst einige Stunden am Pool oder fährt mit Kauffmanns Auto in den Norden, um die Insel weiter zu erkunden.

Seit Mitte Mai packt der 49-Jährige auf der Kulturfinca kräftig mit an. Einen Lohn bekommt er nicht, dafür kostenlose Logis und Essen. Neben dem Pool darf er auch die Bibliothek oder das Auto seines Gastgebers nutzen. „Urlaub gegen Hand“ heißt diese Reiseart. Damit, dass er mehrere Monate auf der Insel verbringt, hatte er zunächst gar nicht gerechnet. „Ich sehe meinen Aufenthalt nicht als Urlaub, sondern eher als Auszeit“, so Meinhardt. Der gelernte Kfz-Servicetechniker litt in Deutschland an Burn-out. Auch seine Ehe ging in die Brüche. Er wollte nur noch weg aus seinem alten Leben. Der Freund seiner Schwester erzählte ihm von der Möglichkeit, gegen Arbeit kostenlos auf Mallorca unterzukommen, und machte Kauffmann und Meinhardt miteinander bekannt.

Mehr Nachfrage als Angebot

Angebote der Kulturfinca findet man auch in der Facebook-Gruppe „Mallorca – Urlaub gegen Hand“ mit über 1.700 Mitgliedern. Ins Leben gerufen hat sie im Oktober 2019 Marion Schönroth. „Ich wollte insbesondere Anbietern aus dem Tierschutz eine Plattform bieten, aber auch alle anderen können sich hier austauschen“, so Schönroth zur MZ. Im Schnitt dreimal pro Monat finden sich hier vor allem Gesuche: von Paaren, alleinerziehenden Elternteilen inklusive ihrer Kinder oder Allein-Reisenden zwischen 30 und 50 Jahren. Bei den wenigen Angeboten ist die Nachfrage dann oft sehr hoch. Auf Kauffmanns Inserat etwa haben sich allein per öffentlicher Kommentar-Funktion 14 Interessenten gemeldet.

Freundschaftliches Verhältnis

„Bei mir war es Schicksal, dass ich hierhergekommen bin“, ist sich unterdessen der einstige Bewerber Meinhardt sicher. Er verbringt zum ersten Mal auf diese Weise eine Zeit im Ausland, lebt ansonsten derzeit von Ersparnissen. Vor Kurzem hat er die Kulturfinca einige Tage lang erstmals ganz allein gehütet, während Kauffmann in Deutschland war. „Ich weiß nicht, ob Will sie allein gelassen hätte, wenn er nicht so ein Vertrauen in mich hätte“, sagt Meinhardt. Beide hätten längst auch ein freundschaftliches Verhältnis zueinander aufgebaut. „Wir reden über Gott und die Welt, gehen oft zusammen essen, oder ich gehe mit seinen Kindern schwimmen“, erzählt Dirk Meinhardt.

Abmachungen statt Verträge

Ein persönliches Interesse am Gegenüber mag nicht unabdinglich sein, ein hohes Maß an Vertrauen, Eigeninitiative und Flexibilität aber ist es schon. Statt festem Arbeitsvertrag gibt es in den meisten Fällen nur Abmachungen. Bei Kauffmann, der schon seit acht Jahren Urlaub gegen Hand anbietet, arbeiten die Bewerber mindestens einen halben Tag. Von Anfang an begrenzt ist ihr Aufenthalt nicht. Zwei Wochen lang schauen beide Seiten, wie es läuft. „Danach gibt es entweder ein Rückflugticket, das ich zahle, oder die Leute können so lange bleiben, wie sie wollen“, so der gebürtige Schwabe Kauffmann, der seit 2002 fest auf Mallorca lebt. Dass jemand so schnell wieder geht, komme aber selten vor. „Die denken dann vielleicht bei ‚Kultur‘ und ‚Mallorca‘, dass hier auch mitten auf dem Land der Bär steppt und kommen mit falschen Vorstellungen“, weiß Kauffmann. Der Großteil der Bewerber sei aber sehr engagiert und bringe sich auch persönlich ein. „Sie kommen ja freiwillig“, betont Kauffmann.

Auszeit statt Urlaub

Dirk Meinhardt sei dennoch ein besonderer Glücksgriff. „Er kann wirklich alle Arbeiten erledigen, die hier anfallen“, schwärmt Kauffmann. Der 49-Jährige sei nicht der Einzige, der nach einem Burn-out den Weg in die Kulturfinca gefunden habe. „Viele tragen ein Päckchen mit sich“, so Kauffmann. Bei Meinhardt ist Kauffmann besonders traurig darüber, dass er nach Deutschland zurückkehren wird, sobald der Kulturfinca-Besitzer einen Nachfolger gefunden hat. „Ich bin nur vor meinen Problemen dort weggerannt. Und die gilt es jetzt zu lösen“, vertraut Meinhardt der MZ an.

Eine andere Art des Reisens

Franziska Bruck hat die Vorzüge dieser Reiseart schon des Öfteren zu schätzen gelernt. Auf Mallorca hat sie damit zweimal Gratis-Urlaub gemacht. Im Mai 2022 segelte die 35-Jährige vom spanischen Festland aus mit einem 58 Jahre alten Deutschen nach Mallorca und einmal um die Insel. Der Gastgeber lebt seit sechs Jahren auf seinem zwölf Meter langen Einmaster und hat nach einem kleinen Unfall Schwierigkeiten mit seinem Fuß. Es war Brucks erstes Mal auf einem Segelboot. „Ich hatte keine Ahnung, ob ich überhaupt seetauglich bin“, erinnert sie sich. Ihrem Gastgeber half sie beim Ablegen, Anlegen, Kochen, Putzen oder Reparieren von kaputten Teilen. Aus der geplanten einen Urlaubswoche wurden drei Monate.

Möglichkeit, kostengünstig zu reisen

„Es gibt mir einfach ein tolles Gefühl zu sehen, dass ich jemandem etwas Gutes tun kann“, so Bruck, die nach einem Schicksalsschlag auf der Suche nach Alternativen zum herkömmlichen Lebensstil mit festem Wohnsitz war. „Für mich ist es eine tolle Möglichkeit, kostengünstig zu reisen, dabei in verschiedene Lebensmodelle hineinzuschauen“, so Bruck. Auch der Lerneffekt sei groß. So habe sie habe viel übers Segeln gelernt. „Es ist nicht selbstverständlich, dass sich ein Gastgeber so viel Zeit dafür nimmt“, findet die 35-Jährige. Neben Unterstützung bringen die Gäste auch Abwechslung in den Alltag der Gastgeber. „Manche von ihn können selbst nicht verreisen“, so Bruck.

Franziska Bruck. Privat

Als sie Mitte August in Colònia de Sant Jordi von Bord ging, verabschiedete sie sich auch von einem Freund. Für den nächsten Urlaub gegen Hand direkt im Anschluss hatte sie längst gesorgt. Zweieinhalb Wochen half Bruck in dem Küstenort einer alleinerziehenden Mutter zweier Kinder im Haushalt. In schwierigen Situationen zwischen Mutter und Kindern konnte sie dieses Mal sogar ihre gelerntes Fachwissen als Jugend- und Heimerzieherin einbringen. Weil sie das Urlaub-gegen-Hand-Modell begeistert, geht die 35-Jährige mittlerweile nur noch befristete Arbeitsverhältnisse bei ihrem Arbeitgeber in der ambulanten Pflege ein. „So schaffe ich mir gewisse Freiräume.“ Wegen des Personalmangels könne sie immer wieder zurück. Und Brucks Arbeitgeber, was sagt er dazu? „Sie wissen Gott sei Dank, wie ich ticke, und haben meine Reiselust von Anfang an mitbekommen und akzeptiert.“

Urlaub gegen Hand:

-Facebook-Gruppe "Urlaub gegen Hand"

-Kulturfinca Son Bauló: Tel.: 971-52 42 06, son-baulo.de

-Franziska Bruck: franziska_bruck@yahoo.de