Mallorca Zeitung

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Wahre Kriminalfälle auf Mallorca: Cold Case aus der Franco-Zeit

Der berühmte Architekt José Ferragut starb 1968. War es ein Mord aus Leidenschaft oder war seine Kritik am Massentourismus das Motiv? Neue Folge im MZ-Podcast „Mörderisches Mallorca“

Als Architekt prägte José Ferragut die Insel. Sein Tod ist bis heute ungeklärt. DM-Archiv

21. Februar 1968: Ein Schäfer findet wenige Kilometer außerhalb von Palma im Graben einer Landstraße eine Leiche mit zertrümmertem Schädel. Die eintreffenden Beamten der Guardia Civil fällen mit abschätzigem Blick auf den geöffneten Hosenschlitz ein Urteil: Mord im Schwulenmilieu. Aus den Ausweispapieren geht hervor, dass der geschundene Tote niemand anderes als der berühmte Architekt José Ferragut ist.

Ferragut kam 1912 in Palma zur Welt. Seine Familie war vermögend, streng katholisch und konservativ. Dementsprechend klar stand sie auch auf der Seite Francos im Spanischen Bürgerkrieg, der 1936 begann. Ferragut kämpfte in der Armee der Aufständischen, die bis 1939 ganz Spanien eroberte.

Auch später legte der Mallorquiner nie seine konservative Grundhaltung ab. Er war Mitglied in kirchlichen Vereinen, wirkte auf Zeitzeugen stets überaus seriös. Seine Weggefährten erinnern sich sehr liebevoll an ihn. Seine Großnichte, die Journalistin Mar Ferragut hat den Architekten zwar nie kennengelernt, aber weiß zu berichten, was Familienmitglieder erzählen. „Er war ein sehr familiärer Mensch, seine Nichten und Neffen haben ihn vergöttert“, sagt sie. Außerdem habe er Mallorca geliebt und sei in seiner Arbeit perfektionistisch und innovativ gewesen.

Gesa-Gebäude bis heute umstritten

Nach einem Architektur-Studium in Barcelona kam Ferragut zurück in seine Heimat und lebte in der Altstadt von Palma, wo er auch sein Studio hatte. In seiner Arbeit galt er als alles andere als konservativ. Er versuchte, neue Arten von Gebäuden zu bauen. Sein bekanntestes und bis heute umstrittenstes Werk ist das Gesa-Gebäude an der Stadteinfahrt. „Damit war er seiner Zeit weit voraus“, sagt seine Großnichte. „So ein Hochhaus würde in Chicago nicht auffallen, in Mallorca aber natürlich schon.“ José Ferragut erlangte noch zu Lebzeiten Ruhm auf der Insel, er baute unter anderen auch die runde Porciúncula-Kirche an der Playa de Palma sowie einige Häuser an der zentralen Straße Jaume III in Palma.

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MZ-Leser besuchen das Gesa-Gebäude in Palma

Dementsprechend groß war der Schock, als im Februar 1968 die Leiche des Architekten auftauchte. Am Abend zuvor war der 56-Jährige spazieren gegangen und nicht zurückgekehrt. Für die konservative Familie waren die Gerüchte rund um die Todesumstände ein weiterer Schlag, selbst wenn die Zeitungen im Franco-Spanien nicht darüber berichteten. Das Auto des Toten wurde am Rande der Altstadt in der heutigen Avinguda Gabriel Alomar i Villalonga (damals noch Avenida del General Primo de Rivera) gefunden. Darin fand die Polizei Blut, allerdings keine Spuren, die zu dem Mörder führen könnten.

Polizei ermittelt Mord im Schwulenmilieu

Trotzdem nahm die Guardia Civil nur wenige Tage später zwei Männer fest. Die beiden waren polizeibekannte Stricher, einer von ihnen hatte bereits mehrfach wegen Diebstählen und Gewalt gegen seine Freier eingesessen. Der andere galt als Kleinkrimineller. Die Männer hatten sich im Gefängnis kennengelernt und waren kurz vor dem Mord an Ferragut auf Bewährung entlassen worden. In der Dokumentation „Vida i mort d’un arquitecte“ aus dem Jahr 2017 gibt ein Beamter der Guardia Civil offen zu, dass sie Gewalt anwandten, um ein Geständnis von ihnen zu erzwingen. Die Stricher sagten also, was die Polizei hören wollte.

Die Guardia Civil erzählte am Ende folgende Geschichte: José Ferragut soll häufig an dem Strich an der Stadtmauer von Palma unterwegs gewesen sein. Er sei ein regelmäßiger Kunde eines der beiden Verdächtigen gewesen und habe an jenem Abend beide in seinem Wagen mitgenommen. Nachdem Ferragut die Dienste des Mannes, den er bereits kannte, in Anspruch genommen hatte, sei es zum Streit um die Bezahlung gekommen. Am Ende habe der Stricher dem Architekten mit einem Stein den Kopf eingeschlagen. Die beiden Männer hätten die Leiche liegen gelassen und seien mit dem Auto wieder in die Stadt gefahren.

Eineinhalb Jahre nach dem Mord kam es zu einem Gerichtsverfahren, in dem die Stricher ihr Geständnis zurückzogen. Da es keinerlei Beweise gab, sprach das Gericht sie frei. Und weil die Familie nicht wollte, dass weiter in diese Richtung ermittelt wurde, gab es kein weiteres Verfahren.

Familie vermutet Auftragsmord

Die Familie Ferragut hatte unterdessen eine ganz andere Theorie zu dem Mordfall. José Ferragut liebte die Landschaft Mallorcas und wollte sie bewahren. Offen sprach sich der Architekt gegen den Bauboom aus, den der Tourismus in den 60er-Jahren verursachte. Während viele Bauträger sich damit bereicherten, die Küsten mit Hotels und Gebäudekomplexen zuzumauern, wehrte sich Ferragut dagegen. Als Gemeindearchitekt von Pollença verhinderte er im Norden der Insel so viele Bauten wie möglich.

Außerdem schrieb er Briefe an die Architektenkammer und an den Chefredakteur der MZ-Schwesterzeitung „Diario de Mallorca“, in denen er vom „Egoismus“ der Bauträger sprach und einige hochrangige Mitglieder des Franco-Regimes auf der Insel beim Namen nannte. „Er ist den falschen Leuten auf die Füße getreten“, vermutet seine Großnichte Mar Ferragut. Die Familie stellte sogar einen Privatdetektiv an, um ihre Theorie eines politisch motivierten Auftragsmordes zu beweisen. „Aber was er herausfand, machte ihm Angst, deshalb brach der Detektiv die Ermittlungen ab“, sagt Mar Ferragut.

Der Fall blieb ungelöst, und der Architekt geriet in Vergessenheit. Erst in den vergangenen Jahren hat Mallorca damit begonnen, sich an José Ferragut zu erinnern. 2018 ernannte ihn der Inselrat zum Ehrenbürger.

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